Guerilla Knitting
Das Phänomen Guerilla Knitting ist auch unter YarnBombing, YarnStorming, Strickguerilla, Strickgraffiti/Knit Graffiti, Graffiti Knitting, Kniffiti, Wooliganism oder Urban Knitting bekannt. Meist handelt es sich um das Anbringen eines handgearbeiteten Gegenstandes an einem festen Objekt auf der Straße oder um das Zurücklassen eines Strick- oder Häkelmodells in der Landschaft (vgl. Moore/Prain 2011: 17). Häufig werden die Pfeiler von Laternen, Straßenschildern oder Parkuhren umstrickt, man findet aber auch umgarnte Bäume, Zäune oder Denkmäler.
Die Strickarbeiten reichen von einfachen Rechtecken zum Umwickeln von Laternenmasten bis hin zu Pullovern für Statuen oder Hüllen für Busse, Autos und andere Großobjekte. Es gibt Arbeiten aus nur einer Maschenart, aber auch Kunstwerke aus mehreren Farben und mit verschiedenen Mustern. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. So brachte die Berliner Gruppe Panikstricken zu Weihnachten in einer U-Bahn einen gestrickten Weihnachtsbaum an einer Haltestange an.
In fast allen Fällen werden die Strickobjekte vor dem Anbringen vorbereitet: Vorgestrickte Rechtecke können vernäht werden oder das fertige Strickobjekt wird über den einzustrickenden Gegenstand gelegt. Als Material dienen das resistente Acrylgarn oder Garne mit Wollanteil, die die Aktivisten aus Wollspenden oder eigenen Resten zu Graffitis verarbeiten.
Gespraytes Graffiti und Strickgraffiti
In den Bezeichnungen Yarn Bombing und Knit Graffiti wird die Nähe zum gesprayten Graffiti deutlich: „Bombing“ steht für das illegale Besprühen öffentlicher Flächen. So spielt hier Anonymität ebenso eine große Rolle: Die StrickerInnen agieren oft in der Dunkelheit und maskiert, um nicht erkannt zu werden. Aus demselben Grund geben sich viele Aktive der Guerilla Knitting-Szene Künstlernamen, ein Verfahren, das auch aus der Sprayerszene bekannt ist. Im Gegensatz zu den traditionellen Graffitis ist das Anbringen gestrickter Objekte jedoch nicht illegal. Die Arbeiten stellen nach § 303 des Strafgesetzbuchs keine Sachbeschädigung dar, da keine „fremde Sache beschädigt oder zerstört“ wird und auch keine „Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert“ wird (http://www.stgb.de/303.html, letzter Zugriff: 21.1.2015). Zum Entfernen der Strickgraffitis reicht meist eine Schere. Strickgraffiti ist deshalb eine „weiche“ Form des Graffitis, die vor allem von Frauen in einer von Männern dominierten Street Art Szene ausgeübt wird.
Ursprung und Entwicklung
Der Ursprung des Guerilla Knittings findet sich in den USA, genauer gesagt in Houston/Texas. Hier gründete Magda Sayeg 2005 die Gruppe Knitta Please, auch bekannt unter der Kurzform Knitta. Sayeg umstrickte eines Tages die Türklinke ihres Ladens, um mehr Farbe in ihre vorwiegend graue Umgebung zu bringen.
„Die Reaktionen darauf waren so begeistert, dass ich wusste: Davon wollte ich mehr machen! Leutekamen in den Laden und fragten: ‚Was ist das? Welcher Künstler hat das entworfen?‘ Deshalb habe ich meine Freundin angerufen und gesagt: ‚Es klingt vielleicht blöd, aber mach einfach mit! Ich möchte den Pfahl des Stoppschilds am Ende der Straße umstricken.‘ Bald sah ich, wie Leute mit dem Auto anhielten, das Strick-Tag fotografierten und sich verwundert am Kopf kratzten. Damals wurde die Idee geboren: Lass und das auf die Straße bringen – nach der Art von Graffiti! Lass uns alles Mögliche mit gestrickten Tags versehen.“ Magda Sayeg, Gründerin von KnittaPlease(Moore/Prain 2011: 20)
Magda Sayeg und ihre wachsende Gruppe entwickelten ihre Idee weiter, dabei wurden die umstrickten Gegenstände immer größer: sie umstricktenbeispielsweise einen Bus in Mexico City.
Innerhalb weniger Jahre verbreitete sich das Guerilla Knitting dank der aktiven Gruppenmitglieder von Knitta in Nordamerika und in Europa. Eines der ersten Strickgraffitis in Deutschland tauchte 2010 in Frankfurt am Main auf. Schnell folgten Strickgraffitis in anderen deutschen Städten wie Berlin oder Bochum. Mittlerweile sind die handgearbeiteten Verschönerungen zu einem nahezu weltweit verbreiteten Phänomen geworden. Auch in den (Groß-)Städten Frankreichs und Spaniens gibt es aktive Gruppen. Eine der aktivsten in Frankreich ist Collectif France Tricot ( http://c-f-t.net/, letzter Zugriff: 15.1.2015). Die beiden Hauptmitglieder Emmanuelle Barrère und Solène Lebon-Couturier begannen 2008 gemeinsam zu stricken und ihre fertigen Objekte im öffentlichen Raum anzubringen. Sie sind hauptsächlich in Paris und Berlin aktiv und haben auch an einigen Ausstellungen teilgenommen. Über ihre Aktivitäten berichten sie mit Fotos und Texten, aber auch mit Videos auf ihrer umfangreichen Internetseite.
Motivationen und Intentionen
Es gibt unterschiedliche Beweggründe für die Strickguerilla. Einige betrachten die Handarbeit an sich als einen Widerstand gegen die Massenproduktion und lassen handgearbeitete Stücke, die in unserer Zeit oft besonders wertgeschätzt werden, als eine Form der Anarchie zurück. Manche wollen mit ihren Installationen die Handarbeit aus ihrem häuslichen Kontext befreien und sind feministisch motiviert, wenn sie mit ihren Arbeiten für die Anerkennung der Frauen und ihrer (Hand-)Arbeiten eintreten. Andere StrickerInnen und HäklerInnen nutzen die Strickgraffitis auch, um mit neuen Mustern zu experimentieren und zeigen ihre Vorarbeiten der Öffentlichkeit. Schließlich werden Strickgraffitisauch für politische Aussagen genutzt oder als Plattform, um gegen verschiedene gesellschaftliche Problematiken zu demonstrieren; beispielsweise gegen Atomkraft, Großprojekte wie Stuttgart 21 oder Flüchtlingspolitik.
Ein für die meisten StrickerInnen gültiger Grundsatz wurde von Magda Sayeg formuliert: Sie wollen „dem tristen öffentlichen Raum etwas Wärme zurückzugeben, ohne dabei etwas zu beschädigen“ (Kimminich/Persello 2011: 76)
Effekte und Reaktionen
Aufgrund ihrer Seltenheit führen Strickgraffiti im öffentlichen Raum oft zur allgemeinen Überraschung. „Wer von uns umwickelte Gegenstände anschaut“, so Magda Sayeg, „wird weder ärgerlich noch wütend. Er wird glücklich.“ (Moore/Prain 2011: 15). Miraché, die Objekte in U-Bahnen einstrickt, sagt: „Auf einmal sehen die Leute wieder die Haltestangen, weil sie plötzlich so weich und bunt geworden sind.“ (Kimminich/Persello 2011: 77). Gegenstände, mit denen jeder tagtäglich zu tun hat, die aber kaum einer mehr wahrnimmt, erhalten durch die Strickgraffitis wieder Aufmerksamkeit. Einige Aktive der Guerilla Knitting-Szene umstricken auch Kriegsgerät, was ein deutliches Zeichen gegen Gewalt setzt. Ein Panzer im Wollkleid sieht friedlicher und harmloser aus, er wird entschärft.
Da die Strickgraffitis normalerweise nichts beschädigen, akzeptiert sie die Mehrzahl der Stadtverwaltungen und geht meistens nicht dagegen vor. Es gibt aber auch Fälle, in denen Schäden an Bäumen befürchtet werden, durch eventuelle Feuchtigkeit und Pilze, die sich unter der Wolle bilden können. Dann müssen die Strickgraffitis wieder abgenommen werden. Aufgrund der generell geringeren Haltbarkeit der Strickgraffiti werden die Aktionen von den StrickerInnen meist fotografisch dokumentiert und in Blogs oder sozialen Netzwerken veröffentlicht.
Vermarktung
Mit dem wachsenden Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad wurde auch das Interesse der Wirtschaft an Strickgraffitis und ihren Herstellerinnen und Herstellern geweckt. Manche Unternehmen werben mit Strickgraffitis, um durch das „neue“ Phänomen Aufmerksamkeit für ihre Produkte zu erhalten. Die Pionierin des Guerilla Knittings, Magda Sayeg, kooperierte beispielsweise mit 7up free und umstrickte einen roten Doppeldeckerbus in London, um für dieses Getränk zu werben.
Auch der Getränkehersteller Bionade wirbt in einem Spot mit Strickgraffitis, die dem Getränk ein erfrischendes Image verleihen sollen.
Video
Quellen:
- Deadly Knitshade (2011): Knit the City. Maschenhaft Seltsames. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag.
- Hornung, Annabelle (2011): Do it yourself. Die Mitmach-Revolution. Mainz: Ventil-Verlag.
- Kimminich, Eva/Persello, Mara (2011): Stadt und Zeichen. Ausstellungskatalog. Potsdam : Univ. Potsdam, Professur für Kulturen romanischer Länder.
- Moore, Mandy/Prain, Leanne (2011): Strick Graffiti.Kuscheliges für Mauern, Ampeln und Bäume, Street Art stricken und häkeln. München: Droemersche Verlagsanstalt Th. KnaurNachf. GmbH und Co. KG.
Im Internet
- Gallinge, Marie-Joëlle (2013): Schön gestrickt. Im WWW unter: http://www.qiez.de/weissensee/freizeit/hobby/urban-knitting-verschoenert-das-graue-berlin/64194776 (zuletzt aufgerufen am 22.1.2015).
- Höss, Laura (2011): Achtung, die Strickguerilla kommt! Im WWW unter: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/urban-art-in-muenchen-achtung-die-strick-guerilla-kommt-1.1171386 (zuletzt aufgerufen am 22.1.2015).
- Rossbauer, Maria (2011): Wenn die Laterne lila Strümpfe trägt. Im WWW unter: http://www.taz.de/!65766/ (zuletzt aufgerufen am 22.1.2015).
- Schneider, Anna-Maria (2014): Guerilla Knitting: Bäume erstrahlen im bunten Wollmantel. Im WWW unter: http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Guerilla-Knitting-Baeume-erstrahlen-im-bunten-Wollmantel;art372448,6792553 (zuletzt aufgerufen am 22.1.2015).
- Unbehauen, Sebastian (2012): Ulmer Strick-Guerilla muss Bäume wieder „entkleiden“. Im WWW unter: http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/Ulmer-Strick-Guerilla-muss-Baeume-wieder-entkleiden;art4329,1508316 (zuletzt aufgerufen am 22.1.2015).
Autorin | Lena Springer |
Zeitraum | Februar 2015 |