Nach einer erholsamen und stillen Nacht erwachen wir mit Hahnengeschrei. Außerdem hören wir Glockengeläut, welches sowohl von den grasenden Kühen als auch vom nahe gelegenen Kirchturm erklingt, und entscheiden beim Frühstück mit lokalen Produkten über das Tagesprogramm. Das Wetter lässt eine erste Wanderung in Richtung Bocca di Campello zu, wo wir an Gegenständen in der Landschaft erste Eindrücke von der traditionellen Lebensweise bekommen. Die mit senkrecht gestellten Schieferplatten angelegten Wege des an einem Steilhang gelegenen Dorfes erleichtern uns den Aufstieg. Auf den wenigen ebenen Flächen sind Gemüsebeete angelegt, die von Wildblumenwiesen umrandet werden. Im Wald wird die Abhängigkeit des Menschen von der Natur deutlich sichtbar. Da auch die Weideflächen begrenzt sind, lernen wir Baumsorten kennen, deren getrocknete Blätter mangels Heu im Winter an das Vieh verfüttert werden. An den Steilhängen oberhalb des Dorfes sind moderne Schneebarrieren angebracht, die auf die Lawinengefahr im Winter aufmerksam machen. Auch in den höher gelegenen Dorfteilen sind die Eingangstüren mit schweren Schieferplatten noch vor dem Schnee geschützt, da das Frühjahr hier spät begonnen hat. Nach einem steilen Aufstieg oberhalb der letzten Frazione, Sella, befindet sich das positorio dei morti. Dort wurden die Leichen der in der Migration verstorbenen Rimellesinnen und Rimellesen vom Pfarrer in Empfang genommen, um im Dorf begraben zu werden. Da im Winter eine Überquerung des Passes Bocca di Campello nicht möglich war, konnten diese erst im Frühling von der Schweizer Seite über den Pass getragen werden.
Nach Erreichen der Baumgrenze öffnet sich der Blick auf die Almen, auf die das Vieh im Sommer getrieben wird. Außerdem begegnet uns ein Prachtexemplar einer Viper am Wegesrand. Sie sind für das Vieh eine ständige Gefahr. Auf dem Rückweg durchqueren wir das verlassene und teilweise verfallene Dorf San Giorgio, in dem wir rasten und die ersten Blasen an den Füßen verarzten. Einige Häuser sind zu Ferien- und Wochenendhäusern umgebaut, weshalb es bei unserem Besuch einsam wirkt. Weiter geht es in das ebenfalls einsam wirkende San Gottardo, wo wir einen Cappuccino trinken wollen, um zu überprüfen, ob es WLAN gibt. Der Wirt ist jedoch leider nicht da. Deshalb laufen wir gleich weiter nach Sella, wo uns Seniora Paola das Walser Museum öffnet.
Das Museum ist im ältesten aus Lerchenholz gebautem Walserhaus von 1640 untergebracht. Dieses Holz ist, einmal ausgehärtet, hart wie Stein. Das obere Geschoss diente ehemals als Heulager und isoliert das Haus. Es ist von Balkonen umgeben, auf denen das Heu getrocknet und Arbeiten wie Schnitzen und Spinnen verrichtet wurden. Seniora Paola erklärt uns den Gebrauch der dort ausgestellten traditionellen Werkzeuge, zum Beispiel Handwerkszeuge zur Käseherstellung und Heuernte sowie zum Holz- und Steinplattentransport, die größtenteils heute noch benutzt werden.
Im Untergeschoss, einst der Stall, durch den die Wärme der Tiere nach oben drang, sind die Koch- und Mahlgeräte zu sehen. Die Rimellesinnen und Rimellesen lebten sehr genügsam: Käse, Butter und Fleisch wurden verkauft, für sie blieb nur die Molke, Beeren und Gemüse. Erst als Kartoffel und Mais Einzug in Europa erhielten, besserte sich die Ernährung und die Kindersterblichkeit sank. Aus dem Mais stellten sie ein besonderes Mehl her, das für Kinder und Alte gut verträglich war. Durch Rösten der Maiskörner vor dem Mahlen wurde das Endprodukt, wie man erst heute weiß, glutenfrei; außerdem ließ sich in kurzer Zeit ein nahrhafter Brei herstellen, was den arbeitsreichen Alltag erleichterte. Der seitlich gelegene Wohnschlafraum ist sehr klein. Der Regen setzt genau richtig ein, nämlich als wir ins Museum eintreten und er endet, als wir uns wieder auf den Rückweg nach Rimella machen.
Dort angekommen, müssen wir schließlich einsehen, dass das WLAN in Rimella so schwach ist, dass sich kaum eine Internetseite aufbauen kann, was die Erstellung des geplanten Online- Reisetagebuches unmöglich macht. Ein kleiner Sendemast ist zwar vorhanden und wir können auch telefonieren, doch das Verschicken von E- Mails funktioniert nicht. Wir entscheiden, dass wir dennoch täglich gemeinsam unsere Erlebnisse und Gedanken niederschreiben und diese Berichte gesammelt nach unserer Rückkehr veröffentlichen.
Text: Marie-Kathrin Elbel
Online gestellt: Alina Grünky
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