12. Potsdamer MenschenRechtsTag
Die Rolle des zivilen Ungehorsams für die liberale Demokratie
Am 4. Dezember 2024 fand an der Universität Potsdam eine Podiumsdiskussion über den zivilen Ungehorsam statt. Drei Experten – Robin Celikates, Dieter Rucht und Marcus Schladebach – diskutierten über die Bedeutung und Grenzen des zivilen Ungehorsams.
Celikates: Ziviler Ungehorsam als Beitrag zum demokratischen Fortschritt
Celikates betonte, dass ziviler Ungehorsam legitim, aber illegal sein könne. Er müsse disruptiv sein und auf politische Veränderung zielen. Ziviler Ungehorsam sei ein Beitrag zum demokratischen Fortschritt, indem er Defizite der Demokratie sichtbar mache. Dabei hob Celikates die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen außerhalb institutioneller Strukturen hervor, um strukturellen Demokratiedefiziten entgegenzuwirken, die moderne Massendemokratien beinträchtigen können. Historisch und heute seien Proteste und ziviler Ungehorsam oft von der Gesellschaft abgelehnt und kriminalisiert worden. Häufig ändere sich die Bewertung solcher Handlungen erst retrospektiv, wenn ihre Bedeutung für gesellschaftlichen Fortschritt erkannt werde – so wie im Fall von Martin Luther King, der später zur Ikone des gewaltfreien Widerstands wurde. Die selektive Reaktion auf Protest, wie z.B. bei den Klima- oder Palästinaprotesten, zeige, dass die Gesellschaft noch immer nicht bereit sei, sich mit den Forderungen der Protestierenden auseinanderzusetzen.
Celikates definierte zivilen Ungehorsam als eine Handlung, die zwar absichtlich Rechtsverstöße begehe, aber nicht auf organisierte physische Gewalt abzielt. Im Gegensatz zu anderen Straftaten sei ziviler Ungehorsam prinzipienbasiert und resultiere nicht aus einem kriminellen Motiv: Er sei wesentlich symbolisch und ziele auf politische Veränderung ab. Die Rechtfertigung einzelner Aktionen sei grundsätzlich legitim, aber die Angemessenheit und Effektivität in einer strategischen Perspektive seien zu berücksichtigen.
Rucht: Ziviler Ungehorsam als gewaltfreier Regelbruch
Rucht definierte zivilen Ungehorsam als gewaltfreien Regelbruch, der auf geteilte Werte rekurrieren solle. Er unterschied zwischen zwei Varianten des zivilen Ungehorsams: einer liberalen und einer radikaldemokratischen. Die liberale Variante bewege sich innerhalb des bestehenden demokratischen Rahmens und ziele auf punktuelle Korrekturen, beispielsweise die Änderung einzelner Gesetze, ohne die grundlegende Ordnung infrage zu stellen. Die radikaldemokratische Variante hingegen richte ihren Fokus nicht auf einzelne Reformen, sondern betrachte das gesamte System. Sie strebe an, den demokratischen Rahmen auszuweiten. Rucht betonte, dass ziviler Ungehorsam eine bedeutende Protestinnovation sei, die erst im 20. Jahrhundert entstanden sei. Er nannte den von Mahatma Gandhi initiierten Salzmarsch von 1930 als Beispiel für die Strahlkraft des zivilen Ungehorsams.
Gleichwohl betonte Rucht, dass ziviler Ungehorsam nicht nur wenige Mutige, sondern auch einen Resonanzboden benötige, insbesondere eine liberale Öffentlichkeit, die solche Aktionen wahrnehme und diskutiere. Er betonte, dass ziviler Ungehorsam eine Bandbreite an Formen annehmen könne, von der Teilnahmezahl bis zur Dauer, öffentlichen Resonanz und Aufwand. Rucht sah zivilen Ungehorsam als potentiell zielführendes Konzept an, das jedoch Anforderungen entsprechen müsse und weitere Demokratisierung anstreben solle. Dabei hob er zusätzliche Bedingungen hervor: Der Protest solle de-eskalierend und transparent, also nicht anonym, erfolgen, eine prinzipielle Anerkennung der Verfassung wahren und auf eine bewusste Entziehung vor der Strafverfolgung verzichten.
Schladebach: Ziviler Ungehorsam als unzulässiger Rechtsbruch
Schladebach argumentierte, dass ziviler Ungehorsam unzulässig sei, da er einen beabsichtigten und kalkulierten Rechtsbruch darstelle. Ziviler Ungehorsam sei auch kein Rechtfertigungsgrund und könne nur innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung rechtmäßig sein. Schladebach betonte, dass die Rechtsordnung als ausgedrückter Konsens gelte und dass ziviler Ungehorsam daher nicht vorgesehen sei.
Schladebach argumentierte, dass Meinungsfreiheit wichtig für die Demokratie sei, aber auch Grenzen habe. Die Versammlungsfreiheit sei friedlich und ohne Waffen zu praktizieren, die Gewissensfreiheit sei individuell, aber Fernziele eher allgemein zu definieren. Widerstandsrecht sei Ultima ratio und ziviler Ungehorsam könne durchaus als Argument dienen, wenn es um die Verhältnismäßigkeit und die Strafzumessung gehe.
Diskussion
In der Diskussion wurde einerseits die Frage aufgeworfen, ob es generell eine Akzeptanz von Protest gebe, und andererseits darauf hingewiesen, dass die regulären Beteiligungsmöglichkeiten oftmals nicht erfolgsversprechend seien.