Persönlicher ERASMUS-Erfahrungsbericht
Der Auslandsaufenthalt an der Universität Lettlands (LU) war vorgeprägt durch ein bereits im Jahr 2017 absolviertes Praktikum an der Lettischen Nationalbibliothek und basierte u.a. auf den dabei geknüpften Kontakten.
Obwohl zwar ein Erasmus+ Projekt mit dem Titel „Medienpraktiken der Aufklärung“ (MdA) zwischen den Universitäten Riga, Tartu, Bordeaux-Montaigne und Potsdam existiert, war zwischen den Instituten der Geschichte bzw. Germanistik in Potsdam und in Riga noch keine Erasmus-Partnerschaft abgeschlossen. Zunächst mussten also erst einmal durch das Inter-national Office die formellen Voraussetzungen für ein Erasmus-Semester in Riga geschaffen werden. Die Realisierung der erst im Herbst 2017 gefassten Idee ein Semester in Lettland zu studieren, war deshalb ohne die energische Unterstützung der Verantwortlichen in Riga und Potsdam nicht denkbar. Besondere Herausforderung war die Zusammenstellung des Learn-ing-Agreements, da sowohl im BA-, als auch im MA-Programm des Institutes für Geschichte und Philosophie an der LU alle Kurse in lettischer Sprache angeboten werden. Nur durch individuelle Absprachen, fanden sich Kurse, in denen die Dozenten simultan auf Deutsch und Lettisch unterrichteten oder die in Form eines Lektürekurses mit regelmäßiger Konsultation in abstinentia zum Rest der Seminargruppe stattfanden. Ohne die Unterstützung von Professor Dr. Andris Levāns, zu dem schon vorher über das MdA-Projekt Kontakt bestand, wäre dies nicht möglich gewesen.
Als problemlos und sehr zuvorkommend hat sich der Bewerbungsprozess herausgestellt. Über die Online-Plattform eingestellte Daten wurden schnell geprüft und die Einladungen zeitnah verschickt und auch die Verwaltung, sowohl im International Office der LU, als auch der Fakultät waren sehr zuvorkommend und hilfsbereit.
Studium an der Gastuniversität und Kontakt zu Studierenden
Der Studienverlauf an sich verlief reibungslos, der bereits geknüpfte Kontakt mit KomilitonIn-nen und KollegInnen aus Universität und Nationalbibliothek konnte ausgebaut werden.
Lediglich im Lettisch-Sprachkurs (A1) bestand Kontakt zu anderen Erasmus-Studierenden, sodass meine Auslandserfahrung weniger durch Kontakt zu Studierenden aus vielen unter-schiedlichen europäischen Ländern geprägt wurde. Dieser Aspekt, der einerseits vielleicht betrüblich wirken mag, hatte die gute Kehrseite, dass ich an der LU meist mit lettischen KommilitonInnen zu tun hatte. Es konnten Erfahrungen in einem anders als in Potsdam auf-gestellten Institut, eine teilweise andere Herangehensweise an mein Fach (hier als Ge-schichtswissenschaft) und ein tieferer Einblick in den Alltag der lettischen KommilitonInnen gewonnen werden. Ein besseres Verständnis und Übersicht davon, wer in Lett- und Estland zu welchem Thema forscht, welche Quellen wo zu finden sind, aber auch die Motivation ein-zelner KommilitonInnen, was diese zu einem bestimmten Thema antreibt, war neben den fachlichen Inhalten sicherlich der größte Mehrwert dieses Aufenthaltes.
Die Ausstattung mit relevanter Forschungsliteratur war für die Vorbereitung der Lehrveran-staltungen kein Problem. Für die weitere Recherche, zum Beispiel zu möglichen Themen für die Masterarbeit, musste jedoch teilweise auf die Berliner Bibliothekslandschaft zurückgegrif-fen werden, da der Finanzrahmen sowohl der Universitäts- als auch der Nationalbibliothek nicht ausreicht um relevante Neuerscheinungen immer sofort anzukaufen.
Während des Studiums hat sich bestätigt, dass für die Geschichte aller Ereignisse vor dem 20. Jahrhundert im Baltikum die Kenntnis der deutschen Sprache und für die Archivarbeit das Lesen von frühneuzeitlichen Handschriften unabdingbar ist. Junge HistorikerInnen in Lettland lernen dies allerdings momentan leider kaum, sodass häufig nur gedruckte, bereits verwendete Quellen(editionen) benutzt werden. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der baltischen Staaten, ist deshalb umso mehr auf gegenseitige Zusammenarbeit ange-wiesen, damit die vorhandenen Quellen je nach Fragestellung auch vollständig genutzt wer-den können.
Sprachkenntnisse vor und nach dem Auslandsaufenthalt
Die Sprachkompetenz in Lettisch wurde verbessert, allerdings genügt das erreichte Sprach-niveau noch nicht aus, um in Archiven ohne Übersetzung, entweder durch das Personal oder mit Hilfe eines Wörterbuches, die Findmittel zu benutzen. Während der anschließenden vor-lesungsfreien Zeit wurde ein weiterer A2-Intensivkurs belegt. Das Niveau in Englisch ist, so-wohl nach OSL- als auch der eigenen gefühlten Einschätzung unverändert geblieben.
Wohn- und Lebenssituation
Die Wohnsituation erwies sich als durchwachsen- mit einer Miete, die für das Stadtzentrum zwar ortsüblich war, allerdings im Vergleich zum Rest der Stadt ca. doppelt so teuer (450,-€ + Nebenkosten). Nach einer schlechten Erfahrung während des vorhergehenden Praxisse-mesters in Lettland in einer WG, erschien es allerdings sinnvoller eine eigene Wohnung zu mieten oder auf das Angebot der Universität, in einem Wohnheimzimmer unterzukommen, einzugehen.
Da die Unterbringung in Wohnheimen in Lettland in der Regel mindestens zu zweit in einem Zimmer ist, entschied ich mich für erstes. Als schwierig gestaltete es sich allerdings in einem niedrigeren Preissegment Vermieter zu finden, die Verträge in englischer Sprache abschlie-ßen (trotz Hilfe von Freunden vor Ort). Rückblickend wäre es sicherlich angenehmer gewe-sen günstiger weiter außerhalb zu wohnen.
Das Freizeitleben orientierte sich an dem Anspruch Land und EinwohnerInen weiter zu ken-nen zu lernen, sodass mit lettischen Freunden häufig Ausflüge in die Peripherie des Landes unternommen wurden, gleichzeitig aber das kulturelle Angebot der lettischen Hauptstadt ge-nutzt werden konnte (Freiluftkino, Ausstellungseröffnungen, Konferenzen, umsonst-und-draußen-Konzerte Pride, Museumsbesuche,…). Grundsätzlich fallen für die Freizeitgestaltung ähnliche Kosten wie in Deutschland an. Kosten für kulturelles Leben, insbesondere Museen, den ÖPNV, Konzert- und Opernkarten, sind deutlich günstiger als in Deutschland. Das Lied- und Tanzfest, das für die lokale kulturelle Identität einen integralen Bestandteil besitzt („singende Revolution“, Bedeutung des Volksliedes und der Folklore) fand in diesem Jahr zusammen mit dem 100-jährigen Jubiläum der ersten unabhängigen Republik zusammen statt. Dieses Ereignis, die Vorbereitungen und die Diskussionen zu Liedgut/Folklore/Kultureller Identität in den Seminaren miterleben zu können, dürfte sicherlich einer der Momente gewesen sein, die den Aufenthalt in Riga von dem in anderen potentiellen Orten unterschied.
Während Riga im Zentrum kaum strukturelle Unterschiede zu anderen europäischen Städten in gleicher Größe besitzt (auch hier steht das Gemüse am Eingang des Supermarktes, der OPNV funktioniert bargeldlos, gratis Wlan-Netzwerke sind fast an jeder Ecke verfügbar,…) wird außerhalb der Hauptstadt deutlich, dass es einen Unterschied zwischen Brandenburgi-scher und Lettischer Weite/Landschaft gibt. Als immer wieder befruchtend für das eigene thematische Interesse war es deshalb auch kleinere, abgelegene historische Stätten zu be-suchen und historischen Ereignissen nachzuspüren.
Studienfach: Kulturelle Begegnungsräume der Frühen Neuzeit
Aufenthaltsdauer: 02/2018 - 07/2018
Gastuniversität: Universität Lettlands (LU)
Gastland: Lettland
Rückblick
Rückblickend hat das Semester in Lettland teilweise zu einer fachlichen Vertiefung beigetra-gen. Aufgrund der gesammelten Erfahrungen bin ich umso motivierter die eigene fachliche Spezialisierung auf den Raum Lett- und Estland beizubehalten. Sowohl das Archiv, als auch die Akademische Bibliothek der Universität Lettlands verfügen über Bestände, die ausreichen um mehrere Forscherleben zu füllen.
Für nachfolgende Studierende muss allerdings klar aufgezeigt werden, dass die Durchfüh-rung eines Auslandssemesters an der LU (an der Fakultät für Geschichte und Philosophie) nur in drei Varianten funktionieren kann:
1) wenn entweder Lettisch auf einem solchen Niveau gesprochen wird, dass die Teil-nahme an Seminaren kein Problem darstellt
2) Länger im Voraus geknüpfte Kontakte ein „maßgeschneidertes“ Programmermögli-chen (wie in meinem Fall)
3) Kurse vorrangig aus anderen Fakultäten in englischer Sprache (z.B. das Baltic Sea Region-Programm) gewählt werden, wobei dies auf Kost eines historischen An-spruchs gehen könnte, da die dort angebotenen Kurse als oberflächlich gelten
Es war deutlich zu spüren. dass die Fakultät noch kaum Erfahrungen mit Erasmus-Studenten hat, aber einzelne Lehrende sich sehr engagiert haben um auch institutionell Veränderungen und Erleichterungen für nachfolgende Studierende zu ermöglichen. Wer in der Lage ist selbständig zu studieren, wird durch einen Aufenthalt an der LU deshalb dennoch mit Impulsen und Eindrücken belohnt, die neuen Eifer für die eigene wissen-schaftliche Beschäftigung mit der Region und deren Geschichte entfachen.