SVM-Arbeitspapiere: Studentische Arbeiten (2015-2016)
Nr. 1 Kathleen Schumann (2015): Verarbeitung von funktionalem versus lexikalischem so. Überlegungen zur empirischen Methodik.
Zusammenfassung
"Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der multifunktionalen Partikel so, deren zahlreiche Verwendungsweisen sich aus einem je unterschiedlichen Verhältnis von lexikalischem Gehalt und seiner pragmatischen Funktion ausdifferenzieren. Nach der Diskussion verschiedener Vorschläge zur Wortartenklassifikation von so widmet sich diese Arbeit zwei Verwendungsweisen, die sich im Verhältnis von lexikalischem Gehalt und pragmatischer Funktion am stärksten voneinander unterscheiden. so als modale, indexikalische Partikel mit deutlich ausgeprägter modaler und indexikalischer Semantik wird dem semantisch gebleichten so als Fokusmarker gegenübergestellt, der ausschließlich eine pragmatische Funktion auf informationsstruktureller Ebene erfüllt. Neben den semantischen und pragmatischen Unterschieden differieren die beiden Verwendungsweisen auch bezüglich ihrer Registerzugehörigkeit. In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob und wenn ja, welche Effekte diese Unterschiede im mentalen Prozess der Sprachverarbeitung auslösen und wie man diese Effekte messen kann. Dazu wird hier die Hypothese aufgestellt, dass die beiden beschriebenen Verwendungsweisen im Kontext von Minimalpaarsätzen zu unterschiedlich komplexen mentalen Modellen führen können, was den Sprachverarbeitungsprozess auf ungleiche Art und Weise beeinflussen kann. Ähnliche Effekte können jedoch auch durch die abweichende Registerzugehörigkeit zustandekommen. Es wird in dieser Arbeit diskutiert, wie sich diese Hypothesen empirisch prüfen lassen. Dazu werden verschiedene psycho-und neurolinguistische Forschungsmethoden auf ihre Nützlichkeit für diese Fragestellung untersucht. Schließlich wird ein exemplarisches Untersuchungsdesign entwickelt."
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Nr. 2 Heiko Stamer (2016): Frischer Wind-Mind in der deutschen Sprache. Gebrauchskontexte und Spracheinstellungen der m-Reduplikation nach türkischem Vorbild in jugendsprachlichen Varietäten des Deutschen.
Zusammenfassung
"Die vorliegende Arbeit behandelt die Entstehung von m-initialer Reduplikation (Echowortbildung) in jugendsprachlichen Varietäten des Deutschen. Für das entstehende deutsche Muster (z.B. Stress-Mess, Schule-Mule) wird als Herkunft das türkische Muster der m-Reduplikation angenommen (z.B. kitap mitap, okul mokul), das durch intensiven Sprachkontakt zwischen SprecherInnen des Deutschen und des Türkischen primär in deutschen Großstädten seinen Weg in Varietäten der deutschen Sprache gefunden hat. Der Autor hat Feldforschung in deutschen Jugendzentren durchgeführt und dabei Jugendliche zur Thematik der m-Reduplikation interviewt. Anhand der so gewonnenen Daten wird das Muster auf den Ebenen Morphophonologie, Semantik, Pragmatik und Spracheinstellungen untersucht. Es stellt sich heraus, dass das deutsche Muster sich vom türkischen Vorbild grundlegend unterscheidet, da es wenig von dessen ursprünglicher Semantik abzubilden scheint. Vielmehr wird es von den Jugendlichen mit einer entspannten Atmosphäre und witzigen Situationen assoziiert und nur in scherzhaften Kontexten verwendet. Die TeilnehmerInnen der Studie unterscheiden allerdings zwischen ihrer eigenen, scherzhaften Verwendungsweise und vermeintlich ernsthafter Nutzung durch andere, ungebildete Jugendliche – der Autor stellt die Existenz von zwei unterschiedlichen Gruppen von VerwenderInnen jedoch in Frage."
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Nr. 3 Katharina Mayr (2016): "Ich hör', wie du sprichst und sag' dir, wer du bist!" Studie zu Einstellungen von Lehrer/inne/n zu (jugend-)sprachlichen Varietäten und zu ihrem Sprach(-kompetenz-)verständnis.
Zusammenfassung
"Die vorliegende Arbeit diskutiert Einstellungen von Lehrer/inne/n zu unterschiedlichen sprachlichen Varietäten von Jugendlichen und deren Zusammenhang mit Chancenungleichheiten im Bildungssektor. Die Ergebnisse der in Berlin durchgeführte Pilotstudie zeigen, dass Lehrkräfte eine – wie ich es nenne – Sprachkonzeptbarriere aufweisen, die Wahrnehmung und Bewertung jugendlicher Sprecher bestimmt. Grundlage für diese Schlussfolgerung bildet ein mehrteiliger standardisierter Fragebogen, der eine vergleichende Evaluation von drei jugendlichen Sprechern (Berliner Dialekt, Kiezdeutsch, standardnahe Umgangssprache) mittels indirekter Methoden sowie eine direkte Befragung zu Einstellungen (u.a. zu Dialekten, Mehrsprachigkeit, sprachlicher Kompetenz) beinhaltet. Der unterschiedliche Sprachgebrauch Jugendlicher ruft bei den befragten Lehrkräften verschiedene Stereotype hervor und ist Auslöser für soziale Zuschreibungen und Erwartungen bezogen auf geistige Fähigkeiten und interpersonelle Verhaltensweisen. Ich diskutiere diese stereotype Einordnung von Jugendlichen durch Lehrer/innen unter dem Aspekt, dass die Einstellungen der Lehrer/innen zu Sprache und (jugend-)sprachlicher Variation sowie ihr Sprachverständnis und -konzept neben der Diskussion um sprachliche Unzulänglichkeiten der Schüler/innen einen Schwerpunkt in der Bildungsdebatte darstellen sollten. Es besteht Handlungsbedarf für die Lehrer/innenausbildung bzw. –fort/weiterbildung, um Chancengleichheit zu fördern und gleichzeitig einer Demotivation von Seiten der Lehrkräfte aufgrund von Fehleinschätzungen entgegen zu wirken. "
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Nr. 4 Laurentia Schreiber (2016): Assessing sociolinguistic vitality. An attitudinal study of Rumca (Romeyka).
Zusammenfassung
"Die Studie untersucht die Sprachvitalität von Rumca, einer bedrohten griechischen Varietät, die in der Schwarzmeerregion der Türkei gesprochen wird. Die Arbeit ermittelt auf Basis einer umfassenden soziolinguistischen Studie die Faktoren, die die Sprachbedrohung verursachen. Dazu wurde, speziell für die Situation von Rumca, ein Modell zur Vitalitätsmessung entwickelt, welches elf sprachinterne sowie -externe Faktoren berücksichtigt. Angesichts der soziolinguistischen Natur der Vitalitätsfaktoren misst die Arbeit -als erste ihrer Art-die Sprachvitalität von Rumcamittels einer Einstellungsstudie, die auf folgenden Vorannahmen basiert: (i) die Sprache der Datenerhebung beeinflusst die elizierten Einstellungen, (ii) die Sprachvitalität variiert je nach Sprachgemeinschaft, (iii) sie korrespondiert mit der Identitätsfunktion der Sprache sowie (iv) wird durch die öffentliche Sprachpolitik beeinflusst. Diese Einstellungsstudie basiert auf einem Fragebogen in Türkisch, mit dessen Hilfe während zwei Feldaufenthalten 2014 mündlich Daten von 22 Romeyka-Sprechern, die 1980 nach Istanbul migrierten, erhoben wurden. Daten einer Kontrollgruppe wurden in dem Dorf 'Canlısu' in der Provinz Trabzon erhoben und mit denen von Sitaridou (2013) aus derselben Region verglichen. Sowohl qualitative als auch quantitative Analysen berücksichtigen die Variablen Geschlecht, Alter, Ausbildung und Sprachgemeinschaft. Die Ergebnisse zeigen, dass die Vitalität von Romeyka aufgrund von ökonomischer Mobilität und Migration sowie der türkischen Sprachpolitik deutlich schlechter ist, als durch vorherige Einschätzungen angenommen (Moseley 2007, 2010; Lewis, Simons & Fennig 2014). Sprachpolitik und Identitätsfunktion der Sprache wurden, im Zusammenspiel mit Spracheinstellungen und Sprachkompetenz der Sprecher, als die einflussreichsten Vitalitätsfaktoren ermittelt. Der Vergleich der Sprachgemeinschaften zeigt weiterhin, dass auch der Kontakt zur türkischen Mehrheitsgesellschaft sowie traditionelle Lebensweisen einen Einfluss auf die Sprachvitalität haben."
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Nr. 5 Oliver Bunk (2016): Adv-S-Vfin-Sätze als Form der mehrfachen Vorfeldbesetzung im Deutschen. Syntaktische Struktur und Verarbeitung.
Zusammenfassung
"Das Deutsche ist als strikte V2-Sprache bekannt, die sich dadurch auszeichnet, dass in Matrix-Deklarativa das Verb an zweiter Stelle steht. Ausnahmen von dieser V2-Restriktion, wie Linksversetzung oder Freies Thema, wurden in der Literatur diskutiert, allerdings als Variation der V2-Stellung aufgefasst. Neben dieser Verbstellung sind im Deutschen außerdem Verbletzt- und Verberststellung bekannt. Verbdrittstellung wird gemeinhin ausgeschlossen und als ungrammatisch klassifiziert, wobei beispielsweise Strukturen mit der Wortsequenz Adverbialbestimmung –Subjekt –finites Verbhäufig als Lernerinnenvarietäten oder Interferenzprobleme gedeutet werden (vgl. Auer 2002, Bohnacker 2005, Roberts & Rousseau 2003). Wiese (2006) sieht hierin die Instrumentalisierung der linken Satzperipherie, in der informationsstrukturelles Potential genutzt wird. Die vorliegende Arbeit folgt diesem Ansatz und untersucht, wie Adv-S-Vfin-Strukturen im Vergleich zu V2-Äquivalenzen verarbeitet werden. In zwei self-paced-reading Experimenten wird gezeigt, dass es in der Gesamtverarbeitung keine signifikanten Verarbeitungsunterschiede zwischen dieser nicht-kanonischen V3-Struktur und einem V2-Äquivalent der Form Adv-Vfin-S gibt, während nicht-kanonischer V3-Satz und S-Vfin-Adv Sätze signifikant unterschiedlch verarbeitet werden. Es wird außerdem gezeigt, dass die semantische Klasse der Adverbialbestimmung für die Verarbeitung unerheblich ist. Aus diesen Erkenntnissen und durch den Vergleich mit bestehenden Strukturvorschlägen linksperipherer Phänomene wird für eine an historischen Analysen zur selben Struktur in früheren Sprachstufen des Deutschen (vgl. Speyer 2008) angelehnte syntaktische Stuktur argumentiert, in der das linksperiphere Adverbial als Framesetter in einer funktionalen Projektion (FrameP) basisgeneriert wird."
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