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Weltentwürfe

Erkundungen der vierten Dimension im Computerspiel

Die Computerspieleentwicklung waren lange von dem Bestreben gekennzeichnet, das Verhalten und Aussehen der Wirklichkeit zu imitieren. Doch seit etwa zehn Jahren ist – ausgelöst durch den Erfolg des Spiels ‚Portal‘ – eine alternative Bewegung zu beobachten, die eine Virtualisierung der Raumverhältnisse selbst betreibt, insbesondere durch die Interaktion in vierdimensionalen Welten. Im Beitrag wird hierzu auf die Anfänge dieses Denkens zum Beginn der 20. Jahrhunderts im Umfeld der neuen Physik, Architektur, Ästhetik und eines zugehörigen Spiritismus eingegangen und deren Nachwirken in digitalen Spielen aufgezeigt.

Stephan Günzel
Foto: Stephan Günzel

Prof. Dr. Stephan Günzel ist seit 2018 Gastprofessor und Fachgebietsleiter für Medienwissenschaft an der TU Berlin. Seit 2011 ist er als Professor für Medientheorie an der University of Applied Sciences Europe (UE) in Berlin im Fachbereich Art & Design tätig. Er leitet dort seit 2016 das Institut für gestalterisches Forschen und war 2012 bis 2013 Forschungsdekan. 2014 gründete er den Bachelor-Studiengang Game Design der UE, nachdem er ab 2008 das von ihm mitgegründete Zentrum für Computerspielforschung an der Universität Potsdam koordinierte. Er war 2009 Gastprofessor für Kulturtheorie und Raumwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (Lehrvertretung Prof. Dr. Hartmut Böhme). Als Visiting Fellow war er 2010 am Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum der Universitäten Trier sowie 2012 und 2014 im DFG-Graduiertenkolleg „Dynamiken von Raum und Geschlecht“ an der Universitäten Kassel und Göttingen tätig. Von 2005 bis 2008 forschte er im Bereich der vergleichenden Bildtheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und bereitete dort seine 2012 erschienene Habilitationsschrift zum Raumbild des Computerspiels vor, mit der er 2011 die doppelte Venia für Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft an der Universität Potsdam erlangte.

Stephan Günzel
Foto: Stephan Günzel

Von der „produktiven Einbildungskraft“ (Kant) zum „Pluriversum“ (James) und dem „kategorischen Konjunktiv“ (Plessner) der personalen Lebensführung

Hans-Peter Krüger (Universität Potsdam, Philosophie)

Im Unterschied zur reproduktiven Einbildungskraft, die erfahrenes Gegebenes nur wieder vorstellt und nach Assoziationsgesetzen mit anderen Vorstellungen kombiniert, nennt Immanuel Kant die produktive Einbildungskraft eine spontane Leistung, die sinnliche Anschauungsformen mit den Verstandeskategorien durch neue Schemata synthetisiert. Aber nicht nur in der Erkenntnisgewinnung sei  diese Imaginatio erforderlich, sondern auch als Ideal der Glückseligkeit in der praktischen Lebensführung. William James radikalisiert den Primat der Praxis künftiger Lebensführung in der Frage danach, wie Menschen den Glauben an ihre lebensbejahende Zukunft wahr machen können. Dem stehe ein hierarchisch organisiertes Block-Universum, das entweder von unten durch die Materie oder von oben durch einen Herrscher-Gott eindeutig determiniert werde, im Wege, während es durch ein Pluriversum, das der Vielfalt von Individualitäten in ihren neuen Verbindungen Spielraum gewährt, begünstigt werde. Er rückt an die Stelle der üblichen Entweder-Oder-Alternativen (entweder physisch oder psychisch, entweder materiell oder geistig) neue Zusammenhänge zwischen den Seiten dieser Unterschiede. Auch Helmuth Plessner denkt anschauungsbezogen hybride Überlagerungen, in denen Lebendiges vergeistigt und Geistiges verlebendigt werden kann. Das personale Leben brauche einen kategorischen, also unbedingt nötigen Konjunktiv, um erfüllt geführt werden zu können. Dieser kategorische Konjunktiv wird nicht nur sprachphilosophisch als Konjunktiv irrealis (im Unterschied zum Indikativ und Imperativ) erläutert, sondern auch natur- und kulturphilosophisch als utopischer Standort ausgeführt. Die Theorien der natürlichen und kulturellen Evolution beruhen auf dem Selektionsproblem von Möglichkeiten, die hier und jetzt ausgeschlossen und verfestigt werden, im Prozess aber erneut zur Disposition stehen, wenn Evolution nicht in einer Ausschließung tödlich erstarren soll. - Dieser problemgeschichtlich exemplarische Weg von Kants Problem der Synthese zu James‘ und Plessners hybriden Überkreuzungen zwischen Lebens- und Geistformen ist einer der Pluralisierung von Welt.  

Hans-Peter Krüger
Foto: Hans-Peter Krüger

Hans-Peter Krüger ist Professor für Politische Philosophie und Philosophische Anthropologie am Institut für Philosophie der Universität Potsdam. Monographien: Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik. Deutsch-jüdische und pragmatistische Moderne-Kritik, Berlin 2009; Gehirn, Verhalten und Zeit. Philosophische Anthropologie als Forschungsrahmen, Berlin 2010; Heroismus und Arbeit in der Entstehung der Hegelschen Philosophie, Berlin 2014; Homo absconditus. Helmuth Plessners Philosophische Anthropologie im Vergleich, Berlin 2019.  

Hans-Peter Krüger
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