Projekthintergrund
In den vergangenen 20 Jahren hat die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern, charakterisiert durch den Ausprägungsgrad motorischer Leistungen (z. B. Sprungweite im Standweitsprung, zurückgelegte Laufdistanz im 6-min-Lauf), merklich an politischem und wissenschaftlichem Interesse gewonnen und sich als öffentlicher Diskussionsbestandteil hervorgetan. In verschiedenen öffentlichen Foren werden die Schlagworte Urbanisierung, Mediatisierung, Bewegungsmangel und Adipositas in Verbindung mit einer jungen Generation ohne Puste, mit Kraftdefiziten, Haltungsschwächen und breitgefächerten Koordinationsproblemen gebracht. Dabei werden jene öffentlichen Sichtweisen als auch gleichgerichteten erfahrungsbezogenen Einschätzungen vieler Pädagogen_innen, Mediziner_innen und Trainer_innen nicht zuletzt durch wissenschaftliche Trendanalysen bekräftigt, die vielfach einen Leistungsrückgang der heutigen im Vergleich zu früheren Generationen sowie eine Zunahme an Kindern mit motorischen Defiziten resümieren (Bös et al., 2009a; Runhaar et al., 2010; Tomkinson et al., 2003).
Den Ergebnissen zur Leistungsregression im zeitlichen Verlauf steht heutzutage ein guter Kenntnisstand zur Bedeutung der motorischen Leistungsfähigkeit für die (lebenslange) Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung von Heranwachsenden gegenüber. So konnte u. a. nachgewiesen werden, dass die motorische Leistungsfähigkeit negativ mit Übergewicht und Fettsucht sowie positiv mit der Knochendichte/-masse im Kindes- und Jugendalter korreliert (Ortega et al., 2008; Smith et al., 2014). Längsschnittstudien konnten die Schlüsselrolle der motorischen Leistungsfähigkeit im Kindesalter für den weiteren Lebensgang offenlegen, indem bereits im Kindesalter eine geringe motorische Leistungsfähigkeit mit einem erhöhten Risiko assoziiert ist, im Erwachsenenalter kardiovaskuläre Erkrankungen zu erleiden (Hruby et al., 2012; Kristensen et al., 2006). Darüber hinaus bestehen positive Zusammenhänge zwischen dem motorischen Leistungsniveau von Heranwachsenden und verschiedenen psychischen, emotionalen und sozialen Gesundheitsparametern, wie z. B. dem Selbstbild und der Lebenszufriedenheit (Olive et al., 2012; Padilla-Moledo et al., 2012a/b). In jüngster Zeit wurde ferner die positive Beziehung zwischen motorischen und kognitiven/schulischen Leistungen empirisch herausgearbeitet (Chomitz et al., 2009; Haapala, 2013) und bildungspolitisch aufgegriffen.
In diesem Kontext avanciert nationenübergreifend die populationsbezogene kontinuierliche Erfassung und Förderung motorischer Leistungen im Kindesalter zu einem integralen Bestandteil der kollektiven Gesundheitsprävention und wird durch entsprechende wissenschaftliche und politische Empfehlungen forciert (Fulton et al., 2004; Institute of Medicine, 2012; KMK, 2010). Unter der Prämisse der Erreichbarkeit aller Kinder, unabhängig von sozialen, ökonomischen oder ethnischen Faktoren, definiert hierbei das Setting Schule (im/über den Sportunterricht) einen geeigneten Rahmen für eine motorische Leistungserfassung (vgl. Fitness-Monitoring) (Pelegrini et al., 2011; Tambalis et al., 2011).
Bestärkt durch die damaligen aktuellen Ergebnisse des Ersten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts (Schmidt et al., 2003) sowie den besorgniserregenden Statistiken zu den Schuleingangsuntersuchungen (d. h. gestiegene Prävalenzraten von Adipositas und Bewegungsstörungen) wurde in Deutschland die Thematik „Fitness-Monitoring“ im Jahr 2006 auch erstmals in Form politischer Empfehlungen (intern) aufgegriffen (SMK, 2007). So empfiehlt die Sportministerkonferenz (SMK) „[…] bundesweit das Niveau motorischer Fertigkeiten und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen zu erheben, um zukünftige politische Entscheidungen auf der Grundlage verlässlicher Daten treffen zu können.“ (Beschlussvorlage 30. SMK, 2006 [SMK, 2015]). Des Weiteren beauftragte die SMK die Sportreferentenkonferenz in Zusammenarbeit mit der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) zunächst ein standardisiertes Testverfahren vorzuschlagen, was in der Entwicklung und Publikation (2009) des „Deutschen Motorik Tests 6-18 (DMT 6-18)“ mündete (Beschlussvorlage 31. SMK 2007 [SMK, 2015]) (K. Bös et al., 2009b). Die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder schloss sich im Jahr 2010 in ihrer themenbezogenen Stellungnahme zur kontinuierlichen Erfassung der motorischen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern der Empfehlung der SMK an und verweist mit Bezug auf das föderale Strukturprinzip Deutschlands darauf, „[…] dass die Länder in eigener Verantwortung über die Durchführung von Tests, die Testinstrumentarien [d. h. welche Tests genutzt werden] und die Verwendung der Daten entscheiden bzw. den Schulen diese Entscheidung überlassen können.“ (KMK, 2010)
Geleitet durch den Voraussetzungscharakter der motorischen Leistungsfähigkeit für die Erbringung sportlicher Spitzenleistungen galt im organisierten Sport die Erfassung motorischer Leistungen im Kindesalter bis dato ausnahmslos dem Screening von Talenten und deren sportlicher Förderung. Mit dem Ziel der „Einführung sportartübergreifender Bewegungs-Checks“ bezieht der DOSB in seinem „Nachwuchsleistungssportkonzept 2020“ nun erstmalig die motorische Förderung der Gesamtpopulation (d. h. bspw. alle Grundschüler_innen) entsprechend ihres aktuellen Leistungsstandes mit ein, so dass „[…] Kinder in Anbetracht der demographischen Entwicklung gezielt auf Talentförderangebote orientiert, in den Vereinssport eingebunden oder zu Bewegungsförderprogrammen geführt werden.“ (DOSB, 2013).
Vor dem Hintergrund der Bedeutung der motorischen Leistungsfähigkeit für die Gesundheit und die kindliche Persönlichkeitsentwicklung und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Brandenburgischen „EMOTIKON-Studie 2006-2009“ wurde 2009 das Projekt „EMOTIKON-Grundschulsport“ initiiert.
Weitere Informationen zu den Hintergründen von EMOTIKON können Sie dem neuem EMOTIKON-Podcast entnehmen!