Abrakadabra für …
… die Hosentasche
Im digitalen Zeitalter sind auch Zauberkünstler*innen auf YouTube, Instagram und TikTok unterwegs. Auf den Smartphones ihrer vielen Tausend Follower lassen sie Karten verschwinden, Münzen erscheinen oder Streichhölzer in der Luft schweben. Sogenannte Close-Up-Magie wird von einigen Vertretern der magischen Zunft gern als die „Königsklasse“ der Zauberkunst beworben, weil das Publikum hautnah dabei ist – und alles im Blick zu haben glaubt. Ein bekanntes Beispiel ist der Mentalist Uri Geller, dessen gedankliche Zauberkraft bekanntlich jeden Löffel schwach werden lässt. „Das eigentliche Kunststück der Close-Up-Magie ist die Ablenkung“, sagt Katharina Rein. „Man muss dafür sorgen, dass das Gegenüber im richtigen Moment woanders hinsieht.“ Oder sein Werkzeug geschickt manipulieren. Dieses kommt zwar nur spärlich zum Einsatz, dafür gibt es umso mehr platte Sprüche. Acts wie Marv der Zauberer verraten für Klicks und Likes nämlich nicht nur, wie ihre Tricks funktionieren, sondern goutieren ihre männliche Zielgruppe zu diesem Zweck mit stereotypen Rollenbildern: „Mit diesem Zaubertrick bekommst du ihre Nummer“, denn „Mädels lieben diesen Zaubertrick“. Schon im 19. Jahrhundert haben Zauberkünstler die Tricks der anderen entlarvt – auch, um ihre weibliche Konkurrenz vom Markt zu drängen. „Die spiritistischen Medien waren meist Frauen, die Kunststücke wie Gedankenlesen oder die Beschwörung von Geistwesen aufführten“, sagt Katharina Rein. „Bühnenzauberer haben diese spiritistischen Nummern dann vor Publikum als Tricks entlarvt und die Medien als moralisch verwerflich dargestellt.“
Simsalabim für …
… das zahlende Publikum
Während unsere mobilen Endgeräte die vermeintliche Magie kostenlos und stets auf Armlänge heranholen, hatten die berufsmäßigen Zauberkünstler*innen im 19. Jahrhundert ein Problem: Vor ausverkauftem Haus funktioniert die Close-Up-Magic nicht, weil der Abstand zum Publikum zu groß wird. Neue Tricks mit größerem Gerät mussten her, und so fand im beginnenden Industriezeitalter eine ganze Palette an technischen Apparaturen Eingang ins Repertoire. Falltüren, Hebemaschinen, Drehmechanismen – bis heute steht hinter den spektakulären Illusionen von Stars wie den Ehrlich Brothers immer auch ein Team aus Ingenieuren, Handwerkern und Erfindern. „Alle Bühnenzauberkünste, die wir heute bei Stars wie den Ehrlich Brothers sehen, sind vom Prinzip her im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden“, weiß die Kulturwissenschaftlerin Katharina Rein. Das berühmte Geisterkabinett? Gab es schon in den 1830er Jahren. Der Gang durch eine Mauer? Eine Erfindung von P. T. Selbit aus dem Jahr 1914. Gedankenlesen mit verbundenen Augen? Ein ganz alter Hut. Wer wann von wem welchen Trick übernommen hat, ist dabei auch für Expert*innen nicht immer einfach nachzuvollziehen. Denn historische Aufzeichnungen sind rar, und Patente für Zaubertricks mitunter bewusst mit Fehlinformationen gespickt – schließlich galt und gilt es, die hochheiligen Berufsgeheimnisse zu wahren.
Hokuspokus für …
… Adrenalinjunkies
Einen radikalen Bruch erlebte die Zauberkunst nach dem Ersten Weltkrieg. Der Okkultismus, das Mystische, aber auch die Entzückung und naive Freude am Wundersamen verschwanden von der Bühne und tauchten im neuen Medium Film wieder auf. Filmpionier Georges Méliès (1861– 1938) etwa begeisterte die Zuschauer*innen mit den ersten Spezialeffekten. „Méliès war Zauberkünstler und leitete mehrere Jahrzehnte lang das bedeutendste Pariser Zaubertheater“, sagt Katharina Rein, die seit 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Medientheorie/ Medienwissenschaft arbeitet. „Seine fantastischen Settings waren verfilmte Zaubershows.“ Auf den Bühnen passierten derweil immer schrägere, riskantere Dinge. „Es ist der Beginn der brutalen Illusionen“, sagt die 38-Jährige. Denn das vom Krieg traumatisierte Publikum lechzte nach immer spektakuläreren Stunts. Die „menschliche Kanonenkugel“, die Entfesselung im Wassertank oder „Die zersägte Dame“ wurden zu Kassenschlagern. Die Sensationsgier fand ab Mitte des 20. Jahrhunderts mit Inszenierungen fürs Fernsehen ihr mediales Äquivalent. Der Erfolg legendärer Zauberkünstler wie Houdini, Siegfried und Roy oder David Copperfield liegt auch darin begründet, dass der (scheinbare) Einsatz von Leib und Leben für reichlich Nervenkitzel sorgt. Zwar setzen Künstler wie Copperfield für TV-Shows bisweilen auf Kameratricks. Für Katharina Rein steht dennoch die Art der Inszenierung im Vordergrund. Wie die Tricks technisch funktionieren, will die Wissenschaftlerin lieber nicht wissen, aus einem einfachen Grund: „Das wäre ziemlich langweilig, und die Shows machen dann automatisch weniger Spaß.“
Lesetipp
Techniken der Täuschung. Eine Kultur- und Mediengeschichte der Bühnenzauberkunst im späten 19. Jahrhundert von Katharina Rein wurde mit dem Jubiläumspreis des Büchner Verlags ausgezeichnet und 2020 veröffentlicht. Es ist die erste kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bühnenzauberkunst im späten 19. Jahrhundert.
Katharina Rein ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Medientheorie/ Medienwissenschaft an der Universität Potsdam.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2024 „Europa“ (PDF).