Frau Wolf, wie geht es Ihnen?
Den Umständen entsprechend, würde ich sagen. Es gibt gute und schlechte Tage.
Wie sieht derzeit Ihr Arbeitsalltag aus?
Ich komme an etwa zwei Tagen pro Woche wirklich zum konzentrierten Arbeiten, für ein paar Stunden am Stück immerhin. Ein Tag geht komplett für die Vorbereitung von Lehre drauf, am anderen will ich eigentlich an meiner Dissertation weiterschreiben. Zwischendurch bin ich natürlich auch an allen anderen Tagen zusätzlich in Kontakt mit Kolleg*innen, mit Studierenden in meinen Seminaren und mit Studierenden, deren Abschlussarbeiten ich betreue. Insofern: Auch wenn ich das Gefühl habe, gar nicht richtig zum Arbeiten zu kommen, merke ich, dass ich eigentlich ständig Mails schreibe oder beantworte und es kaum eine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben gibt.
Wie finden Sie für Ihre Dissertation die nötige Konzentration?
So gut wie gar nicht, um ehrlich zu sein. Ich war vor der Corona-Zeit in einer intensiven Schreibphase, die dann plötzlich abgebrochen werden musste. Das ärgert mich, weil ich die Zeit fest eingeplant hatte und sie auch brauche, um voranzukommen. Das Schreiben erfordert ja nicht nur Konzentration, sondern auch Kreativität. Und die lässt sich schwer auf Knopfdruck zu einem festgelegten Zeitpunkt herbeiführen.
Zusätzlich stehen Sie jetzt vor der Herausforderung, sehr schnell Online-Formate für die Lehre zu entwickeln. Wie kommen Sie damit klar?
Das empfinde ich tatsächlich noch als eine der schöneren Herausforderungen in der aktuellen Situation. Ich gebe in diesem Semester zwei Seminare, die ich zum Glück im Februar schon fertig geplant hatte. Insofern stand ich nur vor der Aufgabe, zu überprüfen, wie ich den ursprünglichen Plan ändern muss, um ihn online-tauglich zu machen. Ich spreche für beide Seminare wöchentlich einen kleinen Podcast ein, nutze die interaktiven Tools auf moodle und ab nächster Woche auch Zoom, um den Studierenden und mir die Möglichkeit zu geben, auch mal persönlicher in Kontakt zu treten. Ungewohnt und neu ist es natürlich, dass wir im Seminar vor allem nur asynchron miteinander agieren und dass es keine direkten Rückmeldungen, Fragen oder Diskussionen gibt. Insgesamt bin aber ganz guten Mutes, auch online gute Lehre anbieten zu können.
Was kostet mehr Kraft: zu Hause die eigenen Kinder oder via Internet die Studierenden zu unterrichten?
Definitiv der Unterricht mit meinen Kindern. Sie gehen in die 6. und 3. Klasse einer Ganztagsschule. Der Lernstoff, die Anforderungen und der Umfang unterscheiden sich da schon gewaltig. Außerdem waren Hausaufgaben bisher eigentlich nicht an der Tagesordnung, weil die in der Regel nachmittags in der Schule erledigt wurden. Für die Kinder bedeutet das eine Umstellung, weil das gewohnte Lernumfeld, die sozialen Kontakte und Freundschaften und auch die Struktur im Tagesablauf weggebrochen sind. Die Kinder haben von der Schule einen netten Zettel für die Corona-Zeit bekommen, auf dem steht: „Halte dich an die Schulzeiten und denke auch an die Pausen!“ Wenn wir versuchen würden, das umzusetzen, dann müsste ich von 8 bis 16 Uhr den Tag komplett an den Schulrhythmus anpassen und danach noch ein bisschen „quality time“ mit den Kindern verbringen. Das ist schlicht nicht umsetzbar. Digitale Angebote gab es von unserer Schule in Form einer Lernplattform, auf der die Kinder selbstständig Aufgaben machen und zur Belohnung dann mal ein kleines Spiel spielen konnten. Das ist eine tolle Idee, weil sie sich da ohne Betreuung dransetzen konnten, bedeutet aber auch, dass in der Zeit zwei Computer belegt sind. Ansonsten hat jedes Kind einen Stapel an Arbeitsblättern bekommen, die sie beide nicht selbstständig bearbeiten können. Mal mangelt es am Verstehen der Aufgaben, mal an der Motivation, und manchmal finden sie die Aufgaben einfach blöd – und ich auch. Meine Aufgabe ist also: motivieren, begleiten, seit den Osterferien auch neue Lerninhalte mit den Kindern erarbeiten, den Lehrkräften regelmäßig Ergebnisse zuschicken, gleichzeitig den Kindern keinen Druck machen. Im Vergleich dazu fühlt sich die Online-Lehre mit den Studierenden wie Wellness an.
An der Universität sind Sie dezentrale Gleichstellungsbeauftragte. Bekommen Sie derzeit vermehrt Anfragen von Beschäftigten, die wie Sie Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut bekommen müssen?
Nein, keine offiziellen Beratungsanfragen in unserer Fakultät. Aber ich führe viele Gespräche mit Beschäftigten, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich. Was ich mitbekomme, ist, dass insgesamt an der Uni Potsdam ein ganz guter, an den individuellen Lebenslagen und Schwierigkeiten orientierter Umgang gepflegt wird. Es gab die Möglichkeit für Eltern mit Kindern unter 12 Jahren, unkompliziert zehn freie Tage zu beantragen, und bisher habe ich nur von Vorgesetzten gehört, die Verständnis für die Situation haben und nach konstruktiven Lösungen suchen. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch andere Fälle gibt. Die Rahmenbedingungen der Mitarbeitenden an der UP unterscheiden sich ja je nach Qualifikationsstufe, nach Finanzierung, nach Vertragslaufzeit. Und dann gibt es an der Uni natürlich nicht nur Beschäftigte, sondern auch Studierende mit Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen. Ich weiß, dass es dazu sehr viele Anfragen beim Service für Familien und im Koordinationsbüro für Chancengleichheit gibt.
Wo liegen die größten Probleme?
Ich sehe Probleme vor allem bei wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die über Drittmittel finanziert und insofern an feste Projektlaufzeiten gebunden sind. Personen, die, so wie ich, Feldaufenthalte für ihre Forschungsprojekte geplant hatten, brauchen Zeit, Ideen und Unterstützung, um ihre Projekte den neuen Umständen anzupassen. Dann bei Studierenden, die aufgrund des Shutdowns ihre Nebenjobs verloren haben und jetzt in prekäre oder auch existenzielle Notlagen geraten. Wenn dann noch Kinder oder Angehörige dazukommen, die versorgt werden müssen, kann man nicht erwarten, dass die Zeit für regelmäßige Zoom-Konferenzen oder sonstige reguläre Studienleistungen gegeben ist. Für Personen mit psychischen Erkrankungen kann die Situation enorm destabilisierend sein, und gleichzeitig ist die Hürde, diese Themen z.B. mit Vorgesetzten oder Lehrenden anzusprechen, sehr hoch. Eine weitere Gruppe, die bisher noch kaum auf dem Radar ist, sind Studierende und Beschäftigte aus dem Ausland mit Visums- und Aufenthaltsauflagen. Ich habe mehrere Kolleg*innen, die als Scholars at Risk befristet an die Uni Potsdam gekommen sind und deren Situation sich nun durch die Pandemie enorm verschärft.
Welche Unterstützungen werden benötigt?
Ganz kurz und knapp: Neben Verständnis braucht es Zeit und Geld. Die zentrale Gleichstellungsbeauftragte, Christina Wolff, und die Leiterin des Service für Familien, Dörte Esselborn, haben ein gemeinsames Papier mit konkreten Handlungsempfehlungen für die UP verfasst (https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/gleichstellung/Dokumente/Auswirkungen_Corona_Familien_Gleichstellung.pdf). Dort sind aus meiner Sicht die wichtigsten Punkte zusammengetragen. Es braucht Unterstützung, alternative Angebote oder ggf. auch ganz konkrete Ausstattung für Studierende, die z.B. nicht über einen leistungsfähigen Computer und eine schnelle Internetverbindung verfügen. Um solche Bedarfe überhaupt erfassen zu können, braucht es aber auch klare Verantwortliche und Ansprechpartner*innen innerhalb der UP und natürlich die Möglichkeit, diese auch erreichen zu können. Es muss darauf hingearbeitet werden, dass sich nicht langfristig wissenschaftliche „Karriereknicks“ ergeben, weil Drittmittel- oder Stipendiengeber ihre Fristen nicht verlängern und Mitarbeitende ihre eigene Qualifikation zugunsten des Projektabschlusses hintanstellen. Für den Verwaltungsbereich gilt wie für alle Bereiche: Die Vorgesetzten sollten die möglichen Problemlagen proaktiv ansprechen und mögliche Lösungen vorschlagen und nicht abwarten, bis sich Personen in einer akuten Mehrfachbelastung von sich aus melden. Dann ist es nämlich oft schon zu spät, noch alternative Handlungsmöglichkeiten auszuloten.
Die gegenwärtige Krise hat bestehende soziale Ungerechtigkeiten noch einmal verschärft oder aber deutlich sichtbar werden lassen. Als Soziologin reflektieren Sie die Situation auch aus fachlicher Perspektive. Was muss sich ändern?
Es ist immer einfacher, Problematiken zu benennen, als fertige Lösungsvorschläge zu servieren. Wenn ich persönlich mir etwas wünschen dürfte: eine Reformierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Wir merken jetzt, wie verunsichernd es ist, keine langfristige Perspektive zu haben, die Zukunft nicht planen zu können. Für prekär Beschäftigte – und das sind die im Wissenschafts- und Hochschulbetrieb Beschäftigten eben auch – ist das sowieso schon oft Realität und verschärft sich jetzt noch. Wenn wir über den Horizont der Hochschule hinausblicken, dann ist offenkundig, dass sich die gewachsene Wertschätzung und Anerkennung derjenigen, deren Arbeit gerade absolut unentbehrlich ist, auch finanziell ausdrücken muss. Die gesellschaftlich wichtigen Arbeitsfelder im Lebensmitteleinzelhandel, im medizinischen und Pflegebereich gehören zum Niedriglohnsektor. Zudem besteht die Gefahr, dass sich vergeschlechtlichte Ungleichheiten wieder verstärken, wenn die Mehrfachbelastung in Pflegeberufen und häuslicher Care-Arbeit vor allem an Frauen hängenbleibt. Gleichzeitig ist es mir wichtig zu betonen, dass genauso Männer unter prekären Beschäftigungs- und Lebensverhältnissen leiden. Meine Kollegin Käthe von Bose hat in einem Interview (https://genderblog.hu-berlin.de/vergeschlechtlichte-arbeit/) kürzlich nochmal die Perspektive der Intersektionalität starkgemacht, um diese vielfältigen, miteinander verschränkten Dimensionen von Ungleichheit erforschen und benennen zu können. Dem kann ich mich nur anschließen. Und um nochmal zum Homeschooling zurückzukommen: Bei der Bildungsungleichheit wird sich die Schere der sozialen Ungleichheit weiter öffnen. Da habe ich das Gefühl, dass man momentan nur mühsam versuchen kann, dass sie nicht allzu weit aufgeht.
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