Was haben Sie studiert?
Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Politik und Verwaltung an der Universität Potsdam.
Wie würden Sie Ihre Tätigkeit(en) am ehesten beschreiben? Welches primäre Ziel verfolgen Sie dabei?
Ich begleite Organisationen bei Veränderungen als externer Prozessbegleiter aka Organisationsberater. Im Gegensatz zu den großen Beratungsunternehmen, die ihre inhaltlichen Lösungsansätze (wie schneidet man Organisationen, Abteilungen, Teams? Wie sieht ein guter M&A oder Post-Merger-Prozess aus? Was sollte die neue Strategie sein? Etc.) verkaufen, übernehme ich „nur“ Verantwortung für die Struktur des Prozesses, da Anleitungen von außen, aber echte Veränderung von innen kommt.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Zwischen BA und MA habe ich eine Mediationsausbildung gemacht, die mich auf Change Management überhaupt erst brachte, und durch Verkürzung des Masters und damit ein Praktikum mehr, kam ich an den richtigen Ort zur richtigen Zeit.
Arbeiten Sie in erster Linie als externer Berater oder waren Sie auch schon als Inhouse–Berater bei einem Unternehmen fest angestellt? Sehen Sie Unterschiede bzw. Vor- und Nachteile zwischen beiden Anstellungsarten?
Ich arbeitete Inhouse bei DAIMLER, der Deutschen Bahn und Hypoport (Fintech, holakratisch aufgebaut), anschließend als selbstständiger Berater und Interim-Manager. Die Unterschiede sind groß. Plakativ zugespitzt: Als Inhouse bin ich fester Teil der Organisation, lerne sie tiefer und besser kennen, bin aber auch Teil der Hierarchie und damit stärker beeinflussbar (z.B. wurde mein Team vom Vorstand in die HR-Linie gepackt. Effekt war, dass wir Einfluss verloren, degradiert und stärker reguliert wurden. Vermutlich bewusst, da wir recht offen und konfrontierend mit dem Vorstand gearbeitet haben).
Als externer Berater lerne ich die Organisation nicht so vertieft kennen, da erstmal nur für einen Veränderungs-Prozess bzw. -Projekt eingekauft. Dafür begleite ich mehrere Firmen parallel und kann meine Zeit insgesamt freier einteilen und nebenbei dozieren, trainieren, meinen Gruppendynamik Podcast gestalten, etc.
Wen beraten Sie hauptsächlich? Wer sind Ihre Klient*innen?
Meine Kunden kommen aus der Privatwirtschaft. Primär ist es die Geschäftsführung, da ich Veränderungen begleite, die sich auf die Gesamtorganisation auswirken (Wie können wir anpassungsfähiger werden? Wie kommen wir zu einer neuen Strategie und können sie in die Organisation tragen – oder umgekehrt? Wie schaffen wir echte Teilhabe? Welche Kulturen gibt es bei uns und welche erleben wir als (nicht) hilfreich/wünschenswert? Wie schaffen wir klare Strukturen, Rollen, Verantwortlichkeiten? Etc.).
Dabei arbeite ich intensiv mit der Geschäftsführung (GF) und lasse diese ihre eigene Weise der Zusammenarbeit reflektieren, da – in dem meisten Unternehmen – die Spitze der Hierarchie im Bord bzw. der GF liegt.
"Ich selbst bin und bleibe skeptisch,
wenn Veränderungsprozesse unter die Glocke
von trendigen Schlagwörtern gepackt werden."
Welche drei Sachen haben Sie auf der Arbeit zuletzt erledigt?
Unterstützung bei der Themenauswahl und Story für das halbjährliche All Hands (Call der GF mit allen Mitarbeitern); Erstellung eines Konzepts für eine Culture Journey mit der GF und der Gesamtorganisation; Prozess für den Umgang mit einer Mitarbeiterumfrage gestalten, die vorher nicht wirklich durchdacht wurde.
Was wird benötigt, um erfolgreiches Change Management zu betreiben?
Uff, kaum beantwortbar! Eine gute Auftragsklärung (was der Kunde erwartet und was sein eigentliches Ziel ist), eine erfahrene Einschätzung, ob man dafür der richtige Berater ist (Kenne deine Grenzen!), ob es ein kosmetischer Eingriff oder um eine echte Not geht (Besser Letzteres. Wer verändert sich schon gerne, wenn er nicht muss?), gute Weiterbildungen (z.B. systemische Beratung, Gruppendynamik, Coaching) und die passenden Interventionen zur Organisation (anstatt mit einem one-size-fits-all-Ansatz zu arbeiten). Und noch vieles mehr.
Was sind typische Entwicklungsfragen, mit denen sich Ihre Klient*innen an Sie richten? Gibt es hinsichtlich der Veränderungsprozesse, die Sie begleiten, „Dauerbrenner“ bzw. Themen, die aktuell verstärkt im Fokus von Unternehmen und Organisationen stehen (z. B. Digitalisierung, Nachhaltigkeit, usw.)?
Absolut. Letztlich haben alle Anfragen den Kern, wie die Organisation – wo auch immer sie steht – auf die steigende Komplexität für sie passende Antworten finden kann. Ich selbst bin und bleibe skeptisch, wenn Veränderungsprozesse unter die Glocke von trendigen Schlagwörtern gepackt werden. Das können Scheinprozesse sein oder man wusste es eben nicht besser. Dann gilt es herauszufinden, was sich hinter „New Work“, „New Leadership“, „Agile Transformation“, etc. verbirgt.
Wie viel eigenes Fachwissen müssen Sie in diesen Themengebieten mitbringen? Genügt an dieser Stelle für eine gelungene Beratung sozusagen der moderierende Blick von außen?
Sich einen Fach-Experten einzukaufen, der bspw. einen bestimmten Prozess nach seinem Bilde einführt, hat den (vermeintlichen) Vorteil, dass die Organisation das Problem schnell gelöst bekommt. Das setzt aber voraus, dass wirklich klar ist, welches Problem vorliegt. Hört sich einfach an, aber in der Praxis zeigt sich oft, dass das echte Problem, der Grund, nicht an der Wurzel gepackt wird. Aus Zeitmangel, genauer Reflektion, aus Angst, aus politischen Gründen. Dann gibt man viel Geld für gute Prozesse aus, die gar nicht wirklich auf die Organisation passen. Meine Kunden damit zu nerven, so lange Fragen zu stellen und unterschiedliche Meinungen und Perspektiven zum „Problem“ einzufangen, hat den großen Vorteil, dass am Ende meist ganz anders entschieden wird, als zu Beginn. Zur Überraschung der Beteiligten.
"Man arbeitet sich auf Sicht fahrend vor,
iterativ, in Schleifen. Das ist der Ansatz,
der hoher Komplexität am ehesten gerecht wird.
Auch wenn die Manager das selten hören wollen, ..."
Veränderungsprozesse brauchen ja immer auch Überzeugungsarbeit. Wie geht man da ran? Welche Kompetenzen sind in diesem Zusammenhang hauptsächlich gefragt?
Spannend ist, wenn die GF meint, dass es für einen bestimmten Prozess viel Überzeugungsarbeit bräuchte. Das weist dann potentiell darauf hin, dass er gegen die Interessen der Belegschaft geht. Statt an der Überzeugungskraft zu arbeiten, würde ich hier z.B. inklusivere Prozesse vorschlagen. Wenn ich selbst die Notwendigkeit einsehe, muss ich nicht „dafür“ oder gar „begeistert“ sein, aber ich kann die Veränderung ertragen und dulden. Immer noch besser, als im aktiven Widerstand zu sein.
An welchem Punkt ist Change Management für Sie als Berater abgeschlossen? Gibt es diesen Punkt überhaupt?
Klassisches Change Management ist die Begleitung eines Veränderungsprojektes. Ein Projekt hat (zumindest per Definition) einen festen Start- und Endzeitpunkt. Bei Organisationsentwicklung ist der Übergang fließender, stetiger, sich wiederholender. Hier kann im Vorhinein meist schwieriger formuliert werden, wie genau ein guter Meilenstein oder Zielzustand aussieht. Man arbeitet sich auf Sicht fahrend vor, iterativ, in Schleifen. Das ist der Ansatz, der hoher Komplexität am ehesten gerecht wird. Auch wenn die Manager das selten hören wollen, da es am unsichersten scheint. Dabei kann man ja regelmäßig raufschauen („Sind wir noch auf dem richtigen Weg?“ „Machen wir das richtige?“ „Könnten wir es hier erstmal belassen und schauen, wie es sich von allein entwickelt?“ usw.).
Ihre Tipps für Studierende und Berufseinsteiger*innen?
Change Management und Organisationsentwicklung sind extrem vielseitige Tätigkeiten. Du lernst die Logik von Organisationen kennen, verstehst zunehmend, wie Gruppen und Teams funktionieren und wie einzelne gut begleitet werden können. Aber meist haben die Beratenden einen Hauptfokus. Frage dich: Arbeite ich lieber an Konzepten für die gesamte Organisation? Oder faszinieren mich Teams? Oder würde ich am liebsten mit einzelnen Menschen an deren Herausforderungen arbeiten?
Zudem: Die Art, wie Veränderung in Großkonzernen im Vergleich zu Startups gestaltet werden kann oder in Branche A im Vergleich zu B, oder Privatwirtschaft vs. öffentliche Träger vs. NGOs, kann sehr unterschiedlich ausfallen. Ausprobieren und Praktika machen – die Atmosphäre, Dynamik, Themen sind schnell erspürt. Und ein vielseitiger Lebenslauf ist viel hilfreicher, als lange bei einem Unternehmen gewesen zu sein.
Ah. Eines noch: Wenn du nicht wirklich an dir als Mensch, deiner Psyche und Mustern zu arbeiten bereit bist, dann vielleicht doch lieber in die Strategieberatung gehen. Denn dann ist Veränderung vielleicht nicht so dein Ding.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke in die Tätigkeit als Change Manager und Organisationsberater, Samuel Friedl!
Das schriftliche Interview wurde im Oktober 2022 geführt.