Verheerende Naturereignisse mit großen Schäden an Gebäuden, Toten und Verletzten bewegen regelmäßig die Öffentlichkeit in aller Welt. Sie stehen aber auch im Fokus der Wissenschaft. An der Universität Potsdam forschen mehrere Teams zu Naturgefahren. Eines davon ist das 2015 gegründete Graduiertenkolleg „NatRiskChange“. Anfang Juni waren einige der ihm angehörenden Promovierenden in Braunsbach (Baden-Württemberg) beziehungsweise im Einzugsgebiet des dortigen Orlacher Bachs unterwegs, um wichtige Daten und Eindrücke zu sammeln. Hier – und in anderen Regionen Deutschlands – hatte es wenige Tage zuvor heftige Starkniederschläge gegeben, in deren Folge zahlreiche Häuser, Straßen und landwirtschaftlich genutzte Flächen beschädigt oder zerstört wurden. Auf Basis der Erhebungen, die die sogenannte Task Force „Flash Floods“ (Sturzflutereignisse) durchführte, hat Kolleg-Sprecher Prof. Dr. Axel Bronstert nun ein Papier vorgelegt, das wesentliche fachliche Aspekte von Sturzflutereignissen zusammenfasst. Der Hydrologe betont darin die komplexe Genese solcher Extremereignisse und die Rolle unterschiedlicher, natürlicher und vom Menschen verursachter Faktoren bei ihrer Entstehung. Im Gebiet Braunsbachs seien beispielsweise zeitweise Starkregen mit einer Intensität aufgetreten, wie sie es nach bisherigen Erfahrungen nur mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als einem Prozent pro Jahr gibt.
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen sogenannten Sturzflutereignissen (wie in Braunsbach) und Hochwassern in größeren Flüssen. Beide grenzen sich durch die Zeit der Verzögerung zwischen dem auslösenden Niederschlagsereignis und der Zeit, in der der Hochwasserscheitel eintritt, ab. Von einer Sturzflut wird typischerweise bei einer Reaktionszeit von nicht mehr als sechs Stunden gesprochen. Sie wird, anders als bei Flusshochwassern üblich, durch hochintensive, kleinräumige Regen ausgelöst und durch Böden, die nur geringe Wassermengen aufnehmen können, verstärkt. Auffallend ist: Von Sturzfluten geht eine besondere Gefahr aus. Denn sie sind wesentlich geprägt durch die geringe Vorwarnzeit, hohe Fließgeschwindigkeiten und plötzliche Verlagerungen im Flusslauf.
Die Datenauswertungen haben ergeben, dass am 29. Mai im Einzugsgebiet des Orlacher Baches, dem Einzugsgebiet von Braunsbach, die intensivste Gewitterzelle wütete. So registrierte die in der Nähe befindliche Wetterstation Langeburg einen Niederschlagstageswert von 105 Millimeter, was auf einen Wiederkehrintervall von deutlich über 100 Jahren hinweist. Auch die 2-Stunden-Werte, gemessen an den Stationen Kupferzell und Vollberg, entsprechen – abgeleitet von langjährigen Messungen – dieser Annahme. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Graduiertenkollegs bearbeiten gegenwärtig zudem zeitlich hochaufgelöste Radardaten der örtlichen und kurzzeitigen Niederschlagsintensitäten.
Vor liegen nun auch erste Erkenntnisse zur Geometrie des Gewässerlaufes während des Hochwasserablaufs und zu den damaligen Fließgeschwindigkeiten. Demnach kam es zu „wahrscheinlich maximalen Durchflüssen“ am Gebietsauslass von 100 Kubikmetern pro Sekunde (plus/minus 50 Kubikmeter pro Sekunde). Dies ist ein extrem hoher Wert, wenn man bedenkt, dass der mittlere Wert bei etwa 200 Liter pro Sekunde liegt. Allerdings sind die Ergebnisse noch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und müssen weiter untersucht werden.
Fest steht dagegen, dass die hohen Niederschlagsintensitäten und Abflussraten auf der Einzugsgebietsfläche enorme Bodenerosionsprozesse verursacht haben. Über zwei Stunden lang wurde mit über 50 Millimeter der in der Wissenschaft genannte Wert einer erosionsverursachenden Niederschlagsintensität von 20 Millimeter pro Stunde überschritten.
Die Task Force ermittelte auch Überschwemmungshöhen. Sie liegen im Ort zwischen 50 Zentimetern und drei Metern. Darüber hinaus wurden mittels Fragebögen Schadenserhebungen bezüglich äußerlich erkennbarer Gebäudeschäden vorgenommen.
Eine seriöse Beantwortung der Frage, wie groß die Folgen der Eingriffe des Menschen in die Umwelt oder das Klimasystem für derartige Hochwasserereignisse sind, sei nicht möglich, betont Axel Bronstert in seinem Papier. Es interessiere weniger die Frage, ob menschliche Eingriffe Auswirkungen haben. Das sei weitgehend sicher. Vielmehr gehe es darum, wie groß diese seien. Die in Braunsbach stattgefundenen meteorologischen, hydrologischen, hydraulischen und geomorphologischen Prozesse ließen sich jedoch in ihrer Gesamtheit kaum so modellieren, dass verlässliche quantitative Aussagen zum Ausmaß der Folgen menschlicher Eingriffe möglich sind. Insbesondere die geomorphologischen Prozesse adäquat abzubilden, stelle ein Problem dar.
Der Wissenschaftler weist zudem darauf hin, dass es bei Sturzfluten – ähnlich wie bei anderen Naturgefahren – keinen vollständigen Schutz geben kann. Ziel müsse es aber sein, mit solchen Ereignissen künftig besser umgehen zu können. Er schlägt vor, den Aufbau von operationellen Systemen zur Nutzung von Radarinformationen, in Kombination mit Regenmessungen vor Ort in Echtzeit, zu prüfen und diese Informationen zur Kurzfristprognose zu nutzen. Wichtig sei es, mögliche Engstellen bei Hochwasserabflüssen an Gewässern und in gefährdeten Einzugsgebieten zu identifizieren und zu beseitigen. Dazu gehöre, vorhandene Brücken und Straßendurchlässe entsprechend in Augenschein zu nehmen.
„NatRiskChange“ wurde im Oktober 2015 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Potsdam eingerichtet. Dem Graduiertenkolleg gehören rund 15 Doktorandinnen und Doktoranden an. Ihnen stehen 19 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Universität und deren Partnereinrichtungen zur Seite, die ihre Arbeiten auf den Gebieten der Geomorphologie, Seismologie, Mathematik, Hydrologie und Meteorologie betreuen. Die Finanzierung läuft zunächst viereinhalb Jahre. Integriert ist ein Qualifizierungsprogramm, das aus Vorlesungen, Seminaren sowie sogenannten Task-Force-Übungen besteht.
Kontakt: Prof. Dr. Axel Bronstert, Institut für Erd- und Umweltwissenschaften
Telefon: 0331 977-2548 oder 01632406129
E-Mail: axelbronuuni-potsdampde
Anhang: Stellungnahme zu den Sturzflutereignissen Ende Mai / Anfang Juni in Süddeutschland am Beispiel der Sturzflut in Braunsbach
Medieninformation 30-06-2016 / Nr. 100
Petra Görlich
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