Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
Dass ich unbedingt nach Polen wollte, war für mich schon länger klar, bevor ich anfing, mich überhaupt mit der Erasmus-Planung zu beschäftigen. Leider musste ich feststellen, dass an meinem Fachbereich, dem Hasso-Plattner-Institut, keine einzige Partneruni aus Polen zur Verfügung steht. Weil Polen anscheinend nicht das gefragteste Zielland ist - zu meinem vollsten Unverständnis - war es zum Glück mit etwas Organisationsaufwand möglich, einen Platz des Instituts für Informatik zu bekommen. Dort gibt es nämlich die Möglichkeit nach Warschau zu gehen. Die Uniwersytet Warszawski (UW) hatte ich schon während eines Sommersprachkurses ein Jahr zuvor kennengelernt. Der Bewerbungsprozess dort war eher reine Formsache. Das einzige erforderliche Dokument war ein Sprachnachweis B2, entweder für Polnisch oder Englisch. Da ich kein offizielles Sprachzertifikat besitze, war eine Teilnahmebestätigung an einem Englischkurs an meiner Heimatfakultät ausreichend.
An der UW war der mir zugeordnete Fachbereich die Fakultät für Mathematik, Informatik und Mechanik ( Wydział Matematyki, Informatyki i Mechaniki Uniwersytetu Warszawskiego - MIMUW). Die dort angebotenen Kurse sind sehr übersichtlich und genau beschrieben im Kursverwaltungssystem USOSWeb dokumentiert. Am besten sucht man dort nach der Fakultät und wählt dann die Übersicht über alle Kursgruppen aus. Meiner Erfahrung nach werden die Kurse regelmäßig je im Winter- oder Sommersemester durchgeführt und daher lässt sich schon im Voraus gut planen, welche Kurse interessant sein könnten.
Was sich aus diesem Onlinesystem leider nur schwer entnehmen lässt, ist der Arbeitsaufwand, der pro Kurs erforderlich ist. Im Allgemeinen war der Aufwand von Kursen ähnlich zu dem, was ich von meiner Heimatfakultät gewöhnt bin. Allerdings muss man aufpassen: Einige bestimmte Kurse sind nämlich echte Killerkurse und beanspruchen gleich das dreifache an Zeit. Im ersten Semester habe ich den Fehler gemacht und einen durchaus interessanten, aber extrem arbeitsintensiven Kurs gewählt. Auch aus der Einführungsvorlesung war nicht klar, wie aufwändig dieser Kurs werden würde. Ich habe meine kompletten Weihnachtsferien und viele Wochenenden nur für diesen Kurs investiert. Deshalb gilt: Immer die anderen Studenten fragen, wie der Ruf eines Kurses ist!
An der MIMUW-Fakultät gibt es anders als an anderen Fachbereichen nur sehr wenige Erasmus-Studenten. Im Wintersemester habe ich dort keinen anderen Austauschstudenten kennengelernt. Es gibt für die allermeisten Kurse aber trotzdem die Möglichkeit diese auf Englisch zu hören. Meistens läuft es so ab, dass der Professor in der ersten Vorlesung fragt, ob jemand kein Polnisch spricht und wenn das der Fall ist, wird der Kurs halt auf Englisch durchgeführt. Das Englischniveau sowohl von den Professoren als auch von den Studenten ist vernünftig und macht keine Probleme. Da mein Polnisch noch nicht gut genug war, habe ich mich erst im zweiten Semester getraut eine Vorlesung auf Polnisch zu hören. Hierbei kam mir der Professor sehr entgegen: Als ich ihm erklärte, dass ich gerne versuchen würde die Vorlesung auf Polnisch zu mitzumachen, aber noch unsicher bin, schlug er vor, die Übung weiterhin auf Englisch zu veranstalten und die Vorlesung auf Polnisch zu halten. Im Allgemeinen freuen sich die Polen nämlich immer sehr, wenn sie sehen, dass Ausländer versuchen Polnisch zu lernen.
Die fachliche Kompetenz der Lehrkräfte und das vermittelte Wissen in den Kursen der MIMUW-Fakultät würde ich als gleichwertig mit dem Stand meiner Heimatfakultät einschätzen. Die didaktischen Methoden und die Betreuung sehe ich dort jedoch als deutlich schlechter an, als ich es bisher gewohnt war. Ein essentieller Bestandteil meines bisherigen Lernerfolgs waren entweder Tutorien, in denen in einem informellen Kontext Übung besprochen wurden oder regelmäßige Coachingtermine, um den Fortschritt von Projekten zu begleiten. Beides fehlte dort komplett. Bei Projekten war man quasi komplett auf sich allein gestellt und die “Übungen” erschienen mir oft wie ein weiterer Teil der Vorlesung.
Immerhin waren die Computerräume vernünftig ausgestattet und es gab die Möglichkeit des Fernzugriffs per SSH, um auch von zu Hause weiterzuarbeiten. Allerdings läuft auf den Maschinen dort die polnische Linux-Distribution PLD Linux, was für mich zwar recht amüsant war, eventuell aber zum Problem werden könnte, wenn man überhaupt kein Polnisch versteht.
Was mich ein wenig schockiert hat, war das allgemeine Umgangsklima unter den Studenten. Vor den Kursen warteten die meisten Studenten still im Hörsaal auf den Beginn der Vorlesung. Nur wenige leise Gespräche zwischen Einzelpersonen waren zu hören. Als im Rahmen einer Vorlesung zum Thema Analyse von sozialen Netzwerken die Freundschaftsbeziehungen zwischen den Studenten graphisch an der Tafel aufgezeichnet wurden, war zu erkennen, dass sich die Kommilitonen untereinander kaum kennen und meist nur Kontakt zu 1-2 weiteren Personen hatten. In diesem Umfeld war es natürlich auch recht schwer für mich neue Kontakte zu knüpfen. Trotzdem gab es selbstverständlich Ausnahmen und ich lernte dort auch eine handvoll offene Menschen kennen. Größtenteils musste ich meine sozialen Kontakte aber außerhalb der Fakultät knüpfen. Ich denke einen großen Teil zu dieser relativ kühlen, distanzierten Atmosphäre trägt sicherlich meine Fachrichtung bei. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass es für einen Erasmus-Studenten an meiner Heimatfakultät einfacher wäre. Nun ja, zum Glück ist es durch Erasmus ja sehr einfach andere Gaststudenten kennenzulernen. Schon im zweiwöchigen Polnisch-Intensivsprachkurs habe ich einige nette Leute kennengelernt und so war es für mich nicht allzu schlimm, dass es an meiner eigentlichen Fakultät etwas schwieriger mit dem Kontakteknüpfen war. Außerdem gab es ja auch noch die Integration-Week und meinen Sprachkurs während des Semesters und so musste ich mir keine Sorgen machen allein zu sein.
Während dieses Jahres hat sich mein Polnisch enorm verbessert. Meine Selbsteinschätzung ist, dass ich vorher etwa B1-Niveau hatte und jetzt bei B2 angekommen bin. Natürlich habe ich dafür auch hart gearbeitet. Im ersten Semester habe ich zwei Sprachkurse parallel besucht und mich regelmäßig mit meiner Tandempartnerin getroffen. Einerseits ist Polnisch schon eine schwer zu lernende Sprache, aber dafür wird man andererseits auch belohnt. Obwohl ich noch sehr viele Fehler mache und ständig nach Worten suche, bekam ich immer wieder zu hören, wie unglaublich toll mein Polnisch doch sei. Die Polen freuen sich meistens, wenn sie merken, dass man sich bemüht, ihre Sprache zu lernen. Weil ich in der Schule auch Französisch gelernt habe, weiß ich, dass das in anderen Ländern nicht unbedingt so ausgeprägt ist. Ich würde aber auch sagen, dass man in Warschau tendenziell auch ohne ein einziges Wort Polnisch sehr gut auskommen kann, wenn man denn möchte.
Im Allgemeinen sind genug Wohnheimplätze für Erasmus-Studenten verfügbar, also kann jeder der möchte dort auch unterkommen. Der Nachteil ist natürlich, dass man sich dort im Normalfall ein Zimmer zu zweit teilen muss. Für mich stellte sich diese Frage aber nicht, da ich die Möglichkeit hatte, über Bekannte eine 2-Zimmer-Wohnung zum Freundschaftspreis zu mieten. Wenn man es korrekt machen möchte, muss man sich beim Bürgeramt anmelden, wenn man länger als drei Monate in Warschau wohnen möchte. Die meisten der anderen Erasmus-Studenten haben das aber nicht gemacht und ich habe nicht gehört, dass jemand Probleme bekommen hätte.
Studienfach: Informatik
Aufenthaltsdauer: 09/2019 - 07/2020
Gastuniversität: Uniwersytet Warszawski
Gastland: Polen
Rückblick
Im Fazit möchte ich nochmal betonen, dass meine Zeit in Warschau ziemlich super war. Die mittelmäßige Erfahrung an meiner Fakultät hat mir in keinster Weise die Zeit dort vermiest. Ich habe trotzdem viele nette Polen und Erasmus-Studenten getroffen. Es war eine sehr aufregende und intensive Erfahrung, die mich persönlich weitergebracht hat. Ich finde Polen ist ein sehr interessantes Land und kann jedem nur empfehlen dort sein Erasmus zu machen.