Comics für… … Anfänger*innen
Es ist vor allem die Form, die den Comic zu dem macht, was er ist: Die gerahmten Zeichnungen werden als Panels bezeichnet. Der Raum zwischen ihnen heißt Rinnstein (engl. gutter). Er bietet Platz für Auslassungen innerhalb der Geschichten. Wer bei Comics an bunte „POW!“- und „BOOM“-Schriftzüge denkt, hat bereits die „Sound Words“ vor Augen – eine weitere grafische Besonderheit des Mediums. Nicht zu vergessen: Gesagtes findet in typischen Sprechblasen Platz. Bild und Text werden verknüpft und es entsteht daraus etwas Drittes, wie Maria Weilandt weiß: „Der Comic ist ikonotextuell.“ Er geht über die Summe seiner visuellen und textlichen Einzelteile hinaus. Wie überall gilt natürlich: Ausnahmen bestätigen die Regel. „Es gibt auch Comics, die mit Bildern ohne Text arbeiten oder andersherum“, so Weilandt. Das lässt tief blicken. Denn sich auf eine eindeutige Definition zu einigen, fällt Fachleuten schwer. Der Begriff der Graphic Novel fügt der komplizierten Gemengelage eine weitere Facette hinzu: „Die Bezeichnung hat eher geschadet als genützt“, sagt die Wissenschaftlerin. Werke, die ernsthaftere Themen verhandeln, erhielten diesen Marketing-Beinamen. „Damit wird ein ‚Rest‘ produziert, der den Hoch- und Populärkultur-Diskurs über den Comic vorangetrieben hat.“ Rückblickend musste die Literaturform sich schon einige Kritik gefallen lassen: Comics neigten zur Ideologisierung, seien zu simpel oder vor allem für Kinder gemacht. In einigen Ländern wird dem Comic ein höherer Stellenwert beigemessen, wie in Frankreich, Belgien oder Japan. Innerhalb der vergangenen 15 Jahre beobachtet Maria Weilandt aber eine willkommene Veränderung auf dem deutschen Buchmarkt: „Der Comic wird hierzulande mehr wahrgenommen.“
… Fortgeschrittene
Geschichten in Bildfolgen finden sich schon in der Antike. Der moderne westliche Comic, wie wir ihn kennen, entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts. Seine Erfolgsgeschichte prägten seitdem US-amerikanische Comicstrips wie Little Nemo in Slumberland von Windsor McCay, die in Sonntagsausgaben erschienen. Weil sie so viele Fans hatten, bereicherten bald Krazy Kat von George Herriman und andere Strips auch die Tageszeitungen. Dem Namen „comic strips“ nach waren die Bildgeschichten zu Beginn humoristisch angelegt. In der Zwischenzeit hat sich viel getan. „Man kann im Comic alle Geschichten erzählen“, sagt Maria Weilandt – auch über Themen wie Krankheit, Trauma oder Identität. Aktuell gibt es einen Boom von gezeichneten Autobiografien. „Die Kombination von Bild und Text ermöglicht eine spezielle Art von Erzählung. Weil die Geschichten in Panels aufgeteilt sind, lässt sich das episodische Erzählen, das für Autobiografien typisch ist, gut realisieren“, sagt die Literaturwissenschaftlerin. Das bietet sich an, immerhin sind menschliche Erinnerungen ebenso fragmentarisch wie der Comic. Aber auch seine Form variiert: Experimentelle Comics sprengen den Rahmen der konventionellen Buchdeckel und erinnern optisch auch schon mal an ein Gesellschaftsspiel, wie Building Stories von Chris Ware. Mit Webcomics katapultiert sich die Literaturform in das digitale Zeitalter und ermutigt Leser*innen sogar, sich interaktiv zu beteiligen. Comiczines ermöglichen die Veröffentlichung von Geschichten auch außerhalb der etablierten Verlage – und sorgen so nicht nur für mehr Zugänglichkeit, sondern erweitern auch das Spektrum des Mediums.
… Kenner*innen
Maria Weilandt interessiert sich für Storytelling und analysiert die narrativen Aspekte von Comics. Besonders Leerstellen und Brüche haben es ihr angetan. „Wie lässt sich dasjenige erzählen, das nicht in den Rahmen passt?“, das fasziniert sie. Auch die Analyse des Zusammenwirkens von Bild und Text ist Bereicherung und Herausforderung zugleich. Im deutschsprachigen Raum kümmert sich das Feld der „Comicforschung“ darum, das geliebte Popkulturgut wissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen. Das bedeutet, mehrere Disziplinen – wie die Literaturwissenschaft, Gender Studies & Co. – untersuchen die Bildgeschichten mit ihren eigenen Methoden. Eine eigene Disziplin der „Comicwissenschaften“ gibt es bisher nicht. Dafür aber eine „Gesellschaft für Comicforschung“ und das „Feminist Comic Network“, in denen Weilandt Mitglied ist. In den Netzwerken findet sehr viel Austausch statt – und das nicht nur unter Wissenschaftler*innen, sondern auch mit den Comickünstler*innen selbst und Journalist*innen. „Das Feld wächst stetig, es ist aber nach wie vor marginalisiert“, sagt Maria Weilandt. Umso wichtiger ist es, sich auch außerhalb der Wissenschaftscommunity darüber auszutauschen.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2023 „Mentale Gesundheit“ (PDF).