Zum Hauptinhalt springen

Le Parkour und L’art du Déplacement - Die Kunst der (effizienten) Fortbewegung

In den Medien werden sie Asphalt-, Stadt- bzw. Dachspringer oder auch Straßenturner genannt, in der Fachsprache Traceure. Es sind junge Leute zwischen 15 und 25 Jahren, deren Ziel es ist, auf direktem Wege ohne Hilfsmittel von einem Ort an einen anderen zu gelangen ohne sich dabei von einem Hindernis aufhalten zu lassen. Sie folgen also anderen Wegen, als denjenigen, die Stadtplanung und urbane Architektur vorgeben, und setzen damit ihre Lebenseinstellung „Kenne deine Hindernisse, kenne deine Freiheit“ (Witfeld [u. a.] 22012: 10) in die Praxis um. Der Begriff „Parkour“ leitet sich vom spätlateinischen percursus (dt. „Durchlaufen“) ab. „Das Durchlaufen“ kann im weiteren Sinne als „Rennen über Hindernisse“ gedeutet werden. Allerdings geht es bei dieser jugendkulturellen Freestylesportart nicht um Hindernisse auf einem Reitplatz, sondern um eine schnelle, effiziente und elegante Art und Weise der Fortbewegung in meist stark bebauten städtischen Räumen. Der Traceur ist einer, „der den Weg ebnet“, „der eine Spur legt“, „der eine Linie zieht“ oder „der seinen Weg geht“. Aufgrund der vielfältigen Aspekte, die mit dem französischen Begriff ausgedrückt werden können, gibt es keine äquivalente Übersetzung in die deutsche Sprache.

Bewegungsabfolge eines Parkour-Sprungs
Foto: pageballs.com
Bewegungsabfolge eines Parkour-Sprungs

Diese Bewegungstechnik wurde in den 1980er Jahren von David Belle in Frankreich etabliert. Sein Vater, ein französischer Vietnamveteran, vermittelte ihm die Méthode naturelle nach Georges Hébert, die dieser Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt hatte und die sich das französische Militär zu eigen machte. Dabei gilt es alle Bewegungsformen, die ohne Hilfsmittel ausgeführt werden können, wie z. B. Laufen, Springen, Klettern und Balancieren, zu vereinen. Im Vordergrund dieses Konzeptes stehen der physische und mentale Einklang mit der Natur. Durch einen Wohnortwechsel in den Pariser Vorort Lisses, der zu den in den 1960er Jahren entstandenen fünf sogenannten Villes nouvelles im Großraum Paris gehört, adaptierte Belle seine Erfahrungen im natürlichen Gelände an sein neues urbanes Umfeld. Innerhalb kurzer Zeit bildete sich eine Gruppe von Gleichgesinnten, die 1997 die Yamakasi gründeten und zunächst die Bezeichnung L’art du déplacement prägten, bevor sich Le Parkour durchsetzte. Auf ihren spielerischen Verfolgungsjagden stellten Geländer, Treppen, Mauern, Fassaden und Hausdächer der städtischen Umgebung für sie keine Hindernisse dar, die es zu umgehen, sondern die es auf wirksame, schnelle und ökonomische Art zu überwinden galt.

Massimo Leone (2012: 9 - 11) führt in seinem Artikel The semiotics of parkour drei Umstände an, die die Entstehung und Entwicklung des Parkour an diesem Ort zusätzlich begünstigten. Zunächst wurde die spezielle in der Regel pyramidale Architektur von den jungen Bewohnern als künstliche, zu erkletternde Berge interpretiert. Weiterhin führte das mangelnde Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche dazu, dass sie ihre Umgebung für ihre Bedürfnisse umfunktionierten. Die unterschiedlichsten Bauelemente boten dabei die materielle Basis für diese Art der Bewegung. Schließlich spielte der Einfluss der dort vorherrschenden Kriminalität eine Rolle. Parkour konnte bspw. dem Kriminellen räumliche und zeitliche Vorteile verschaffen genauso wie dem potenziellen Opfer, die Möglichkeit sich schnell in Sicherheit zu bringen.

Ein ständig steigender Schwierigkeitsgrad der zu überwindenden Hürden führte zu speziellen Sprungformen und Techniken, die es erlauben Hindernisse in fließenden Bewegungen zu bezwingen. Der sogenannte Flow (Wiki-Link?) wird dabei mit der gebotenen Vorsicht, Konzentration und auch dem Respekt vor der zu bewältigenden Aufgabe ausgeführt. Dabei bezieht sich der Begriff Flow einerseits auf den Bewegungsfluss an sich, kann aber darüber hinaus zusätzlich das Gefühl des völligen Aufgehens in einer strukturierten Aktivität (cf. Csikszentmihalyi 102015: 103) beschreiben. Der daraus hervorgehende Einklang mit sich selbst und dem Raum ist gleichzeitig zentraler Bestandteil dieser Fortbewegungsart. Dabei spielen spektakuläre Hindernisse und akrobatische Elemente im Gegensatz zu dem aus dem Parkour hervorgegangenen Freerunning eine untergeordnete Rolle. Dennoch werden Komponenten aus Bodenturnen, Akrobatik und Kampfsportarten zur Entwicklung eines individuellen Bewegungsstils integriert. Wettstreit und Show werden abgelehnt. Vorrang hat die effiziente Art und Weise, mit der der gewählte Raum durchquert werden soll. Physische Fitness wird u. a. durch Konzentration, Selbstdisziplin, mentale und psychische Stärke und Kreativität ergänzt. Um das Verletzungsrisiko zu senken, ist es unabdingbar, seine eigenen Fähigkeiten und Grenzen richtig einzuschätzen sowie Achtung vor der Gesunderhaltung des eigenen Körpers zu haben.

Die Parkour-Szene, die sich seit Ende der 1990er Jahre zunächst in Frankreich entwickelte, findet mit Beginn der Nullerjahre auch zunehmend Anhänger in deutschen Städten und anderen europäischen wie internationalen Metropolen. Die Mitglieder von Yamakasi traten in Werbespots und Filmen auf und trugen so zu der weltweiten Verbreitung des Parkour bei. Das sich daraus entwickelnde und steigende Medieninteresse beschleunigt diesen Verlauf. Dabei nutzen die Parkoursportler das Internet als Plattform für Information und Kommunikation und sorgen auf diese Weise für eine weitere Popularisierung. Inzwischen werden von verschiedenen Firmen zahlreiche kommerziell geprägte Events veranstaltet. Ein szeneaffines Modelabel hat sich indes noch nicht etabliert. Nach wie vor ist ein teures Equipment nicht notwendig, sodass der Sport Vertretern aller sozialen Schichten offen steht.

Neben Parkour haben sich weitere Bewegungsformen entwickelt. Beim Freerunning werden Hindernisse mit festgelegten akrobatischen  Bewegungskombinationen überwunden, meist spektakuläre Sprünge, die einen Handstandüberschlag oder Salto beinhalten. Eine weitere verwandte Disziplin ist Tricking, das sich in den 1990-Jahren in den USA entwickelte und eine Kombination aus akrobatischen Figuren des Turnens verbunden mit Bewegungselementen aus Breakdance, Capoeira und Martial Arts (asiatische Kampfkünste) darstellt, die aber nicht zwingend einen Lauf enthalten muss. Teilweise vermischen sich die unterschiedlichen Szenen und die Bezeichnungen der verschiedenartigen Bewegungskünste werden fälschlicherweise oft synonymisch gebraucht. David Belle hat im Jahre 2005 die Parkour Worldwide Association (PAWA) gegründet. In Deutschland ist aus dieser Organisation die Parkour Association e. V. Germany hervorgegangen. Ihr Ziel ist es, die Philosophie des Parkour, die Tugenden wie Willensstärke, Durchhaltevermögen und Bescheidenheit einschließt, auf das alltägliche Leben zu übertragen, da neben körperlichen Fähigkeiten Selbstvertrauen und Anpassungsvermögen gefördert werden.

Bewegungsabfolge eines Parkour-Sprungs
Foto: pageballs.com
Bewegungsabfolge eines Parkour-Sprungs
Beispiel für eine Parkouranlage: Die „Platte“ in Potsdam
Foto: stadtteilnetzwerk.de
Beispiel für eine Parkouranlage: Die „Platte“ in Potsdam

Diese Effekte werden bereits in unterschiedlichen Lebensbereichen aufgegriffen. Zunehmend sind Anleitungen in Buchform oder Videoclips im Internet zu finden und Parkour wird in den  Schulsport integriert. Auch Kurse sowie Workshops für Trainer und Traceure werden angeboten. Darauf reagieren auch verschiedene Städte. In Zusammenarbeit mit Herstellern für Spiel- und Sportanlagen, Profis aus der Szene und Entwicklern von sportpädagogischen Konzepten lassen sie parkourgerechte Plätze einrichten. Diese bieten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, ihre motorischen und sozialen Kompetenzen zu entfalten und ermöglichen ein Nebeneinander sowie die Kommunikation zwischen Traceuren und Nicht-Traceuren. Auch in der Werbung (Nike, BBC, Österreichische Bundesbahn u. a.), in Filmen (z. B. Casino Royal), Computerspielen (bspw. Mirror’s Edge, Assassin’s Creed), in der Belletristik (z. B. Andrea Rings: Parkour - Nur die Wahrheit ist unbezwingbar) und im Unterhaltungssektor (Wetten, dass..?, etc.) ist Parkour präsent, sodass sich für die Traceure Arbeitsbereiche  eröffnet haben. So wird aus einem urbanen Trendphänomen eine zunehmend von der gesellschaftlichen Mitte akzeptierte Sportart.

Beispiel für eine Parkouranlage: Die „Platte“ in Potsdam
Foto: stadtteilnetzwerk.de
Beispiel für eine Parkouranlage: Die „Platte“ in Potsdam

Quellen:

  • Bauer, Katrin: Jugendkulturelle Szene als Trendphänomene. Geocaching, Crossgolf, Parkour und Flashmobs in der entgrenzten Gesellschaft, Münster: Waxmann Verlag, 2010.
  • Csikszentmihalyi, Mihaly: Flow. Das Geheimnis des Glücks, Stuttgart: Klett-Cotta, 152010.
  • Hoffmeister, Julia / Kruse, Annika: „Von Häusern, Parkbänken und Geländern“, in: Kimminich, Eva / Persello, Mara (Hrsg.): Stadt und Zeichen. Ausstellungskatalog, Potsdam: Universität Potsdam, Professur für Kulturen romanischer Länder, 2011, S. 103 - 115.
  • Leone, Massimo: „The semiotics of parkour“. Ars Semeiotica, Vol. 35, No. 1-2, Tübingen: Gunter Narr Verlag, 2012, S. 3 - 23.
  • Schmidt-Sinns, Jürgen / Scholl, Saskia / Pach, Alex: Le Parkour und Freerunning. Das Basisbuch für Schule und Verein, Aachen: Meyer & Meyer Verlag, 22011.
  • Witfeld, Jan / Gerling, Ilona E. / Pach, Alexander: Parkour und Freerunning. Entdecke deine Möglichkeiten, Aachen: Meyer & Meyer Verlag, 22012.
  • Mörtenböck, Peter: „Hürdenläufe der Ermächtigung“, in: Richard, Birgit / Ruhl, Alexander (Hrsg.): Konsumguerilla: Widerstand gegen Massenkultur?, Frankfurt: Campus, 2008, S. 261 - 270.
Autorin Ariane Wittkowski
Zeitraum Mai 2016