Es ist neun Uhr, mein Wecker klingelt. Nach einem schnellen Frühstück mache ich mich mit Alan und Rosanna auf den Weg zur Arbeit. Praktischerweise kann man das Gebäude schon von der Wohnung aus sehen und es dauert nicht lange. Trotzdem nehmen wir das Auto. Bei den hiesigen Temperaturen ist schon ein zehnminütiger Fußweg Grund genug, wieder umzudrehen und noch einmal zu duschen. Die Firma sitzt in einem alten Industriegebäude. Die Außenfassade verrät davon nichts, aber in dem Gebäude findet man verschiedenste Branchen – von Wäschereien bis zu Kaffeeverkäufern. Wie jeden Morgen nehmen wir den Hintereingang. Ich laufe an drei großen Fahrstühlen mit schweren Metalltüren entlang und drücke auf jeden Knopf. Dabei nehme ich den alten, etwas drückenden Geruch wahr, der den Müllcontainern entsteigt, die direkt neben den Fahrstühlen stehen. Die Tür öffnet sich und uns kommen oberkörperfreie, verschwitzte Arbeiter entgegen, die ihren schweren Transportkarren aus dem Fahrstuhl ziehen. Wir treten ein und eine Brise lauwarmer Luft hüllt mich ein. Ich blicke nach oben, wo sich ein verstaubter Ventilator dreht.
Wenn wir unser Stockwerk erreichen, kommt der Fahrstuhl derart abrupt zum Stehen, dass ich dabei automatisch etwas in die Knie gehe. Jemand aus einem anderen Stockwerk hat sich einen kleinen Klappstuhl mitgenommen. An seiner Gangart kann ich erkennen, dass er Probleme beim Laufen hat. Bevor der Fahrstuhl hält, setzt er sich auf seinen Stuhl, um der Federung beim Anhalten nicht allzu sehr ausgesetzt zu sein. Rosanna schließt die schwere Metalltür für das Büro auf. Wir treten ein und schalten erst einmal alle Klimaanlagen an. Ich mache mir einen Tee und setze mich an meinen Schreibtisch, der in der Mitte des Raumes gegenüber von Rachels Arbeitsplatz steht. Von außen ist nicht zu erkennen, wie modern das Büro eingerichtet ist. Rosanna, Alan und die Sekretärin haben ihre eigenen Räume, die von großen Glaswänden umgeben sind. Überall gibt es Pflanzen, die von der Decke hängen oder auf der großen Fensterbank stehen, von der aus man auf die Berge und einige Hochhäuser blicken kann. Manchmal gehen die Pflanzen einfach ein, egal, wie sehr sich Rosanna um sie kümmert, und es gibt keine Aussicht auf Rettung. Doch ab und zu kommt vor, dass plötzlich wieder Leben im Topf erwacht und ein kleiner grüner Zweig auftaucht. Das bereitet ihr immer sehr viel Freude, erzählt mir Rosanna mit einem Lächeln.
Ich soll zur Übung eine eigene Trailer-Version des Filmes „The Rookies“ erstellen. Das dauert länger, als ich dachte. Den Film habe ich mir mittlerweile noch zweimal komplett angesehen. Einmal ohne Untertitel, um mich auf die Bilder zu konzentrieren, und ein weiteres Mal mit Untertiteln, um mir Gedanken zum Off-Text des Trailers machen zu können. Ein paar Szenen habe ich jetzt schon so oft gesehen, dass ich einige Sätze in Mandarin aufsagen kann.
Es ist Mittag. Während wir alle zusammensitzen, notiert mir eine Kollegin einige chinesische Schriftzeichen auf ein Blatt Papier und schreibt dazu: „Das sind die wichtigsten, die du können musst.“ Congee (Reisbrei), gelbe Nudeln, weiße Nudeln, Reis. Ich versuche, die Schriftzeichen nachzumalen. Meine Mutter hat mir früher einige beigebracht, aber hängengeblieben sind davon nur sehr wenige. Die Regel, in welcher Reihenfolge die Linien geschrieben werden, ist von links nach rechts und von oben nach unten. Nach einer gefühlten Ewigkeit betrachte ich mein Werk. Ich vergleiche es mit den Zeichen der Kollegin. Ich fühle mich an meine Grundschulzeit erinnert, als ich schreiben gelernt habe. Auf dem Papier sehe ich zwei chinesische Schriftzeichen: ein kleines, das aussieht wie gedruckt, darunter ein unförmiges, viermal so großes, für das ich mehr als nur doppelt so lange gebraucht habe.
Nach der Mittagspause habe ich wieder genug Kraft, um mich mit dem Trailer auseinanderzusetzen und herauszufinden, was der richtige Workflow ist. Der Editor ist nicht im Haus, deshalb bin ich auf mich allein gestellt. Am Ende ist Alan von meiner ersten Version des Trailers überzeugt. Natürlich hat er trotzdem einige Anmerkungen und ich muss ihn überarbeiten. Das kenne ich aus Potsdam gut: Schneiden, Meinung einholen, überarbeiten, Meinung einholen, und so weiter. Bis jeder mit dem Ergebnis zufrieden ist.
In einigen Tagen geht es für mich wieder nach Deutschland. Ich hoffe, meine Rückreise läuft entspannter ab als mein Hinflug mit dem kleinen Zwischenstopp in Frankreich. Und der Taifun, welcher gerade gegen das Fenster weht, hält mich nicht davon ab am Montag wieder im OSZ Technik Teltow sitzen zu können – mit Jetlag!
Text: Gai Yian Kaya Neutzer
Online gestellt: Sabine Schwarz
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