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„Pflanze KlimaKultur!“ – Was ein Beet im Botanischen Garten über die Auswirkungen des Klimawandels verrät und was das mit Citizen Science zu tun hat

Prof. Dr. Anja Linstädter (li.) und Dorit Siebert am Modellbeet des Projekts „Pflanze KlimaKultur!“ im Botanischen Garten der Universität Potsdam.
Dr. Daniel Lauterbach erklärt im Botanischen Garten.
Dorit Siebert (li.) und Prof. Dr. Anja Linstädter vor der Tafel der Ausstellung „Re:Generation“ zum Projekt „Pflanze KlimaKultur!“ im Botanischen Garten der Universität Potsdam.
Photo : Thomas Roese
Prof. Dr. Anja Linstädter (li.) und Dorit Siebert am Modellbeet des Projekts „Pflanze KlimaKultur!“ im Botanischen Garten der Universität Potsdam.
Photo : Thomas Roese
Dr. Daniel Lauterbach. Foto: Thomas Roese
Photo : Thomas Roese
Dorit Siebert (li.) und Prof. Dr. Anja Linstädter vor der Tafel der Ausstellung „Re:Generation“ zum Projekt „Pflanze KlimaKultur!“ im Botanischen Garten der Universität Potsdam. Foto: Thomas Roese

Unter professioneller Anleitung ein Beet anlegen und gleichzeitig pflanzenökologische Forschung unterstützen? Kein Problem! Im Projekt „Pflanze KlimaKultur!“ konnten engagierte Potsdamerinnen und Potsdamer als Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mithelfen, Daten darüber zu sammeln, wie krautige Pflanzen mit dem Klimawandel zurechtkommen. Vor Ort im Botanischen Garten der Universität Potsdam sprach Matthias Zimmermann mit dessen Direktorin Prof. Dr. Anja Linstädter, der Biologisch-Technischen Assistentin Dorit Siebert sowie dem Experten für Wildpflanzen Dr. Daniel Lauterbach über Forschungslücken, Verantwortungsarten und das beglückende Gefühl, wenn Forschung in die Gesellschaft hineinwirkt.

„Pflanze KlimaKultur!“ – was ist das?
Dorit Siebert: Ein Citizen-Science-Projekt im Bereich Pflanzenökologie, initiiert von Forschenden der Universitäten in Berlin, Halle und Jena und mit Beteiligung des Botanischen Gartens der Universität Potsdam. Dabei haben die Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler über zwei Jahre hinweg elf Pflanzen in einem Beet beobachtet – genau genommen ihre Phänologie, so nennt man die Entwicklung der Pflanzen im Jahresverlauf.

Anja Linstädter: Das Projekt versucht, eine Forschungslücke zu schließen hinsichtlich der Effekte des Klimawandels auf die Phänologie von krautigen Pflanzen. Wir wissen schon sehr viel darüber, wie der Klimawandel die Phänologie von Bäumen und anderen holzigen Pflanzen verschiebt, denn zur Entwicklung von Bäumen existieren lange Zeitreihen. In Japan zum Beispiel gibt es seit 1200 Jahren Aufzeichnungen dazu, wann die Kirschblüte einsetzt. Auch für Deutschland gibt es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bereits ähnliche Aufzeichnungen für die Obstbaumblüte. Aus diesen Langzeitbeobachtungen wissen wir, dass die Bäume – infolge der Erderwärmung, des menschengemachten Klimawandels – immer früher anfangen zu blühen und dadurch stärker spätfrostgefährdet sind. So haben in diesem Frühjahr viele Obstbäume ihre Blüten und damit ihren Fruchtansatz verloren. Und wir wissen, dass sich dieser Trend weiter verstärken wird. Leider wissen wir vergleichsweise wenig darüber, wie sich der Klimawandel auf die krautigen Pflanzen auswirkt. Dabei machen diese mehr als drei Viertel aller heimischen Pflanzenarten aus. Aber der phänologische, meteorologische Kalender orientiert sich eigentlich fast nur an holzigen Pflanzen. Einzige Ausnahme ist das Schneeglöckchen, dessen Blüte den Vorfrühling anzeigt. Krautige Pflanzen reagieren, sofern wir das schon wissen, offenbar anders auf den Klimawandel als Bäume: Sie takten ihre Phänologie – also wann sie ihre Blätter austreiben, blühen und fruchten – nicht nur mit Hilfe der Temperatur und der Tageslänge, wie es Bäume tun, sondern auch stark über die Bodenfeuchtigkeit. Allerdings wissen wir nicht, welcher dieser drei Taktgeber welchen Einfluss hat – und was passiert, wenn sich an Temperatur und Feuchtigkeit klimawandelbedingt etwas ändert. Deshalb gibt es schon seit einigen Jahren verstärkte Bemühungen, diese Wissenslücke zu füllen. Denn Veränderungen infolge des Klimawandels haben erstens ganz praktische Auswirkungen, zum Beispiel für die Frage, wann Bauern ihre Wiesen mähen sollten. Das dürfte nämlich immer früher sein, weil die Pflanzen früher anfangen zu wachsen. Es ergeben sich aber auch vorranging ökologische Auswirkungen, weil sich Pflanze-Tier-Interaktionen künftig entkoppeln könnten. Wenn etwa Bestäuberorganismen oder Herbivoren – also Tiere, die Pflanzen fressen – andere Umweltreize nutzen, um ihre eigene Phänologie zu takten, kann es zu einer zeitlichen Entkopplung kommen. Fliegen die Bestäuber, etwa Hummeln, zu früh oder zu spät, ist das ein Problem – für sie selbst, aber auch viele Pflanzenarten, die auf ihre Bestäuber angewiesen sind.

Wie ist denn das Projekt entstanden?
Linstädter: Initiiert haben es Kolleginnen und Kollegen vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig. Ausgangspunkt war „PhenObs“, ein globales Netzwerk botanischer Gärten, das Forschende, Studierende und Bürgerwissenschaftler zusammenbringt, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Phänologie von krautigen Pflanzen zu erforschen. „Pflanzen-Klima-Kultur!“ ist gewissermaßen ein konkreter Ableger. Die Idee war, möglichst viele Daten über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf elf krautige Wildpflanzenarten aus genetisch einheitlicher Herkunft zu sammeln – und zwar sowohl in den großen Städten als auch in den Randbereichen und in den umliegenden ländlichen Gebieten. Da wir wissen, dass es in den Städten immer rund zwei, drei Grad wärmer ist als im Umland, können wir dort schon die Klimabedingungen von morgen beobachten.

Warum setzt das Projekt auf Citizen Science?
Linstädter: Da krautige Pflanzen auch sehr sensibel auf Bodenfeuchtigkeit reagieren, braucht man für ihre Erforschung einen viel größeren Datensatz als für Bäume. Unterschiede zeigen sich sogar in ein und demselben Garten: Steht eine Pflanze im Schatten, entwickelt sie sich phänologisch später als an einem sonnigen Standort. Ein solche Menge Daten von möglichst verschiedenen Orten war eigentlich nur mit einem bürgerwissenschaftlichen Ansatz zu erreichen. Deshalb war es wichtig, dass in den beteiligten Städten – Berlin, Halle, Leipzig, Jena und Potsdam – Menschen aus verschiedenen Wohngebieten angesprochen wurden: aus dem Zentrum ebenso wie von den Rändern.
Eine Schlüsselrolle hatten die botanischen Gärten der jeweiligen Städte inne. Denn dort wurden sogenannte Modellbeete angelegt und Schautafeln aufgestellt. Außerdem wurden Trainings durchgeführt, bei denen das Vorgehen erklärt wurde und die Bürgerinnen und Bürger Fragen stellen konnten. All das sollte sicherstellen, dass die Daten auf die richtige Art und Weise erhoben werden, um sie wirklich nutzen zu können.

Was haben denn Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eigentlich genau gemessen – und wie?
Siebert: Letztlich haben sie zwei Jahre lang einmal pro Woche ihr Beet aufgesucht und nach den phänologischen Zuständen der Wildpflanzenarten geschaut: Wann zeigen sich die ersten Blätter? Blühen sie? Tragen sie reife Früchte? Zeigen sie Seneszenz? So nennt man den Zustand, wenn Blätter, Blüten und Früchte altern und absterben. Aber auch Beobachtungen wie Trockenheitsstress und Schädlingsbefall wurden vermerkt.
Anschließend konnten sie die Beobachtungen über ein Webinterface eintragen. Die elf Pflanzenarten wurden so ausgewählt, dass eigentlich zu jeder Jahreszeit etwas blühen sollte. Der kleine Winterling etwa ist im Mai schon komplett seneszent, einige wenige Früchte sind noch zu sehen, die Blätter längst vertrocknet. Sein Zyklus ist abgeschlossen – während andere Pflanzen hier im Beet gerade wachsen und Blätter bilden oder das Mädesüß, welches gerade blüht. Die Malve wiederum treibt gerade erst aus. Die Auswahl stellte also sicher, dass die Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler immer was zu beobachten hatten. Nicht wenige haben bei den Treffen hier im Garten zurückgemeldet, dass sie sich für das Projekt noch einmal intensiver damit beschäftigt haben, was eigentlich eine Blüte oder eine Frucht ist. Anderen ist durch die regelmäßigen Beobachtungen bewusstgeworden, wie wichtig Insekten für die Vermehrung der Pflanzen sind.

Wie viele Menschen haben sich denn an „Pflanzen-Klima-Kultur!“ beteiligt?
Siebert: Insgesamt dürften es rund 130 Beete nur im Raum Berlin gewesen sein; davon rund um Potsdam knapp 15.

Wie wurden sie ausgewählt?
Siebert: Die Idee war ja, verschiedene Standorte mit unterschiedlichen klimatischen Bedingungen dabei zu haben. Am Ende war es aber wichtiger, Menschen zu finden, die bereit waren, wirklich über zwei Jahre hinweg dabei zu bleiben, die Beete zu pflegen und regelmäßig die phänologischen Daten zu erheben. Manche haben als Gruppe teilgenommen, zum Beispiel als Schulklasse oder Hausgemeinschaft, und gemeinsam ein Beet betreut. Das war leichter zu gewährleisten.

Wie ging es nach der Anmeldung weiter?
Siebert: Alle Teilnehmenden erhielten einen recht umfangreichen Leitfaden und eine ausführliche Einweisung an den Modellbeeten. Für bessere Vergleichbarkeit wurden die Pflanzen mit gleichem genetischen Ursprung vorab von den Botanischen Gärten der beteiligten Hochschulen angezogen und dann zentral an die Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ausgegeben. Diese haben dann privat ein eigenes Beet angelegt. Des Weiteren erhielten sie einen Datenlogger, der regelmäßig die Bodentemperatur und -feuchte aufzeichnete, um die Umweltbedingungen zu dokumentieren, unter denen sich die Pflanzen entwickeln. Zusätzliche Pflege wie Wässern war nur anfänglich erlaubt. Dazu gab es regelmäßig Newsletter per E-Mail, Sprechstunden online – aber auch vor Ort wie hier am Modellbeet im Paradiesgarten des Botanischen Gartens. Der Ort ist frei zugänglich und zugleich konnten die Gärtnerinnen und Gärtner des Botanischen Gartens sicherstellen, dass die Pflanzen gedeihen.

Wie lief die Zusammenarbeit mit Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern? War es als Citizen-Science-Projekt ein Erfolg?
Siebert: Ob die Daten vollständig verwertbar sind, muss die Auswertung des Projekt-Teams zeigen, die gerade noch läuft. Das Feedback der Teilnehmenden war jedenfalls durchweg positiv. Und es ist auch für uns befriedigend festzustellen, dass dadurch Interesse an Pflanzenökologie geweckt wird. Viele der Beteiligten kamen regelmäßig mit Fragen zu uns, hatten Spaß an der Mitarbeit – und gehen dank des Projekts mit offeneren Augen durch die Natur.  Es gibt viel Interesse, die Beobachtung fortzusetzen.
Linstädter: So vielfältige Daten aus der Fläche zu erhalten, die wir selbst in der Fülle gar nicht erheben könnten, ist auf jeden Fall ein Gewinn. Besonders toll fand ich an dem bürgerwissenschaftlichen Ansatz, dass auch Familien mit Kindern dabei waren, die auf diesem Weg spielerisch an die Natur herangeführt werden und dabei ungezwungen Interesse für Pflanzen- und Tierarten entwickeln. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die derart Sachverstand aufbauen, sich stärker für Naturschutz und Co. einsetzen. Denn nur das, was man kennt, liegt einem am Herzen, und nur das, was einem am Herzen liegt, ist man auch bereit zu schützen.

Gibt es schon erste Ergebnisse aus dem Projekt?
Linstädter: Die Auswertung läuft noch, aber erste Aussagen lassen sich schon treffen. Unter anderem haben wir die Datenreihen hier aus Potsdam mit denen aus Berlin verglichen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Pflanzen in Potsdam meist einige Tage bis eine Woche später anfangen zu blühen oder auszutreiben als die in Berlin, weil es dort stets zwei bis drei Grad wärmer ist. Auf einer Wärmekarte zeigt sich Berlin quasi als Hitzeinsel, und diesen Unterschied sieht man auch an der Phänologie der Pflanzen. Aus dem Datensatz von „Pflanze Klima-Kultur!“ wissen wir schon, dass für Frühjahrsblüher wie die Wildtulpe, die offenbar besonders empfindlich reagieren, ein Grad Unterschied sich schon deutlich auswirkt – und sie eine Woche früher zu blühen anfängt.

Das Projekt ist eingebunden in die Freiluftausstellung „Re:Generation“ der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die aktuell im Park Sanssouci an den großen pinkfarbenen Tafeln zu erkennen ist. Wie kam es dazu?
Linstädter: Als Direktorin des Botanischen Gartens versuche ich verstärkt, den Garten, der ja mitten im Schlosspark von Sanssouci liegt, auch mit diesem gemeinsam zu denken und nach außen zu zeigen. Deshalb bemühen wir uns schon seit einiger Zeit um eine intensivere Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Als dann die Ausstellung „Re:Generation“ geplant wurde, haben wir überlegt, was wir als Botanischer Garten dazu beitragen können und unser Projekt schien uns besonders passend. Ganz im Sinne von: nicht nur die die Katastrophe zeigen, sondern immer auch darüber sprechen, was wir selbst gegen das Problem tun können. Zeigen, dass es die Möglichkeit gibt, sich in solche bürgerwissenschaftlichen Projekte einzubringen.

Wie fügt sich das Projekt in die Arbeit des Botanischen Gartens ein?
Siebert: Hier im Beet von „Pflanze KlimaKultur!“ waren es elf Pflanzenarten – im schon erwähnten „Mutterprojekt“ „PhenObs“ dagegen sind es schon 110 Arten, die seit April 2021 wöchentlich in Potsdam beobachtet werden. Daten aus mehr als 20 Botanischen Gärten aus unterschiedlichsten Klimazonen, die sich rund um den Globus verteilen, werden gemeinsam ausgewertet, sodass wir in dieser Langzeitbeobachtung sehen können, welchen Einfluss der Klimawandel auf die Phänologie der überwachten Pflanzenarten haben kann. Um das beurteilen zu können, werden zum einen jeweils die Standortbedingungen aufgenommen, also die Temperatur, Boden- und Luftfeuchte, aber auch Informationen zur Bodenstruktur. Zum anderen werden die Pflanzen alle beprobt und ihre funktionellen Pflanzenmerkmale aufgenommen, wie zum Beispiel ihre Wuchshöhe oder ihre Blattflächen und -gewichte. Daraus lassen sich dann Aussagen dazu ableiten, wie Arten auf das sich verändernde Klima reagieren.
Linstädter: Die Idee dahinter ist, dass wir Pflanzenarten mit möglichst unterschiedlichen Lebensstrategien berücksichtigen. Denn dann können wir ökologische Schlussfolgerungen ziehen, inwieweit solche Strategien der Pflanzen eine Rolle spielen hinsichtlich der beobachteten phänologischen Veränderungen. Es gibt Pflanzen, die sind sehr vorsichtig und schützen ihre Blätter sehr gut gegen Trockenstress. Aber es gibt auch Arten, die eher als Hasardeure unter den Pflanzen gelten können: Sie wachsen zwar schnell, aber ihre Blätter sind dafür auch viel anfälliger gegen Trockenstress. Wenn wir solche funktionellen Unterschiede in den Pflanzenstrategien besser verstehen, können wir künftig hoffentlich Vorhersagen dazu treffen, wie bestimmte Pflanzenarten mit ihrer Phänologie auf klimatische Veränderungen reagieren werden. Die starke Frühjahrstrockenheit, wie wir sie in diesem Jahr erlebt haben, ist beispielsweise für kleinbleibende Wildpflanzenarten auf sandigen Böden ein Riesenproblem. Gerade über diese Pflanzen wissen wir eigentlich noch sehr wenig – was aus Naturschutzsicht ausgesprochen bedauerlich ist, weil einige dieser kleinen, krautigen Pflanzenarten, die unter den Klimaveränderungen besonders stark leiden, zu den sogenannten Verantwortungsarten im Land Brandenburg zählen. Das sind diejenigen Arten, die bei uns einen Verbreitungsschwerpunkt haben, von denen vielleicht sogar ein Großteil der Weltpopulation hier im Land zu finden ist, weshalb Brandenburg eine besondere Verantwortung für den Erhalt dieser Art hat. Diese Lücke wollen wir mit unserer Forschung schließen.
Daniel Lauterbach: Aktuell beschäftigen wir uns in zwei Projekten mit gefährdeten Pflanzenarten. In dem einen geht es um Verantwortungsarten für den gesamtdeutschen Raum, also Arten, die nur in Deutschland vorkommen oder deren Hauptverbreitungsgebiet in Deutschland ist. Ein Beispiel ist die Graue Skabiose. Eigentlich kommt sie mit dem Lebensraum Trockenrasen – also mit trockenen, sandigen Böden – verhältnismäßig gut zurecht. Also sollte man denken, dass sie ein Gewinner des Klimawandels ist. Aber das gilt eben nur für die ausgewachsene Pflanze. Als Jungpflanze braucht sie eine feuchte Phase, um sich zu etablieren. Fehlt diese, hat auch sie es schwer. Hier im Beet, das regelmäßig gewässert wird, ist das kein Problem. Aber draußen zeigt sich, dass die Pflanze ziemlich konkurrenzschwach ist und sich bei langen Trockenphasen unzureichend verjüngt. Noch wissen wir zu wenig darüber. Daher müssen wir diese Verantwortungsarten unbedingt über einen längeren Zeitraum untersuchen, um herauszufinden, wie sie auf den Klimawandel reagieren.

Und werden für die Verantwortungsarten auch Schutzmaßnahmen ergriffen?
Lauterbach: Ja, dafür arbeiten wir im Projekt „LIFE Trockenrasen“ mit der Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg und der NABU-Stiftung Nationales Naturerbe zusammen. Hier im Botanischen Garten ziehen wir gezielt Trockenrasenarten nach, ein bunter Strauß von circa 30 seltenen, hochgradig gefährdeten Arten, die „draußen“ inzwischen selten geworden sind – wie die Graue Skabiose. Neben dem Klimawandel ist eine Hauptursache dafür die Landnutzungsveränderung: Durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung gelangen zu viele Nährstoffe in den Boden, was die Konkurrenzverhältnisse verschiebt. Wiederum fehlt es in einigen Lebensräumen an extensiven Landnutzungsformen. Somit sind übermäßige Nährstoffeinträge und Nichtnutzung ertragsarmer Standorte hier in unserer mitteleuropäischen Kulturlandschaft immer noch der Haupttreiber für den Artenrückgang. Deshalb sammeln wir Saatgut von den Wildpopulationen, ziehen sie nach und pflanzen sie aus, vor allem im Herbst, wenn der Boden feucht genug ist und sie sich etablieren können. Unserer jüngsten Bilanz zufolge haben wir bislang rund 28.000 Jungpflanzen an geeigneten Standorten wieder angesiedelt. Leider haben wir jedes Jahr im Frühjahr massive Ausfälle, weil es zu trocken ist. Dieses Jahr war der Winter extrem nass, aber die vergangenen Wochen waren schon wieder zu trocken. Eigentlich ist es ganz normal, dass sich nicht jedes Jahr neue Pflanzen etablieren lassen. Es gibt eben gute und schlechte Jahre. Aber die guten Jahre werden aufgrund des Klimawandels voraussichtlich immer seltener. Gut möglich, dass dann Lücken entstehen, die von anderen Arten besetzt werden. Aber darüber wissen wir noch zu wenig.
Linstädter: Ganz genau, das ist eben, was noch fehlt: Bislang gibt es Fördergelder für den praktischen Naturschutz, für den Erhalt oder eine Wiederansiedlung von seltenen Arten. Was noch fehlt, ist die wissenschaftliche Erforschung der ökologischen Rahmenbedingungen für diese Arten: Wie überleben sie eigentlich in der freien Natur? Wie wirkt sich der Klimawandel auf sie aus? Eine systematische Forschung, die dafür nötig wäre, ist aber wiederum in den angewandten Naturschutzprojekten nicht möglich. Wir als Botanischer Garten haben dafür aber eigentlich gute Ausgangsvoraussetzungen, weil wir beide Seiten an einem Ort haben. Meine Vision ist, die verschiedenen Akteure in den kommenden Jahren noch stärker zusammenzubringen und die Grundlagenforschung sowie die naturschutzbezogene angewandte Forschung zu integrieren. Dabei könnte helfen, dass wir voraussichtlich in Potsdam ein Kompetenzzentrum für den Wildartenschutz etablieren können – zunächst einmal für das Land Brandenburg, aber wahrscheinlich auch mit der Führungsrolle für ganz Deutschland. Das ermöglicht uns dann hoffentlich die Ausstattung und Kontinuität, um solche Fragen künftig wirklich angehen zu können.

Weitere Informationen:
Mehr zum Projekt „Pflanze KlimaKultur!“: www.pflanzeklimakultur.de/i
www.uni-potsdam.de/de/ibb-biodiversitaet/research/pflanze-klimakultur-assessing-climate-influences-on-urban-plant-diversity-with-citizen-scientists
Mehr zur Ausstellung „Re:Generation“: www.spsg.de/aktuelles/ausstellung/regeneration

Text: Matthias Zimmermann / matthias.zimmermann@uni-potsdam.de

Kontakt: Prof. Dr. Anja Linstädter / linstaedter@uni-potsdam.de