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Estlands Währungsreform 1992 und die "Stiftung Livländische Gemeinnützige"

Mitwirkung des Gründers bei Estlands Währungsreform 1992 - Können Sie Geld machen, Herr Lewerenz?

Ankunft des Verantwortlichen für diese Web-Site in Estland am 1. Februar 1992 als EU-Berater für die kurz zuvor re-aktivierte Estnische Zentralbank (Eesti Pank). Am folgenden Tag Vorstellung beim wenige Tage zuvor eingesetzten Zentralbank-Präsidenten. Dieser war nicht über den Beratungsauftrag informiert worden und erfuhr über ihn erest aus den Unterlagen von Jürgen Lewerenz, Er sah auch seinen beruflichen Lebenslauf zum ersten Mal. Glücklicherweise verstand er Englisch, damals eine Ausnahme in der ex-Estnischen Sowjetrepublik.

Der formale Beratungsauftrag stiess auf wenig Interesse, aber die Erwähnung der Qualifikation im Geld- und Währungswesen erregte Aufmerksamkeit. Der Chef der Zentralbank besass zu jener Zeit noch keine Erfahrung in Währungsdingen, wie er selbst zugab. Der Präsident stellte die für den Titel dieses Abschnitts gewählte Frage. Er erläuterte, dass nunmehr, da Estland selbständig geworden sei, die russischen Geldlieferungen ausblieben. Deshalb werde umgehend eigenes nationales Geld benötigt.

Nach ein wenig Nachdenken schlug Jürgen Lewerenz, vor, die westdeutsche Währungsreform von 1948 zum Vorbild zu nehmen und das damalige Verfahren Einführung möglichst wörtlich zu kopieren. Der Rat wurde angenommen. Die deutschen Umstellungsgesetze (damals noch alliiertes Besatzungsrecht) wurden in estnische transformiert. Vor der Jahresmitte wurde umgestellt. Zweifler verstummten bald. Die Reform war erfolgreich. Alle weiteren Wirtschaftsreformen konnten darauf hin beginnen.

Drei Umstände verdienen, hier festgehalten zu werden, nämlich die Gründe für einen Umstellungstermin zum Frühlingsende, der Schutz von Kleinsparern gegen Umstellungsverluste und die Rolle der Deutschen Bundesbank.

Der Umstellungstermin: Allen war klar, dass die Geldreform so rasch wie irgend möglich vonstatten gehen müsste. Den Ausschlag für die exakte Terminierung auf Ende Mai ergab sich allerdings aus einer Nebenbemerkung eines Teilnehmers an einer Beratung. Er meinte: Das neue Geld sollte erscheinen, wenn die Sprossen der Kartoffeln aus der Erde schauen. Eine weise Bemerkung: Sollte sich die neue Währung ein Fehlschlag erweisen, hätten die Esten wenigstens eine Ernte zum Überleben. Ging die Sache aber gut, würde der Erlös aus dem Ernteverkauf zur Geldstabilität beitragen.

Der Kleinsparer-Schutz: Sobald sich herauskristallisierte, dass eine Währungsreform quasi über Nacht kommen würde, bildeten sich lange Schlangen vor den Schaltern der Filiale der ex-sowjetischen Sberbank. Die Bankbediensteten mussten wegen der Bargeldknappheit rationieren. Sie bevorzugten Kunden, die ein angemessenes Trinkgeld hinterliessen. Den Kleinsparern, meist arme oder kranke, in der Sowjetzeit diskriminierte Esten waren einerseits zu schwach, um langes Warten durchzustehen und sie waren zudem materiell nicht in der Lage, den Bankbediensteten ein Geschenk zu geben. Diese Umstände waren in der Zentralbank durchaus bekannt. Es wurde deshalb ein bescheidener Maximalbetrag für eine Umstellung von Rubel-Sparguthaben dekretiert. Die so begünstigten Kleinsparer liessen, anders als erwartet, ihr Guthaben in neuer Währung auf der Bank. Sie bekundeten ihr Vertrauen in die Reform, was ein nicht unbedeutender Stabilisierungsfaktor war.

Die Deutsche Bundesbank: Per Gesetz wurde die Relation zwischen estnischer Krone und DM auf 8:1 fixiert. Die Regelung gilt bis heute, auch nach der Einführung des Euro in Deutschland. Jürgen Lewerenz riet dem Präsidenten der Eesti Pank, vor dieser Festlegung der Bundesbank einen Besuch abzustatten und sie über dieses Vorhaben zu informieren. Dies geschah. Jürgen Lewerenz erfuhr, dass der Präsident der Bundesbank zwar keine Einwände erhob, aber anmerkte, Estland könne keinerlei deutsche Unterstützung erwarten.

Ehrung für den Erfolg der Geldreform fiel natürlich allein dem Chef der Zentralbank zu, nicht aber dem Berater, der ohne Autorisierung seines Auftraggebers handelte und der schweigen musste, um eine Zurechtweisung durch die Entscheidungsträger in Brüssel zu vermeiden. Als die erste Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) kurz nach der Einzahlung der regulären Goldquote aus dem immer noch vorhandenen Guthaben Estlands bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), aber noch vor der Verabschiedung des Paketes der Umstellungsgesetze nach Estland kam, waren die IWF-Abgesandten über die Professionalität der Gesetzesentwürfe verblüfft. Sie stellten dem Lande ein erstklassiges Zeugnis aus. Das Geheimnis hinter dem Wunder wurde nie gelüftet. Seit jenen Tagen bemüht sich der Verfasser, die im Krieg in der baltischen Region ausgestorbenen bürgerlichen Verhaltensweisen, insbesondere die von der Zivilgesellschaft getragenen Einrichtungen der wirtschaftlichen Selbsthilfe wiederzubeleben.

Eine Aufgabe, deren Erfolg sich, wenn überhaupt, erst nach Jahren und nach vielen Anläufen einstellen kann und wird, so sehr ein Gegengewicht gegen die Allmacht der Aneignungs-Wirtschaft nicht nur für die kleinen neuen EU-Länder am Ostrand der Ostsee, sondern für das Gedeihen aller Mitglieder der EU, neue und alte, vonnöten wäre.