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Steffi Bahro

Porträt Steffi Bahro

Konfliktberaterin im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen

beim mobilen Beratungsteam MITMENSCH

 

Wo arbeiten Sie?

Ich arbeite am Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung – demos. Hier gibt es sechs regionale Mobile Beratungsteams, die sich für die Stärkung des demokratischen Gemeinwesens inklusive einer kritischen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Verschwörungsideologien einsetzen. Selbst arbeite ich in einem zusätzlichen Mobilen Beratungsteam, welches als einziges für ganz Brandenburg und nicht nur für eine bestimmte Region zuständig ist. Wir heißen MITMENSCH und bieten Beratung bei Konflikten im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen.

 

Was haben Sie studiert?

Ich habe Germanistik und Geschichte im Doppelstudiengang (Magister und Lehramt für Gymnasien) studiert. Im Anschluss war ich Mitglied in einem interdisziplinären Doktorandenkolleg, in welchem Dissertationen zur Erforschung der Geschichte und Rezeption liberaler und demokratischer Bewegungen entstanden sind. Ich selbst habe mich in meinem Forschungsprojekt über „Die politische Mnemonik der Zaubermärchen“ damit beschäftigt, wie durch Erzählungen gezielt Selbst- und Weltbilder für die geistige Entwicklung ungebildeter Menschen konstruiert wurden, um bestehende politische Ordnungen zu festigen oder um neue politische Ordnungen hervorzubringen.

 

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Ursprünglich wollte ich Lehrerin werden. In der Schule habe ich dann festgestellt, dass mir die Einzelwahrnehmung der Schüler:innen derart wichtig ist, dass es mir unangenehm war, in die Klasse zu kommen und sofort inhaltlich zu arbeiten, ohne zu wissen, wie es den Schüler:innen heute geht, welche Gedanken oder Probleme sie vielleicht gerade ablenken und was sie eigentlich interessieren würde. Ich fand, dass die Schule und die pädagogische Arbeit zu wenig Raum für die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung bieten. Bei meiner beruflichen Neuorientierung geholfen hat ein Professor und Mentor sowie das Feedback von meinen Freund:innen. Sie kannten mich als Menschen, mit dem man schnell vertrauliche Themen bespricht und der flexibel über Problemlösungen nachdenkt und dazu bei Bedarf auch gerne praktisch beiträgt. Da lag es nahe, einen Weg als Beraterin einzuschlagen. Ich habe mich auf die Stelle mit dem Beratungsschwerpunkt Konflikte im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen aber auch auf Basis meiner Beschäftigung mit strategischem Erzählen beworben und auf Grund persönlicher Erfahrungen mit Verschwörungsgläubigen im sozialen Nahfeld.

 

Wen beraten Sie?

Mein Kollege und ich beraten Angehörige, Freunde und Kollegen von Verschwörungsgläubigen. Wir beraten zu zweit, um den Ratsuchenden unterschiedliche Perspektiven auf ihre Konflikte und eine Auswahl an Lösungswegen aufzuzeigen.

 

Beraten Sie nach bestimmten Methoden?

Grundlegend für unsere Arbeit ist ein systemischer Beratungsansatz, bei dem es um die Klärung von realistischen Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten und die Stärkung der individuellen Ressourcen zur Deeskalation bestehender Konflikte geht. Wir arbeiten mit systemischen Fragen nach Zielen, Wirklichkeitskonstruktionen, Ausnahmen vom Problem und Konfliktmustern, aber bei Bedarf auch mit Aufstellungen – zum Beispiel bei Entscheidungsproblemen, ob man eine Beziehung abbrechen, nur pausieren oder unter bestimmten Voraussetzungen fortsetzen möchte.

 

Ist Ihr Beratungsangebot temporär und wo ist es angesiedelt?

Das Beratungsangebot ist unbefristet, weil Verschwörungserzählungen eine Gefahr für die Demokratieentwicklung sind und leider auch nach der Pandemie weiterhin von demokratiefeindlichen Akteur:innen erdacht und verbreitet werden. Denn eigentlich verschiebt sich immer nur der Fokus. Es braucht ja nur ein außerordentliches Ereignis wie 9/11, eine Krise wie die Pandemie oder ein konsequentes Vorgehen gegen den Klimawandel, um die Geschichte verschwörungsideologisch umzudeuten, indem man den Menschen einredet, dass es sich bei den offiziellen Problembeschreibungen und lösungsorientierten Maßnahmen eigentlich nur um einen erlogenen Vorwand handelt, um Freiheitsrechte einzuschränken, einen schleichenden Genozid zu initiieren und egoistische Interessen zu tarnen. Sind die emotionalisierenden Feindbilder erstmal verinnerlicht und der Widerstandsgeist geweckt, werden alle davon abweichenden Sichtweisen und lösungsfokussierten Strategien misstrauisch abgelehnt. Die Gefahr der Radikalisierung von Verschwörungsgläubigen zeigt sich leider nicht nur bei den Attentätern von Hanau und Halle oder im Falle der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke. Er wurde auf Grund seines Engagements in der Flüchtlingskrise von rechten Verschwörungsextremisten beschuldigt, eine planmäßige „Umvolkung“ und Islamisierung Deutschlands voranzutreiben.

 

Konnte Ihr Studium Sie auf Ihre heutige Tätigkeit vorbereiten oder benötigten Sie eine spezielle Weiterbildung?

Kenntnisse zum Phänomenbereich Verschwörungserzählungen + Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Bestrebungen (biographischer Bezug, Studium, Rathenau-Kolleg)

Eine elementare Voraussetzung an die zukünftige Stelleninhaber:in war ausdrücklich eine Qualifikation als systemische Beraterin/Coachin oder ein Studium wie Sozialarbeit bzw. Psychologie und Beratungserfahrungen in sozialen/familiären Bereichen .

 

Welche Fragen werden typischerweise an Sie herangetragen?

Die Menschen sind meist nach langem Ausprobieren von Strategien, die nicht funktionieren, mit ihrem Latein am Ende, wenn sie zu uns kommen. Sie suchen nach neuen Wegen, um die inneren und äußeren Konflikte, die durch diverse Konfrontationen mit dem Verschwörungsdenken immer wieder geschürt und nicht gelöst werden, zu reduzieren. Ratsuchende, die auf Distanz zu verschwörungsgläubigen Angehörigen leben und nur ab und zu, insbesondere zu Familienfeiern auf Tuchfühlung mit verschwörungsgläubigen Eltern, Geschwistern, Onkeln, Tanten und Cousins gehen, wollen sich häufig situations- bzw. anlassbezogen auf das Wiedersehen und wahrscheinliche Reizpunkte vorbereiten.

 

Welche Emotionen begegnen Ihnen bei Ihren Beratungen und wie gehen Sie damit um?

Liebe und Zuneigung sind oft die zentrale Motivation, um mit uns über die verschwörungsideologisch bedingten Konflikte nachzudenken und einen sozialverträglichen Umgang mit der verschwörungsgläubigen Person zu finden. Aber auch Frustration, Enttäuschung und Erschöpfung auf Grund vieler gescheiterter Kommunikationsversuche, Trauer über Kontaktabbrüche seitens Verschwörungsgläubiger und Verunsicherung oder sogar Angst, weil die Persönlichkeit von Verschwörungsgläubigen sich durch die ständige geistige Fokussierung auf und bestätigendende Deutung des feindlichen Weltbildes teilweise stark zum Negativen verändert. Wenn eine narzisstische Person sich beispielsweise auf den Verschwörungsglauben stützt, um ihre eigene Genialität gegenüber den verblendeten „Systemlingen“ in der Familie zu demonstrieren, kann es zu psychisch stark belastenden Abwertungen und Konflikten kommen.

 

„Man braucht vor allem Empathie, muss in
schwierigen 
Situationen Ruhe ausstrahlen.“

 

Welche persönlichen Kompetenzen/ Soft Skills sind Ihrer Ansicht nach für diese Tätigkeit besonders wichtig?

Man braucht vor allem Empathie, muss in schwierigen Situationen Ruhe ausstrahlen und wissen, wie man sein Gegenüber dabei unterstützen kann, mehr Klarheit über die eigenen Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen sowie die bisher genutzten und ungenutzten Ressourcen bewusster wahrzunehmen und zu aktivieren.

 

Wann sprechen Sie von Erfolg in Ihrer Arbeit? Gibt es auch Situationen, in denen Sie eine Grenze ziehen würden und mit dem Beratungsangebot nicht weiterhelfen können?

Ein Beratungsprozess ist erfolgreich, wenn der MITMENSCH eines Verschwörungsgläubigen sich weniger belastet fühlt sowie mehr Klarheit über und Zuversicht in Hinblick auf konkrete Kommunikations- und Handlungsoptionen hat.

 

Was fordert Sie an Ihrem Beruf heraus?

Die Einschätzung des Potentials für Selbst- und Fremdgefährdungen und die Konfrontation mit konkreten Gefährdungen.

 

Ihre Tipps für Berufseinsteiger*innen?

Wer als Geistes- oder Sozialwissenschaftler:in in dem Feld beratend tätig werden möchte, sollte die zusätzlichen Kosten einer zertifizierten systemischen Weiterbildung nicht scheuen und vielleicht lieber erst in anderen Beratungskontexten für Familien oder Menschen in besonderen Lebenssituationen Erfahrungen sammeln, bevor man sich auf Konflikte rund um Verschwörungserzählungen oder sonstige weltanschaulichen Differenzen fokussiert. Abgesehen von demos sind übrigens auch Sektenberatungsstellen und Weltanschauungsbeauftragte zuständig sind für Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Bei Letzteren könnte man vermutlich auch ein Praktikum anfragen. Ob man die nötige Empathie und Resilienz für eine Beratungstätigkeit in kritischen Lebenssituationen mitbringt, kann man auch durch ein ehrenamtliches Engagement in der Telefonseelsorge wie der studentischen Nightline in Erfahrung bringen.

 

Vielen Dank für die spannenden Einblicke in die Tätigkeit als Konflikberaterin, Steffi Bahro!

Das schriftliche Interview wurde im Februar 2022 geführt.

 

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