Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
Die Bewerbung für ein Auslandssemster an der Birzeit Univesity lief über das International Office der Uni Potsdam recht einfach ab: Bewerbungsunterlagen sammeln und einschicken und dann auf die Antwort warten. Nachdem ich die Bestätigung der Nominierung hatte, galt es nun noch ein Formular der Birzeit University (BZU) auszufüllen und die Kurse, die man belegen möchte, auszuwählen. Das war leider gar nicht so einfach, weil oft im Voraus nicht ersichtlich war, welche Kurse im kommenden Semester angeboten werden. Trotz Bemühungen der BZU war der Prozess der Kursauswahl und bis ich mein erstes finales Learning Agreement von der BZU unterschrieben hatte nicht abgeschlossen, bis 2 Wochen nach Anfang meines Auslandsaufenthalts, was jedoch auch einigen äußeren Faktoren geschuldet war.
Doch schwieriger als die Kursauswahl ist leider die Visa Situation: Da das Westjordanland von Israel besetzt ist und Israel alle Grenzübergänge (auch nach Jordanien) in das Westjordanland kontrolliert, kann ein Visa für das Westjordanland nur von den israelischen Behörden ausgestellt werden. Allerdings musste ich lernen, dass Israel Studierendenvisa nur an Studierende in Israel ausstellt, nicht jedoch an Studierende in Palästina. Der Erasmusbeafutragte der BZU hat mich hierzu viel beraten und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass ich mit einem Tourist Visa nach Israel einreisen werde, welches allerdings nur drei Monate geht. Danach muss das Land verlassen werden und erneut ein Visumsantrag bei Einreise gestellt werden. Sollte das nicht klappen, wurde mir zugesichert, dass ich die Kurse online fertigstellen könnte. Da es mir zu unsicher war, mein Visa nach Ausreise zu verlängern und einen Hin- und Rückflug zu verschwenden und Wochnung anmieten zu müssen, habe ich mich von Anfang an dafür entschieden, nur drei Monate zu bleiben und die letzten zwei Wochen des Semesters online fertig zu machen. Von Komillitionen an der BZU weiß ich jetzt, dass diese Einstellung gut war, da einigen meiner Kommilitonen grundlos eine erneute Einreise anch den 3 Monaten verweigert wurde, nachdem sie sagten, dass sie nach Palästina reisen werden. Wichtig ist jedoch zu wissen, dass sich die Visa-Sitation jetzt geändert hat und es wohl möglich sein soll, bei den israelischen Behörden ein Studierenden-Visa zu beantragen. Allerdings werden nur 150 ausgewähle Studierende jährlich ein Visa von Israel erhalten. Hierzu empfehle ich, mit Amir Khalil an der BZU in Kontakt zu treten.
Studium an der Gastuniversität
Auch wenn mein Studium an der BZU nicht nach Plan verlief, gehören die drei Monate, die ich in Palästina verbringen durfte, zu den besten und eindrucksvollsten meines Lebens. An der BZU kommt es regelmäßig zu Streiks von Studierenden oder Lehrpersonal. Diese können auch gut mal zwei Monate gehen, wie es bei mir der Fall war. An dieser Stelle ist wichtig anzumerken, dass gerade diese Erfahrungen und zu erfahren, warum gestreikt wird und was der Streik bewirken soll, alleine schon wichtige Gründe sein können, Palästina zu besuchen und auf keinen Fall davon abschrecken sollten, die BZU als Gastuniversität zu wählen. Ein Auslansaufenthalt in Palästina ist so viel mehr als nur die Zeit, die man in der Universität verbringen wird und der Lerneffekt ist auch außerhalb der Uni so hoch, das die Bildung nicht zu kurz kommen wird. Wegen des Streiks konnte ich leider keinen der Kurse belegen, die ich eigentlich vorhatte zu belegen. Allerdings gibt es noch das „Palestinian-Arabic StudyProgramme“ (PAS) an der BZU, das auch während der Streiks weiterlief und über das Sprachkurse und Social-Science Kurse belegt werden können. Ich selber habe nur die Sprachkurse belegt und kann das sehr empfehlen, denn es lohnt sich echt, sich etwas auf Arabisch im Alltag verständigen zu können. Aber auch die Social-Science Kurse sollen super sein, um mehr über die Geschichte und Perspektive der Palästinenser zu lernen. Daher kann ich leider auch nichts zur grundlegenden Lehrqualität sagen, was ich jedoch von Kommilitonen weiß, ist, dass es sich lohnt, sich nochmal explizit zu infirmieren, ob ein Kurs wirklich auf Englisch angeboten wird, auch wenn es so auf der Website steht. Bei den Arabischkursen kann man sich mehr oder weniger Arbeit machen, da die Prüfungen recht einfach sind, aber wenn man ein Interesse an der Sprache hat, lohnt es sich wirklich, die Zeit vor Ort dafür zu nutzen. Bei den Social-Science Kursen gibt es zwei Hausarbeiten, die benotet werden und eine Präsentation. An der Uni gibt es mehrere Bibliotheken und auch PCs zur Nutzung und in den naturwissenschaftlichen und künstlerischen Bereichen gibt es auch Labs, zu denen ich allerdings nichts sagen kann.
Kontakt zu einheimischen und internationalen Studierenden
Vermutlich ist es in keinem anderen Land so einfach, Kontakt zu einheimischen Studierenden zu finden wie in Palästina. Schon eine Taxifahrt ist kaum möglich, ohne eine Einladung zum Abendessen am nächsten Tag zu haben, wenn man sich in Gespräche begibt. Die Herzlichkeit und das Interesse am Austausch sind hier super hoch, in kürzester Zeit wird man auf der Straße immer wieder von Leuten gegrüßt werden, mit denen man nur kurz auf dem Campus interagiert hat. Der Kontakt zu ausländischen Studierenden wird auch am Anfang vermittelt und man lernt diese super schnell kennen, insbesondere, da es nur eine kleine Gruppe ist (ca 8 Erasmus-Studis und 50 im PAS-Programm).
Sprachkompetenz vor und nach dem Auslandsaufenthalt
Vor dem Auslandssemester habe ich nicht ein Wort Arabisch gesprochen und jetzt kann ich lesen, schreiben und mich im Alltag verständigen. Die Arabischkurse lohnen sich also wirklich. Wenn das Interesse nur ist, sich im Alltag verständigen zu können, empfehle ich den Kolloquial (Amiyah) Kurs. Der Modern Standard Arabic (Fusah) Kurs ist gut, um akademsich zu arbeiten und insbesondere lesen und schreiben zu vertiefen, aber das modern standard arabic wird im Alltag nicht gesprochen. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, beide Kurse zu belegen, wenn Zeit besteht, da mithilfe des MSA-Kurses viel leichter das umgangssprachilche Arabisch gelernt werden kann. Für die Kurse gibt es eine Gebühr, die jedoch für Erasmus-Studierende halbiert wird (ich glaube 400€ pro Kurs), was bei vier Tagen a zwei Stunden die Woche für drei Monate aber wirklich mehr als fair ist.
Wohn- und Lebenssituation
Gewohnt habe ich in Ramallah. Das würde ich auch allen empfehlen, die an der BZU studieren wollen. Ramallah ist eine lebhafte Stadt, mit vielen Angeboten. Von Bars über Restaurants und schönen Cafes gibt es hier einiges zu erleben. Zwischen traditionellen Cafes zum Shisha rauchen über alternative westliche Cafés bin hin zu locations, an denen Abends getanzt wird, gibt es einiges. Vor allem die Kulturzentren, wie die Qattan Foundation oder das Khalil Sakkakini Center, sind einen Besuch wert. Auch das Göthe-Institut hat regelmäßig Veranstaltungen, wenn man mal andere „expats“ treffen möchte. Auch Sportkurse oder Tanzkurse (Dabke) lassen sich hier gut finden. Um die Unterkunft habe ich mich erst gekümmert, als ich vor Ort war und das ging auch ganz gut. Bis man eine Unterkunft hat, kann man sich einfach erstmal ein AirBnB oder Hostel nehmen, die es für faire Preise gibt. Um eine Unterkunft zu finden, lohnt es sich, mal in der Facebook-Gruppe „Secrets of Ramallah“ zu schauen oder ansonsten auf dem Unicampus einfach jemanden anzusprechen. Dort kennt eigentlich immer irgendwer irgendwen, der ein Zimmer haben könnte. Ich selber habe mir zusammen mit zwei anderen Erasmus -Studis eine Wohnug gemietet, die riesig war (3 Wohnzimmer, 3 Schlafzimmer…) für ca 300€ im Monat. Bei der Lage empfiehlt sich alles, was rund um den Al-Manara-Platz ist. An Öffis gibt es sogenannte „Service“, das sind Sammeltaxis, die losfahren, wenn sie voll sind und in der Regel feste Preise haben. Zum Beispiel zur Uni sollte es 5 Shekel und nicht mehr kosten. Die Service fahren auch in Ramallah, aber es lässt sich eigentlich auch jede Strecke in der Stadt gut laufen. Am Wochenende kann man super Ausflüge in andere Städte ,wie zum Beispiel Bethlehem, Jerusalem, Nablus, Jericho etc. machen und auch gibt es super Spots zum Wandern. Coole Events gibt es beispielsweise beim „Dar Jacir“ in Bethelem, generell findet man in und um Ramallah über Instagram meistens Events. Ich kann auch empfehlen, die „Om Sleimann Farm“ zu besuchen, die direkt neben einer israelischen Siedlung im Westjordanland liegt und dort nachhaltige Landwirtschaft betreibt. Auch wenn man als ausländischer Studierender super Zugang zu allen möglichen Angeboten hat und die Zeit super genießen kann, muss einem allerdings immernoch klar sein, dass man sich in einer Region befindet, die unter Besatzung ist. Dementsprechend merkt man auch recht schnell, wie schwer die Lage für Palästinenser:innen ist, die hier dauerhaft leben und wie viele Restriktionen sie zu erleiden haben. Auch als ich in Tel Aviv ankam, wurde mir mein Reisepass für mehrere Stunden am Flughafen abgenommen, nachdem ich befragt wurde, ohne dass man mir sagte, was als nächstes passieren wird. In Ramallah ist die Lage sehr stabil, aber in anderen Regionen des Landes kann es schnell zu schwierigen Situationen kommen, Einsätze des israelsichen Militärs, bei denen Zivilisten umkommen, gehören hier leider zur Tagesordnung. Mit ein wenig Information vorm Reisen durch das Land lässt es sich jedoch SEHR sicher reisen. Die Lebenshaltungkosten lassen sich in etwa mit Deutschland vergleichen bzw. sind etwas günstiger, da man für ein Zimmer vor Ort maximal 300€-350€ zahlen sollte. Ansonsten kann man sehr günstig wegkommen (Falafel Sandwich für ca 1,80€), aber da fast alles importiert wird, sind die Lebensmittelpreise sonst nicht super günstig. Auf dem Markt kann man (vor allem, wenn man sich auf Arabisch verständigen kann) Gemüse noch recht günstig kaufen. Essen gehen und abends ausgehen ist ähnlich teuer wie in Deutschland und Alkohol ist recht teuer (Bier ab 5/6€ in der Bar).
Studienfach: IT-Systems Engineering
Aufenthaltsdauer: 09/2022 - 12/2022
Gastuniversität: Birzeit University
Gastland: Palästina
Rückblick
Insgesamt kann ich jedem einen Auslandsaufenthalt in Palästina nur wärmstens empfehlen. Die Zeit dort wird garantiert unvergesslich und die Bekanntschaften, die man schnell schließt, werden mit Sicherheit auch über den Aufenthalt hinaus bestehen bleiben. Selten habe ich so eine unglaubliche Gastfreundschaft und unverstellte Warmherzigkeit erlebt. Es gibt super Freizeitangebote, wenn man etwas sucht und einfach Menschen fragt. Ich würde mir sogar wünschen, dass mehr Menschen einen Auslandsaufenthalt in Palästina machen, um zu verstehen, was es bedeutet, unter Besatzung zu Leben und zu studieren und sich mit eigenen Augen ein Bild über die Lage der Palästinenser:innen machen zu können.