Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
Bom dia! Im Folgenden möchte ich gerne ein paar meiner Erfahrungen aus dem Auslandssemester in Lissabon mit euch teilen und hoffe, euch einen kurzen Einblick in meine Erasmus-Zeit geben zu können. So viel sei schon einmal vorweggenommen: ein Erasmus-Semester lohnt sich in meinen Augen immer und ich kann euch Lissabon als Destination für ein Auslandssemester nur wärmstens empfehlen! Als Vorbereitung auf meinen Aufenthalt in Portugal wollte ich gerne einen Sprachkurs an der Universität Potsdam belegen, was zum Sommersemester leider nicht möglich war, da die A1/1 Kurse immer nur zum Wintersemester angeboten werden. Auch eine:n Tandem Partner:in zu finden, der/die europäisches Portugiesisch sprach (und kein brasilianisches Portugiesisch) gestaltete sich schwieriger als gedacht. Dementsprechend würde ich euch empfehlen, euch frühzeitig um die Organisation eines Sprachkurses zu kümmern. Der Kontakt mit der portugiesischen Erasmus-Koordinatorin war von Beginn an sehr nett und herzlich, sie hat immer sofort geantwortet und war sehr verlässlich. Ich habe im Voraus auch Professor:innen per Mail kontaktiert, um abzufragen, ob ich die final reports/assignments in den Kursen auch in Englisch machen könne bzw. wie die Chancen stehen, dass der Kurs komplett auf Englisch angeboten wird, sodass ich dementsprechend mein Learning Agreement gestalten konnte. Schwieriger fand ich, die Kurse der Universität Lissabon mit denen der Universität Potsdam zu „matchen“- die Begründungen, warum man sich diese als Äquivalente anrechnen lassen möchte, mussten nach meinen Erfahrungen sehr ausführlich sein und von verschiedenen Seiten der Uni Potsdam bestätigt werden (ich wusste schon vor Beginn meines Erasmus-Semesters, dass ich mir nur zwei Kurse für meinen Master an der UP anrechnen lassen kann). Es lohnt sich auch, frühzeitig eine Wohnung zu suchen, da die Wohnungssituation in Lissabon leider fast mit der in Berlin vergleichbar ist und teilweise wirklich hohe Preise für sehr kleine Zimmer verlangt werden. Ich würde euch empfehlen, für die Wohnungssuche auch Facebook oder Instagram zu nutzen und gegebenenfalls mit Leuten aus den Vorjahren Kontakt aufzunehmen, da diese oft gute Kontakte zu Vermieter:innen weitergeben können.
Studium an der Gastuniversität
Das Studiensystem an der Universität Lissabon war relativ anders als ich es aus Deutschland gewohnt war. Jeder meiner Kurse war auf vier Stunden angesetzt, was ich vor allem zu Beginn als ziemlich lang empfunden habe. Ich hatte weekly assignments, die ich in jeder Stunde abgeben musste (ich konnte sie auf Englisch machen) und die auch in die Endnote miteingeflossen sind. Grundsätzlich waren meine Kurse so strukturiert, dass man die Hälfte der Einheit eher lecture-mäßig neuen Input zum Thema bekommen hat und die andere Hälfte sogenannte „discussion questions“ zu den jeweiligen papers, die man für das Seminar vorbereiten musste, vorgestellt und im Seminar diskutiert hat. Generell gab es viele Gruppenarbeiten, wobei ich einmal in einer 7er Gruppe war, was ich persönlich als recht herausfordernd empfand. Zum Ende des Semesters musste ich pro Kurs ein Paper in Gruppenarbeit schreiben (über eine bereits bestehende Studie, man musste keine extra Datenerhebung machen) und zusätzlich einen individual essay abgeben, in dem eine Frage zur Kursthematik auf 6-10 Seiten beantwortet werden musste. Vor allem bei den individual assignments hatte ich das Gefühl, dass ich sehr viel gelernt habe und durch die wöchentlichen assignments auch inhaltlich sehr viel mitnehmen konnte, da es eher ein kontinuierliches Lernen und Wissensaneignung war. Ich hatte von meiner Erasmus-Koordinatorin in Lissabon einen Stundenplan von allen Kursen der Psychologie-Masterstudiengänge erhalten und bin in der ersten Woche zu sechs verschiedenen Kursen gegangen, wovon ich nur vier in meinem (Pre-)Learning Agreement festgelegt hatte. Zwei Kurse habe ich dann nochmal ausgetauscht. Ich würde empfehlen, am besten vor Ort mit Lehrenden zu sprechen; Kursänderungen vorzunehmen, die vom Learning Agreement abweichen, ist meiner Erfahrung nach kein Problem. Aufgrund meiner Sprachkenntnisse hat es für mich keinen Sinn gemacht, die Kurse aus dem klinischen Master zu belegen, da diese mit der Partizipation an Rollenspielen und der Besprechung von Fallbeispielen mein Sprachniveau überstiegen haben. Demnach habe ich drei Kurse aus dem Cognitive and Social Psychology Master belegt und zusätzlich zwei Mal pro Woche einen Sprachkurs gemacht, der von der Uni Lissabon speziell für Erasmus-Studierende angeboten wurde.
Kontakt zu einheimischen und internationalen Studierenden
Der Master in social psychology war eher klein (circa 30 Personen) und alle Leute aus dem Master hatten denselben Stundenplan, weshalb ich meine Kurse immer mit den gleichen Leuten hatte. Ich habe mich von allen sehr willkommen geheißen gefühlt. Da ich zum Wintersemester angekommen bin, war es für die Portugies:innen selbst das erste Master-Semester, das heißt die Leute kannten sich teils auch untereinander noch gar nicht so gut und ich hatte den Eindruck, dass viele etwas jünger und eher schüchtern waren, weshalb ich zu Beginn nur im Rahmen meiner Kurse Kontakt mit meinen Kommiliton:innen hatte. Besonders gegen Ende bin ich dann nochmal enger mit meinen Mitstudierenden zusammengewachsen, da wir täglich gemeinsam in der Fakultätsbibliothek (Faculdade de Psicologia) an unseren Abgaben gearbeitet haben. Da ich ansonsten eher mit deutschen und internationals zu tun hatte, habe ich es sehr genossen, in der Uni den Kontakt zu Portugies:innen zu haben und würde jedem empfehlen, von Anfang an den jeweiligen Semester-WhatsApp-Gruppen der Portugies:innen beizutreten (nicht nur den Erasmus-Gruppen der ULisboa), da sehr viel darüber kommuniziert wird.
Wohn- und Lebenssituation
Ich habe in einer 5er WG nahe Marques de Pombal (Prinicpe Real) gewohnt. Wir waren alle aus Deutschland, was ich am Anfang eher kritisch gesehen habe, rückblickend aber sagen muss, dass ich in meinen Mitbewohner:innen wirklich Freund:innen fürs Leben (so kitschig sich das anhört...) gefunden habe und mir bewusst geworden ist, dass es letztendlich nicht auf die Nationalität ankommt und ich wahnsinnig froh über die WG-Konstellation war. Wir hatten das Glück, dass in unserem Haus noch drei weitere sehr nette WGs waren, wodurch eine internationale Haus-Community entstand. Die einzige Sache, die eher unangenehm war, die aber – so wie ich es mitbekommen habe - in den meisten WGs/ Wohnungen in Lissabon Thema war, war das Problem mit Schimmel in den Wintermonaten (vor allem Dezember/Januar). Viele Häuser sind nicht gut isoliert und haben auch keine eingebaute Heizung (wir hatten z.B. heater, die mit Strom funktionierten, deren Wärme aber auch nur sehr kurz anhielt, sobald man sie aussteckte) und durch das feuchte Klima ist es schwierig bzw. fast unmöglich, die Räume komplett trocken zu halten. Ich bin mit der Metro zur Uni gefahren und hatte ein Monatsticket zur Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel, was sich für mich sehr gelohnt hat (30€/ Monat). Zu Beginn meines Aufenthaltes habe ich mir am Marques de Pombal eine personalisierte Metro-Karte erstellen lassen, sodass ich diese monatlich nur neu aufladen musste. Ich würde empfehlen, dafür genug Zeit einzuplanen, da an den Schaltern vor allem zu Monatsbeginn eine sehr lange Schlange ist (man kann sich aber auch über die App registrieren und ein online Ticket ziehen, sodass man die Wartezeit etwas verkürzt). Die Lebenshaltungskosten waren ähnlich denen in Deutschland, wobei es natürlich auch auf den persönlichen Lebensstil und auf die Art und Anzahl der Freizeitaktivitäten ankommt. Wenn man typisch Portugiesisch essen geht, bekommt man auch mal einen Wein für 3,50€ und ein Gericht für 8-10€. Da ich mich vegan ernähre, hat sich das für mich aber nicht so richtig gelohnt, da die portugiesische Küche sehr fleisch- und fischlastig ist. Da Lissabon schon auch ein bisschen „Trend“-Stadt ist (mir wurde gesagt, dass vor allem seit Beginn der Pandemie sehr viele digital nomads vor allem aus Deutschland und Frankreich nach Portugal gekommen sind und dadurch auch zu diesem Trend sowie dem allgemeinen Preisanstieg beigetragen haben), gibt es sehr viele Cafés und vegane/vegetarische Restaurants, die vergleichbare Preise mit Berlin haben. Der allgemeine Zuzug aus dem Ausland und der damit verbundene Preisanstieg in Lissabon ist auch ein Thema, auf das mich meine portugiesischen Kommiliton:innen aufmerksam gemacht haben: Sie können es sich oft selbst nicht mehr leisten, in der Stadt zu leben, weshalb viele entweder zu Hause wohnen bleiben oder teilweise bis zu 1,5 Stunden entfernt von Lissabon wohnen und jeden Tag pendeln. Dadurch gibt es auch negative Stimmen gegenüber „reichen“ Ausländer:innen, da viele Europäer:innen mit (verhältnismäßig) viel Geld in die Stadt kommen, sich teure Wohnungen leisten können und die Portugies:innen aus der Stadt „herausdrängen“. Dies ist eine Thematik, die mich beschäftigt hat und die man sich als Erasmus-Studierende:r in meinen Augen bewusst machen sollte. Ich habe einen Töpferkurs an der Drehscheibe gemacht und würde jedem/jeder, der/die sich für Keramik interessiert, ans Herz legen, die Chance zu ergreifen, einen solchen Kurs in Portugal zu machen. Mein Kurs hatte 4 Einheiten à 2,5 Stunden und der Kurs zählt definitiv zu einem der Highlights meines Auslandssemesters (ich kann euch das Studio Cecile M empfehlen, aber es gibt auch viele andere gute Anbieter). Auch lohnt sich eine Erasmus-Card, wenn ihr z.B. Surfstunden bucht oder euch Surfboards ausleihen wollt, da man damit immer einen Rabatt bekommt. Ich habe einige Surfstunden an der Costa de Caparica belegt und war absoluter Fan. Aufgrund des doch eher hohen workload in der Uni habe ich - anders als meine Mitbewohner:innen - während meines Erasmus-Aufenthalts wenige Trips unternommen und stattdessen eher Lissabon und die nähergelegenen Strände erkundet (mein Favorit war die Costa de Caparica - man kommt dort sogar relativ kostengünstig mit dem uber hin; wenn man sich dieses teilt, hat man durchschnittlich zwischen 8 – 15€ für Hin- und Rückfahrt gezahlt). Viele Leute aus meinem Umfeld haben die geografische Lage genutzt und sind am Wochenende beispielsweise (günstig) auf die Azoren oder nach Madeira geflogen. Ich habe mich meistens in den Vierteln Principe Real/Anjos/Bairro Alto aufgehalten. Zu meinen Highlights der Stadt gehörten der Miradouro Santa Caterina (ein wunderschöner Platz mit Blick auf den Tejo und die Ponte 25 de Abril), die Basilica Estrela und dem daneben liegenden Park, der Flohmarkt Feira da Ladra sowie das Gulbenkian Museum mit dem dazugehörigen kleinen botanischen Garten (Sonntag ab 14:00 ist der Eintritt hier frei!).
Studienfach: Klinische Psychologie (M.Sc.)
Aufenthaltsdauer: 09/2022 - 02/2023
Gastuniversität: Universidade de Lisboa
Gastland: Portugal
Rückblick
Auch wenn ich zu Beginn des Masters meine Zweifel hatte, ob ich bereits nach nur zwei Semestern direkt wieder in eine neue Stadt ziehen möchte, war ich von Tag 1 in Lissabon so froh über meine Entscheidung für dieses Erasmus-Semester! Das gute Wetter, (fast) jeden Tag mit Sonnenschein aufzuwachen, die Möglichkeit, an einem Samstagnachmittag, nachdem man seine Uniarbeit erledigt hat, an den Strand zu fahren und den Tag mit einem Sonnenuntergang am Meer ausklingen zu lassen - das alles habe ich als wahnsinniges Privileg empfunden und bin so froh und dankbar dafür, diese großartigen Erfahrungen und Begegnungen mit inspirierenden Leuten gemacht haben zu dürfen. Demnach würde ich mir selbst auch immer wieder raten: nicht zu viel zweifeln und darüber nachdenken, ob man sich wirklich für ein Erasmus-Semester (im Master) bewerben soll, sondern es einfach machen! Denn am Ende denke ich, dass man vor allem in unserem späteren Beruf als Psychologe/Psychologin so sehr von den Erfahrungen, in einem neuen Land gelebt zu haben, sich dort zurechtgefunden und eine größere Offenheit und Sensibilität gegenüber Neuem (einer neuen Kultur, unterschiedliche Uni-Systeme und Schwerpunkte,...) entwickelt zu haben, profitieren wird. Mich persönlich hat das Semester in Lissabon sowohl in meiner persönlichen Entwicklung als auch in meiner akademischen Entwicklung sehr viel weitergebracht und ich hätte diese Erfahrungen und die Kontakte, die ich dort geknüpft habe, niemals missen wollen.