Bei strahlendem Sonnenschein machen wir uns auf den Weg zur Bocca di Campello. In einer Kapelle am Wegesrand entdecken wir die Ansprache des Gebirges an die vorbeilaufenden Wanderer. Der Text ermahnt die Menschen dazu, die Natur zu respektieren und , sich, ihr Wirken und ihre Kultur nicht zu überschätzen: „Al 2500 metri dimentica il tuo io, la boria, la cultura, la forza fisica, perché se quassú sei giunto sei in tutto e per tutto uguale agli altri che quassú stanno.“ Dieser Satz lässt uns über die menschliche Hybris nachdenken.
Da es sich bei diesem Weg um den GTA (Grande Traversata delle Alpi) handelt, hält Marie-Kathrin dann unter dem Gipfelkreuz auf 1.890 Metern Höhe (Bocca di Campello) ihr Referat über Wanderwege, Alpinismus, Walserwege und Wandertourismus. Sie erklärt uns, dass die Walserwege durch den GTA weitergenutzt werden und damit eine Lebensgrundlage für die Einwohnerinnen und Einwohner der Bergdörfer geschaffen wird, um der Landflucht entgegenzuwirken. Den Walsern dienten die Wege einst, um in Frankreich und der Schweiz zu arbeiten oder ihre Produkte zu verkaufen. Ihr Handwerk war besonders ausgefeilt und verschaffte ihnen Ansehen und gut bezahlte Arbeit. Während der Abwesenheit der Männer versorgten die schon damals durchaus gebildeten Frauen Haus, Hof und Ernte.
Den Rückweg nehmen wir über einen Saumpfad über die Alpe Pianello. Dort begegnen wir der ersten aufgetriebenen Ziegenherde. Anna und Corado mit ihren insgesamt circa 70 Tieren werden erst im nächsten Monat auf die Alpe ziehen und bis September dort bleiben. Sie produzieren den Großteil des Käses in Rimella und seinen Gemeinden. Da Pianello weit abgelegen und nicht an das Stromnetz angeschlossen ist, werden sie all das, was sie brauchen, immer wieder aus Rimella hinauftragen müssen. Dazu nutzen auch sie den GTA. Wir erfahren am eigenen Leibe, wie anstrengend der tägliche Auf- und Abstieg ist. Die Lebensweise hat sich somit für die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Dorfes kaum verändert. Die wenigen Modernisierungen, wie kleine Solarzellen und Wasserschläuche, sind jedoch im Einklang mit der Natur.
Auf dem Weiterweg nehmen wir einen Saumpfad über die Weiden voller blühendem Enzian, vorbei an Heidelbeersträuchern und Alpenrosen bis nach Rondecca. Dort fällt uns ein Lastenaufzug auf. Als wir den steilen Abstieg sehen, wird uns sofort klar, warum dieser benötigt wird. Der Pfad führt in sehr abschüssigen Serpentinen nach unten ins Tal, wo wir eine Weile an einem Gebirgsbach rasten und uns erfrischen. Daraufhin steigen wir nach San Gottardo auf und trinken im heute geöffneten Walserhaus einen Cappuccino, der uns Kraft für den restlichen Rückweg gibt. Nach dieser anstrengenden Etappe freuen wir uns auf eine Dusche und ein ausgiebiges Abendessen.
Text: Marie-Kathrin Elbel
Online gestellt: Alina Grünky
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