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Abgeschlossene Promotionen

Lene Baumgart (2024)

Promotion im Rahmen des Projekts Organisationale Implikationen der Digitalisierung

Ausgehend von der Beobachtung, dass die aktuelle Digitalisierungsforschung die Ambivalenz der Digitalisierung zwar erkennt, aber nicht zum Gegenstand ihrer Analysen macht, fokussiert die Dissertation von Lene Baumgart auf die ambivalente Dichotomie aus Potenzialen und Problemen, die mit digitalen Transformationen von Organisationen einhergeht. Entlang von sechs Publikationen wird mit einem systemtheoretischen Blick auf Organisationen die spannungsvolle Dichotomie hinsichtlich dreier ambivalenter Verhältnisse aufgezeigt: Erstens wird in Bezug auf das Verhältnis von Digitalisierung und Postbürokratie deutlich, dass digitale Transformationen das Potenzial aufweisen, postbürokratische Arbeitsweisen zu erleichtern. Parallel ergibt sich das Problem, dass auf Konsens basierende postbürokratische Strukturen Digitalisierungsinitiativen erschweren, da diese auf eine Vielzahl von Entscheidungen angewiesen sind. Zweitens zeigt sich mit Blick auf das ambivalente Verhältnis von Digitalisierung und Vernetzung, dass einerseits organisationsweite Kooperation ermöglicht wird, während sich andererseits die Gefahr digitaler Widerspruchskommunikation auftut. Beim dritten Verhältnis zwischen Digitalisierung und Gender deutet sich das mit neuen digitalen Technologien einhergehende Potenzial für Gender Inklusion an, während zugleich das Problem einprogrammierter Gender Biases auftritt, die Diskriminierungen oftmals verschärfen.

Durch die Gegenüberstellung der Potenziale und Probleme wird nicht nur die Ambivalenz organisationaler Digitalisierung analysierbar und verständlich, es stellt sich auch heraus, dass mit digitalen Transformationen einen doppelte Formalisierung einhergeht: Organisationen werden nicht nur mit den für Reformen üblichen Anpassungen der formalen Strukturen konfrontiert, sondern müssen zusätzlich formale Entscheidungen zu Technikeinführung und -beibehaltung treffen sowie formale Lösungen etablieren, um auf unvorhergesehene Potenziale und Probleme reagieren. Das Ziel der Dissertation von Lene Baumgart ist es, eine analytisch generalisierte Heuristik an die Hand zu geben, mit deren Hilfe die Errungenschaften und Chancen digitaler Transformationen identifiziert werden können, während sich parallel ihr Verhältnis zu den gleichzeitig entstehenden Herausforderungen und Folgeproblemen erklären lässt.

 

Marcel Häßler (2022)

Die Polizei aus Sicht afghanischer Polizisten – Ein Perspektivwechsel

Wie definieren afghanische Polizisten gute Polizei? Dieser Frage widmet sich die Arbeit von Marcel Haessler der mittels narrativer biografischer Interviews mit afghanischen Polizisten eine afghanische Perspektive auf die Organisation Polizei untersucht.

Die afghanische Polizei gilt weithin als eine dysfunktionale Organisation die nach nahezu zwei Dekaden massiver Investitionen in Material, Personal, Strukturen und Prozesse von der Bevölkerung und internationalen Beobachtern als Last wahrgenommen wird. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass dies kein strukturelles, sondern vielmehr ein kulturelles Problem ist, das weit über den Organisationsrahmen der Polizei hinausgeht. Das kulturell bedingte Verständnis ‚guter‘ Polizei aus der Sicht afghanischer Polizisten zeigt Schnittmengen, aber auch Kontraste und Ambiguitäten zu einer ‚westlichen‘ Polizeiperspektive. Diese oftmals verborgenen kulturellen Wahrnehmungsdifferenzen, aber auch konträre Sinnzuschreibungen führen zu Missverständnissen auf Seiten der afghanischen Bevölkerung, der internationalen Geber und innerhalb der afghanischen Polizei. Die vorliegende Arbeit will durch den bewussten Fokus auf die kleinste geografische Organisationseinheit der afghanischen Polizei, den Polizeidistrikt und narrative Interviews mit Polizisten polizeikulturelle Deutungsmuster afghanischer Polizisten herausarbeiten.

 

Judith Muster (2020)

Grenzen des Organisierbaren. Studien zur Praxisrelevanz der Organisationssoziologie

Wie kann die Organisationssoziologie praxisrelevant den Ansprüchen gesellschaftskritischer Distanz und Reflexion gerecht werden? Die Dissertationsschrift von Judith Muster gibt darauf eine Antwort, indem sie aktuelle und wichtige Probleme des Managements bearbeitet und den Fragen der Digitalisierung und Datafizierung in Organisationen, der Frage von Führung und Hierarchie und dem Verhältnis von Organisationsberatung und Organisationssoziologie nachgeht. Empirischer Hintergrund ist eine Forschung zur Einführung postbürokratischer Organisationsmodelle in Unternehmen.

Judith Muster setzt sich in ihren Texten mit einer Kernfrage der organisationssoziologischen Community auseinander: wie können wir mit unseren Beiträgen Relevantes für die Praxis entwickeln, ohne den Standards wissenschaftlicher Forschung zu widersprechen?

Die dazu vorgelegte Arbeit besteht aus fünf Beiträgen. Zwei Beiträge beziehen sich auf das Thema Führung, einer auf Datafizierung, einer auf Organisationsberatung. Ein letzter Beitrag behandelt methodologische Fragen der organisationssoziologischen Erforschung von Managementmoden. Dazu kommt der Kumulus, der das Theorie-Praxis-Problem der Organisationssoziologie ins Zentrum stellt und die Beiträge so zusammenführt.

 

Shelan Ali Arf (2019)

Women's Everyday Reality of Social Insecurity The Case of Single Divorced Women in Iraqi Kurdistan

Die Dissertation von Shelan Ali Arf setzt sich mit der politischen und sozialen Lage von geschiedenen Frauen im irakischen Kurdistan auseinander. Frauen sind in der kurdischen Gesellschaft der Familie, insbesondere den männlichen Familienmitgliedern untergeordnet und dadurch rechtlich, sozial und ökonomisch benachteiligt. Dies wirkt sich insbesondere auf die Situation der alleinlebenden Frauen aus, wobei sich geschiedene Frauen in der schwierigsten Lage befinden. Um dem entgegenzuwirken hat das kurdische Parlament die Rechte von Frauen bezüglich einer Scheidung und dem nachfolgenden Sorgerecht und Unterhalt für die Kinder gestärkt. Die in der Gesellschaft verankerten traditionellen Regeln und Vorstellungen über die Ehe und die Rolle der Frauen stehen aber im massiven Widerspruch zu den geänderten gesetzlichen Regeln.

Die wachsenden Widersprüche zwischen der traditionellen Kultur und der vorsichtigen Modernisierung des Rechts führen – vor dem Hintergrund der politisch und ökonomisch schwierigen Lage im irakischen Kurdistan - zur Zunahme von häuslicher Gewalt, einer größeren Zahl von sogenannten Ehrenmorden an Frauen und einer deutlich wachsende Selbstmordrate von Frauen (hier vor allem die Zunahme von Selbstverbrennungen), aber auch zu einer höheren Scheidungsrate.

Vor diesem Hintergrund ist das Ziel der Arbeit das alltägliche Leben von geschiedenen kurdischen Frauen nachzuzeichnen und dabei die Formen der sozialen Unsicherheit, mit denen die Frauen umgehen müssen, ihre Positionen in der Familie und der Gesellschaft aufzudecken und in diesem Zusammenhang die Coping-Strategien, die Frauen in Auseinandersetzung mit diesen Unsicherheiten entwickeln, zu zeigen.

 

Max Oliver Schmidt (2019)

Umkämpftes Asyl. Seenotrettung und Kirchenasyl als organisationale Strategien zur Usurpation des EU-Grenzregimes und zwischengesellschaftlicher Schließungssysteme

Der inhaltliche Ausgangspunkt dieser Dissertation ist der gefährliche Weg, den Geflüchtete aus Krisenregionen nach Europa auf sich nehmen und den damit verbundenen Strapazen und Risiken. Dem gegenüber stehen die Aufnahme- und Verfahrensregeln, die sich die EU gesetzt hat und die die Mitgliedsländer umsetzen sollen. Die EU versucht einerseits Menschenrechtskonventionen anzuerkennen, andererseits sind ihre Mitgliedsstaaten daran interessiert, die Zahl an zu verarbeitenden Asylverfahren möglichst gering zu halten. Es stehen sich also zunächst zwei Akteursgruppen gegenüber: Zum einen die EU-Mitgliedsstaaten, die jenseits der regulären Asylverfahren vorgelagerte Exklusionsbarrieren aufbauen und so den Zugang zum Asylverfahren erschweren wollen. Auf der anderen Seite stehen die Geflüchteten, die versuchen, die Exklusion zu überwinden und dazu Strategien entwickeln, um sich den Zugang zu erkämpfen. Diese asymmetrische Dyade wird aber seit Jahrzehnten durch Organisationen erweitert und verändert, die die Geflüchteten unterstützen: Menschenrechtsorganisationen, Seenotretterorganisationen im Mittelmeer und Kirchenorganisationen. Es entsteht also eine Triade, die den Kampf um das Asylverfahren deutlich verändert.

In seiner Dissertation verknüpft Max Oliver Schmidt die politische Soziologie zum Themenfeld sozialer Schließung und Migration und die Organisationssoziologie und zeigt auf welche Rolle Organisationen in der Auseinandersetzung um Schließung oder Öffnung des EU-Grenzregimes spielen und wie sie die Schließungssysteme verändern. Damit setzt er mit seiner empirisch ausgerichteten und zugleich eminent theoretisch fundierten Arbeit, bei den jeweiligen blinden Flecken beider soziologischen Disziplinen an, deckt diese auf und füllt die bestehenden Lücken. Zudem legt  Schmidt in seiner Dissertation eine Studie zu zwei bisher noch wenig bearbeiteten Themen vor: der Seenotrettung und des Kirchenasyls.

 

Stefanie Büchner (2016)

Organisierte Fallbearbeitung im Feld sozialer Hilfe

Stefanie Büchner entwickelt in ihrer Dissertation, am empirischen Gegenstand der Fallbearbeitung im Kontext sozialer Dienste, einen konzeptionellen organisationssoziologischen Beobachtungsrahmen. Die Autorin analysiert  drei zentrale Bezugsprobleme der organisierten Fallbearbeitung im Feld sozialer Hilfe: Das der Koproduktion, der Einzelfallspezifik unter Bedingungen hoher Unsicherheit und der äußerst brüchigen Legitimität.

Die Autorin baut ihren konzeptionellen Vorschlag im Anschluss an Luhmanns „Funktion und Folgen formaler Organisation“, auf einen “starken Organisationsbegriff“ auf, der „Organisationen als formalisierte Sozialsysteme begreift“. Damit schafft sie eine Ausgangslage, um das Erleben und Handeln der Organisation sowohl mittelbar über die Formalisierung normativ generalisierter Verhaltenserwartung zu strukturieren, als auch die informalen Strukturierungen von Erleben und Handeln konzeptionell präzise abbilden zu können. Über diese perspektivische Ausleuchtung arbeitet Büchner systematisch heraus, mit welchen spezifischen Strukturfolgen Organisation als Ordnungsform im doppelten Sinne konstitutiv für die Fallbearbeitung ist: als empirischer Boden und analytischer Horizont. In diesem Sinne zeigt sie am Phänomen der „Vernotfallung“, „Verobjektivierung“ oder „Versubjektivierung“ und „Veraktung“, dass nicht das Ereignis, sondern vielmehr die organisatorische Rahmung aus einem empirischen Datum etwa den „Notfall“ macht.

Mit Blick auf das Bezugsproblem der Koproduktion der Leistungserstellung skizziert Büchner einerseits vier idealtypische Lösungen des Grenzstellenproblems. Gleichzeitig rekonstruiert Büchner unterschiedliche Pfade der informalen Erwartungsstabilisierung, die weit über den Fall hinausweisen und eine substantiellen Beitrag zur Diskussion um Formalität und Informalität liefern.

Die empirische Exploration des Bezugsproblems der Einzelfallspezifik unter Bedingungen der Unsicherheit liefert auch weiterführende Ergebnisse und Forschungsfragen für das Problem der Wirk(un)macht von Standards. Dabei belässt Büchner es nicht bei der im Fach üblichen These: Abweichungen von Standards seien Folge lokaler Adaptions- und Übersetzungsprozesse. Vielmehr zeigt sie mit ihrer erweiterten Vier-Ströme-Heuristik, dass sich die Wirkmächtigkeit der Standards entlang der passenden bzw. unpassenden Konstellierung von Standards und je vor Ort geltend gemachten (professionellen) Normen, bemisst. Die empirische Untersuchung des Bezugsproblems der fragilen Legitimität birgt eine Reihe weiterführender Einsichten für die Debatte um organisatorische Artefakte, den Status von Dokumenten und die lose Kopplung zwischen Formal- und Aktivitätsstruktur.

 

Nathalie Hirschmann (2015)

Sicherheitsdienstleister zwischen Professionalisierungsbestrebungen und Fassadenbau – eine professionssoziologisch und neo-institutionalistisch inspirierte Analyse der gewerblichen Sicherheit

Das Sicherheitsgewerbe blickt auf eine über 100-jährige Geschichte zurück, doch erst im Zuge neoliberaler Stadtpolitik, der Privatisierung des öffentlichen Raums und des Übergangs von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft wird ihr Auftreten zu einem schon fast selbstverständlichen Teil des Stadtbildes und wichtigen Kooperationspartner der Polizei. Dies war möglich, da es einer formalen beruflichen Ausbildung nicht bedarf, um in dieser Branche Beschäftigung zu finden oder ein eigenes Unternehmen zu gründen. Durch die Zunahme an Anbietern gewerblicher Sicherheitsdienstleistungen und die damit einhergehende stärkere Konkurrenz untereinander geraten die einzelnen Firmen massiv unter Preisdruck. Was die Ausbreitung des Sicherheitsgewerbes erst ermöglicht, wird ihr demnach zugleich zum Problem.

Nathalie Hirschmann setzt sich in ihrer Dissertation unter anderem mit dem Versuch der Professionalisierung der Branche auseinander. Es wurde ein eigener Verband gegründet, Ausbildungsberufe geschaffen, und Studiengänge eingerichtet. Das Gewerbe wird dadurch zwar nicht zu einer Profession, aber wenn die Strategie der Verberuflichung und Professionalisierung gelingt, kann die Branche die Konkurrenz innerhalb der Branche reduzieren, den Markt gegenüber anderen Anbietern schließen und so auch die Preise stärker selbst bestimmen. Dementgegen steht jedoch, dass die Branche dem Billigsektor verhaftet bleibt. Dem Dilemma von Professionalisierungs- und Schließungsabsichten und einer Politik der niedrigen Preise konnte die Branche zwar ein Stück weit begegnen, indem Zertifizierungen, Berufs- und Studienabschlüsse eingeführt wurden. Gelöst wurde es jedoch nicht, da der Großteil der Firmen weiterhin in erster Linie angelerntes (und eben nicht regulär ausgebildetes) und so auch billiges Personal beschäftigt.

Die Dissertation liegt einer von Nathalie Hirschmann eigenständig entwickelten, durchgeführten und ausgewerteten empirischen Studie zugrunde und ist im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Kooperative Sicherheitspolitik in der Stadt – KoSiPol“ entstanden. Nathalie Hirschmann zeichnet in dieser Arbeit die wichtigsten Prozesse der Entwicklung des Sicherheitsgewerbes nach und arbeitet die Dilemmata dieser Branche und das besondere Spannungsverhältnis zwischen Polizei und privaten Dienstleistern heraus.

 

Norma Möllers (2015)

Forschen im Kontext von Videoüberwachung – Universitäre Forschung zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Norma Tamaria Möllers schrieb ihre kumulative Promotion in Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „MuVit - Mustererkennung und Videotracking – sozialpsychologische, soziologische, ethische und rechtliche Analysen“, das vom BMBF im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogramm gefördert wurde. Ihr Forschungsinteresse richtet sich auf Formen wissenschaftlicher Wissensproduktion in anwendungsbezogenen Forschungsprojekten und ihre Effekte auf Technisierungsprozesse. Dieses Thema untersucht sie am Beispiel des oben genannten Forschungsprojektes, in welchem ein automatisiertes Videoüberwachungssystem entwickelt wurde.

Den Kern der Dissertation bildet eine ethnografische Studie über besondere Rahmenbedingungen und die resultierenden Handlungsprobleme, die sich für die Forschergruppe ergeben. Der Rahmen ergibt sich aus widersprechenden Erwartungen von Regierung, Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Des weiteren analysiert Möllers die Tatsache, dass die Forschergruppe zwar kein funktionierendes Überwachungssystem entwickeln, aber doch die eigene Reputation weitgehend sichern konnte. Dies thematisiert sie besonders im letzten Aufsatz ihrer Dissertation „Shifting in and out of context. Technoscientific drama as technology of the self“.

Im ersten Artikel ihrer Promotion, stellt Möllers die Forschung der letzten 10 Jahre zu Videoüberwachung dar und zeigt die in der Bevölkerung herrschende Ambivalenz bezüglich des Themas auf. In ihrem mit Hälterlein verfassten zweiten Aufatz („Privacy issues in public discourse The Case of ‚smart‘ CCTV in Germany“) untersucht Möllers den öffentlichen Diskurs zu automatisierter Videoüberwachung.

Der Artikel von Möllers, Hälterlein und Spies („Subjektivierung als Artikulation diskursiver Ordnungen. Zur Aneignung von Subjektpositionen im Kontext der Entwicklung automatisierter Videoüberwachung“) geht der Frage nach, wie sich die Diskurse in den Subjektpositionen der Forscher und Forscherinnen widerspiegeln.