Antonia Ernst
Wo arbeiten Sie?
Als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Berlin in Berlin-Moabit. Übrigens die größte Staatsanwaltschaft Europas.
Was haben Sie studiert?
Ich habe Jura, also Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Bereits im Verlauf des Studiums hat sich für mich herauskristallisiert, dass ich den Bereich des Strafrechts am spannendsten finde. Durch die Erfahrungen im Referendariat wurde mir schnell klar, dass ich mich eher in der Justiz sehe und wurde auf meine Bewerbung hin – ursprünglich als Proberichterin – für den öffentlichen Dienst im Land Berlin eingestellt.
Was ist für Sie inhaltlich der maßgebliche Unterschied zwischen der Tätigkeit des Rechtsanwaltes*der Rechtsanwältin und des Staatsanwaltes*der Staatsanwältin? Was reizt Sie an Ihrem Beruf besonders?
Als Staatsanwältin ermittele ich unabhängig von etwaigen Interessenslagen allein, um das tatsächliche Geschehen nachweisen und dann rechtlich beurteilen zu können. Die Einblicke, die man im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit in Gesellschaftsstrukturen und individuelle Lebensgeschichten bekommt, finde ich faszinierend. Außerdem finde ich es besonders reizvoll, dass man als Staatsanwalt bzw. Staatsanwältin das Verfahren vollständig vom Ermittlungsverfahren über die Hauptverhandlung bis zur Vollstreckung begleiten kann.
Welche drei Sachen haben Sie auf der Arbeit zuletzt erledigt?
1. Ein zweistündiges Plädoyer in einem Mordprozess gehalten.
2. Eine Anklage wegen Waffenbesitzes geschrieben.
3. Eine Durchsuchung der Wohnung bei einem Beschuldigten organisiert.
"Es ist empfehlenswert in regelmäßigen Abständen
an Durchsuchungen, Festnahmen
und sonstigen Maßnahmen teilzunehmen."
Als Staatsanwalt*Staatsanwältin arbeiten Sie oft mit Strafverfolgungsbehörden und der Polizei zusammen. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?
Naturgemäß ist die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei recht eng, da gemeinsam die Ermittlungen im Strafverfahren vollzogen werden. Auch wenn ein Großteil der Ermittlungen „draußen“ nach entsprechender staatsanwaltschaftlicher Verfügung durch die Polizei alleine wahrgenommen wird, ist es jederzeit möglich – und auch empfehlenswert – in regelmäßigen Abständen an Durchsuchungen, Festnahmen und sonstigen Maßnahmen teilzunehmen, um ein Gefühl für die praktische Umsetzung der eigenen Verfügungen zu bekommen.
Können Sie prinzipiell eine Fallbearbeitung auch ablehnen? Wenn ja, wie tun Sie dies?
Wenn ich aus irgendwelchen Gründen, z.B. weil ich die beschuldigte Person privat kenne, der Meinung bin, ich könnte das Verfahren nicht mehr unbefangen führen, ist es sogar angezeigt, dass ich dieses Verfahren abgebe. Dies ist einfach durch entsprechende Rücksprache mit der Abteilungsleitung möglich, da der Grundsatz des gesetzlichen Richters für die Staatsanwaltschaft keine Anwendung findet.
Aber auch wenn ein bestimmter Fall aus inhaltlichen Gründen oder wegen z.B. privater Gründe vereinzelt eine sachgerechte Bearbeitung durch mich nicht möglich macht, kann dies im Gespräch mit der Abteilungsleitung geklärt werden.
Als Staatsanwalt*Staatsanwältin muss man per se staatlich geführte Anklagepunkte verteidigen. Bringt Sie das manchmal in Konflikte? Gibt es Fälle, die Sie psychisch/moralisch belastet haben? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Da ich als Staatsanwältin zwar an Recht und Gesetz gebunden und an der Rechtsprechung orientiert bin, im Übrigen jedoch die Amtspflichten ohne Ansehen der Person oder politischer Tendenzen gewissenhaft zu erfüllen habe, bin ich persönlich noch nicht in einen Konflikt geraten.
Psychische oder moralische Belastungen lassen sich nicht immer vermeiden. In solchen Fällen hilft jedoch das Gespräch mit KollegInnen. Ein großes Plus der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit sehe ich in dem Abteilungsgefüge und dem Arbeiten im Team – auch wenn man in den einzelnen Verfahren allein entscheidet, findet man stets eine offene Tür für Fragen, Probleme und Zuspruch.
"Vor größeren Verhandlungen
kann eine gewisse Nervosität gesund sein,
weil man dann noch aufmerksamer ist."
In Ihrem Beruf müssen Sie vor anderen Menschen „auftreten“. Haben Sie Lampenfieber und wie hat sich Ihre Gefühlslage bezüglich stattfindender Gerichtsverhandlungen entwickelt? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Die Routine stellt sich mit der Zeit natürlich ein, auch wenn vor größeren Verhandlungen eine gewisse Nervosität auch gesund sein kann, weil man dann noch aufmerksamer ist. Letztlich lässt sich Aufregung durch gute Vorbereitung und Übung recht gut in den Griff bekommen. Ansonsten hat es mir immer geholfen, mir zu sagen, dass ich einfach die Ruhe bewahren muss und zur Not immer eine kurze Unterbrechung beantragen kann, um mich zu sammeln.
Wie sieht es mit der Work-Life-Balance in Ihrem Job aus?
Zu Beginn meiner Zeit als Staatsanwältin erging es mir wie – ich denke – jeder Person, die mit einem neuen Beruf anfängt: alles ist neu und dadurch ist man viel langsamer, weil einem einfach die Routine fehlt. Meiner Erfahrung nach stellt sich Letztere aber relativ schnell ein. Wenn man dann organisiert und mit der richtigen Schwerpunktsetzung vorgeht, lässt sich dieser Beruf, der mit viel Verantwortung verbunden ist und für den man die notwendige Leidenschaft mitbringen sollte, gut mit dem Privatleben und der Freizeit in Einklang bringen.
Was betrachten Sie als besondere Herausforderung in Ihrem Beruf und warum?
Neben den entsprechenden Rechtskenntnissen und dem notwendigen Pragmatismus ist es für gute staatsanwaltschaftliche Arbeit wichtig, die Interessen aller Beteiligter im Blick zu behalten und jeden Fall für sich zu betrachten. Anträge, die durch die Staatsanwaltschaft gestellt werden, können immensen Einfluss auf das Leben von Menschen haben, was man bei jeder Entscheidung im Hinterkopf haben sollte.
Haben Sie Tipps für Berufseinsteiger*innen?
Suchen Sie den Kontakt und das Gespräch! In einer Behörde, die so groß ist wie die Staatsanwaltschaft Berlin, gibt es nichts, was nicht irgendjemand schon erlebt hat. Nutzen Sie die Erfahrung der KollegInnen und setzen Sie sie dann mit Ihrer eigenen „Note“ um.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke in die Tätigkeit als Staatsanwältin, Antonia Ernst!
Das schriftliche Interview wurde im Juli 2023 geführt.