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Die Kunst des Zuschauens – Angehende Deutsch-Lehrkräfte lernen in einem Seminar das Theater von innen kennen

Innovative Lehrprojekte 2022

 

Theatervorstellung
Deutschdidaktikerin Marion Höfner
Foto : AdobeStock/Pavel Losevsky
Angehende Deutsch-Lehrkräfte lernen in einem Seminar das Theater von innen kennen.
Foto : Jürgen Höfner
Deutschdidaktikerin Marion Höfner

Theater sind wichtige Orte öffentlicher Debatten und kultureller Bildung. Doch wird das auch in Zukunft noch so sein? Für die Deutschdidaktikerin Marion Höfner hängt das davon ab, ob junge Menschen bereits in der Schule mit dem Theater in Kontakt kommen. Deswegen bietet sie ein Seminar an, in dem die Studierenden auf Tuchfühlung mit Regisseur*innen, Theaterpädagog*innen und Schauspieler*innen des Hans Otto Theaters gehen. Aus diesem engen Austausch entwickeln die angehenden Deutsch-Lehrkräfte ein Konzept, um später Schülerinnen und Schülern ein tieferes Verständnis des Theaters und seiner Bedeutung zu vermitteln.

Ihre Lehrveranstaltung „Theaterverständnis im Deutschunterricht und im Seminarkurs entwickeln“ wird von der Unileitung als „innovatives Lehrprojekt“ gefördert. Worum geht es dabei?

Im Kern geht es darum, die Studierenden als angehende Deutschlehrerinnen und -lehrer stärker für das Theater als Teil literarischer Kommunikation und kultureller Bildung zu sensibilisieren. Die Entwicklung von Theaterverständnis als Zielgröße des Deutschunterrichts geht weit über das Lesen und Analysieren von Dramentexten hinaus. Dazu gehört ein Verständnis vom Theater als Institution, von Prozessen, die durchlaufen werden, um einen Text auf die Bühne und zu seinen Zuschauern zu bringen.

Zum einen gehen wir der Frage nach, was Schülerinnen und Schüler über das Theater wissen müssen, um eine Kunst des Zuschauens entwickeln zu können. Zum anderen widmen wir uns der Entwicklung des Theaters bis in die Gegenwart, seinen Wirkungsabsichten und der Vorstellung vom Zuschauer.

Was macht sie innovativ?

Häufig beschränkt sich der Deutschunterricht auf das Lesen und Analysieren eines Dramentextes. Tätigkeiten, die der Spezifik der Textsorte nicht gerecht werden, weil sie das mögliche Geschehen auf der Bühne, den Austausch über Varianten und Wirkungsmöglichkeiten einer Inszenierung des Textes vernachlässigen. Interesse und Verständnis für das Theater und die Besonderheit einer Aufführung lassen sich so nicht wecken. Das Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel bietet dazu zwar eine Alternative, hier geht es aber vordergründig darum, dass interessierte Schülerinnen und Schüler über einen langen Zeitraum selbst ein Stück inszenieren und Freude am Spiel entwickeln.
Den innovativen Charakter unserer Lehrveranstaltung sehen wir in drei Punkten: Erstens wollen wir die Studierenden für die Kunst des Zuschauens sensibilisieren, ihr Augenmerk als angehende Deutschlehrer auf die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu kompetenten Zuschauern richten. Das setzt einerseits Kenntnisse zu Theaterkonzeptionen, Gestaltungprinzipien und ihren Wirkungsmöglichkeiten auf der Bühne voraus und verlangt andererseits nach Einsichten in den Theaterbetrieb, in die Aufgaben und Herausforderungen der vielfältigen Theaterberufe.

Ein zentrales Merkmal der Lehrveranstaltung ist deshalb zweitens die Zusammenarbeit mit dem Theater selbst, mit Theaterpädagogen, Dramaturgen und Regisseuren, Vertretern der Intendanz sowie Schauspielern. In Theaterführungen unter verschiedenen Aspekten, in der Teilnahme an Proben, in Gesprächen und Workshops sammeln die Studierenden praktische Erfahrungen zum Theaterbetrieb und seinem Bedingungsgefüge.

Drittens liegt letztlich der innovative Charakter auch darin, dass die Studierenden am konkreten Gegenstand neue Möglichkeiten und Anforderungen fachdidaktischen Handels kennenlernen und praktisch umsetzen. Das ist zum einen das Entwickeln eines Schülermaterials, das zielgerichtet, sachgerecht und adressatenorientiert informiert, vielfältige Tätigkeiten herausfordert und unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten im Deutschunterricht der Sekundarstufe I bietet. Und das ist zum anderen das Entwickeln von Konzeptionen für einen Seminarkurs in der Sekundarstufe II. Hier liegt die Herausforderung und ganz neue Erfahrung für die Studierenden darin, einen wissenschaftspropädeutischen Kurs für einen Zeitraum von vier Schulhalbjahren in seinen Zielen, Schwerpunktsetzungen, Schülertätigkeiten und Lernerfolgskontrollen nach den Vorgaben des MBJS zu beantragen und zu planen. Am konkreten Beispiel besprechen wir Anforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten von Lernsettings, die die Schülerinnen und Schüler zum selbstbestimmten Handeln herausfordern und sie im Blended Learning unterstützt, ohne sie in ihrer Eigenverantwortung einzuengen oder dem Selbstlauf zu überlassen.

Warum wollten Sie mal etwas anders machen?

Oft steht im Zentrum der literaturdidaktischen Ausbildung die Professionalisierung der Planung, bezogen auf konkrete Unterrichtseinheiten und Stunden. Dabei arbeiten wir unter der Vorgabe konkreter literarischer Texte und klar formulierter Zielvorstellungen oft recht kleinschrittig mit den Studierenden.

Für das Besprechen und Durchspielen offener didaktischer Fragen oder das Einbeziehen von Gegenständen, die nicht fest im Curriculum verankert sind, bleibt in der Regel wenig Zeit.
Das Projektseminar ist viel offener gestaltet. Wir sprechen nicht nur darüber, wie Schule ist, sondern werfen auch einen innovativen Blick darauf, wie die Schule der Zukunft sein sollte und welche Bedingungen dabei zu setzen sind. Die Studierenden sind gefordert eigene Ideen durchzuspielen und diese in ihren Anforderungen, Potenzen und Grenzen zu diskutieren.

Wie entstand die Idee für das Projekt?

In der bisherigen Zusammenarbeit mit Theaterpädagogen des Hans Otto Theaters zeigte sich immer wieder, wie sich Theater- und Literaturverständnis gegenseitig bereichern können. Der Austausch über inszenierte Deutungsspielräume auf der Bühne weckte bei Studierenden Interesse für die Vielfalt der Möglichkeiten, sich mit Schülerinnen und Schülern einen literarischen Text zu erschließen.

Mit der Förderung unserer Lehrveranstaltung durch die Unileitung hatten wir die Möglichkeit, Gesprächsrunden und Workshops mit Theaterexperten (Dramaturgen, Regisseure, Schauspieler) zu finanzieren und gemeinsam intensive Arbeitsphasen zu spezifischen Aufgabenbereichen zu gestalten.

Was erhoffen Sie sich davon?

Zunächst einmal soll das Interesse der Studierenden für das Theater, seine Wirkungsmöglichkeiten und Angebote geweckt bzw. erweitert werden. Sie sollen als angehende Deutschlehrer verinnerlichen, wie produktiv die Zusammenarbeit mit Theaterpädagogen für ihren Unterricht ist und welchen besonderen Beitrag sie zur kulturellen Bildung ihrer Schülerinnen und Schüler leisten kann.

Gleichzeitig sollen die Studierenden angeregt werden, zunehmend bewusst im Austausch mit anderen nach eigenen Lösungsansätzen für einen schülerorientierten, zielgerichteten und sachgerechten Unterricht zu suchen, also nicht kritiklos fremde Konzeptionen der Unterrichtsgestaltung zu übernehmen.

Warum halten Sie es für wichtig, dass sich Schülerinnen und Schüler zu kompetenten Theaterbesuchenden entwickeln?

Die Theaterbesucher der Zukunft werden in der Schule entwickelt. Wollen wir erreichen, dass die Theater als wichtige Orte gesellschaftlicher Kommunikation und kultureller Bildung weiterhin Bestand haben, müssen Schülerinnen und Schüler positive Erfahrungen als Zuschauer gesammelt haben. Das setzt die Bereitschaft und Fähigkeit zum Entschlüsseln der Kommunikationsangebote und zum Austausch über Deutungspotentiale des auf der Bühne Dargestellten voraus.

Grundanliegen des Theaters ist es auch gegenwärtig, zur Sinnsuche und zum Nachdenken über eigene Weltsichten anzuregen, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen, sich dabei auf fremde Sichtweisen einzulassen, Kontroversen und Konflikte auszuhalten. Ein Potenzial, das besonders in der heutigen Zeit zu nutzen ist.

Gibt es erstes Feedback der Studierenden?

Die Studierenden bestätigen, dass sie ihre Kenntnisse über das Theater, seine Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten deutlich erweitert haben. Besonders wertvoll ist für sie die praktische Arbeit mit den Experten, aus denen sie viele Impulse für ihren Unterricht mitnehmen.

Sie heben aber auch hervor, dass die Lehrveranstaltung sie herausfordert und ermutigt, eigene Unterrichtsmodelle zu entwickeln und offen zu diskutieren. Das gäbe ihnen Sicherheit für ihr Denken und Handeln als zukünftige Lehrkraft.

 

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