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Mental Load und Gleichstellung – Lena Hipp erforscht die Verteilung von unsichtbarer kognitiver Arbeit

Lena Hipp
Photo : D. Ausserhofer
Lena Hipp, Professorin für soziale Ungleichheit und Sozialpolitik

Elternzeit, Mental Load und Quote: Die vierte Auflage der Vermächtnisstudie, die vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführt wurde, fokussiert die Schnittstelle Familie und Arbeitswelt – und deckt damit Hürden der Gleichstellung auf. Die Sozialwissenschaftlerin Lena Hipp ist Professorin für Soziale Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Potsdam und forscht gleichzeitig am WZB. Gemeinsam mit anderen Forschenden geht Lena Hipp in dieser Studie den Fragen nach, wie sich Elternzeit auf die Karriere auswirkt, wie Paare sich heutzutage unbezahlte und unsichtbare, kognitive Arbeit – den sogenannten Mental Load – aufteilen und inwiefern Frauenquoten beeinflussen, wie erfolgreiche Frauen wahrgenommen werden.

4.211 Personen im Alter von 23 bis 65 Jahren wurden im Januar und Februar 2023 für die Vermächtnisstudie befragt. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf dem Vererben von persönlichen Werten an künftige Generationen. Es werden Fragen gestellt wie: Welche persönlichen Lebenserfahrungen, Handlungsweisen und Einstellungen möchten Menschen in Deutschland weitergeben? Sozialstrukturell möchten die Forschenden wissen, inwieweit dieses Vermächtnis nach Alter, Geschlecht, Familienstand und sozialer Schicht variiert.

Dabei haben die Forschenden zum ersten Mal neben der unbezahlten (Haus-)Arbeit auch die unsichtbare kognitive Arbeit erfasst, die als „Mental Load“ bezeichnet wird: Wer übernimmt wieviel der unbezahlten und unsichtbaren mentalen Arbeit, die bei der Organisation des partnerschaftlichen Zusammenlebens und dem Leben mit Kindern anfällt? „Die Studie hat gezeigt, dass Frauen diejenigen sind, die das Gros der unbezahlten Arbeit schultern – und zwar unabhängig davon, ob sie selbst nicht erwerbstätig sind, in Teilzeit oder gar Vollzeit arbeiten“, sagt Lena Hipp. „Wenn es um diese alltäglichen Managementaufgaben geht, wie Einkaufs- und Urlaubsplanung oder Finanzen, sehen wir, dass in den allermeisten abgefragten Bereichen die Aufgaben überwiegend von den Frauen erledigt werden“, so die Forscherin. „Männern ist zwar bewusst, dass sie weniger leisten als ihre Partnerinnen. Aber Frauen schätzenden Anteil, den ihre männlichen Partner an dieser mentalen Arbeit schultern, als noch geringer ein als Männer dies selbst tun.“ Von 21 abgefragten Dingen, an die man im Alltag denken muss, werden nur drei überwiegend von Männern geleistet: Finanzen, Reparaturen und der Kontakt mit Handwerkern.

Dieses Ungleichgewicht ist auch für die psychische Gesundheit nicht ohne Folgen: Ein zu hoher Mental Load kann auf Dauer zu gesundheitlichen Problemen führen. Gereiztheit und chronische Erschöpfung wie beim Burn-On-Phänomen können Anzeichen sein. Aber auch Migräne, Tinnitus, Schlafstörungen oder sogar Depressionen können auftreten. Ebenso können sich Blutdruck und Herzfrequenz erhöhen, wenn man unter anhaltender emotionaler Überlastung steht.

Auch bei den Auswirkungen von Elternzeit auf die Karriere gibt es Geschlechterunterschiede: „Sowohl Männer als auch Frauen denken, die beruflichen Nachteile von Elternzeit sind größer für Männer als für Frauen. Allerdings hat eine andere meiner Studien gezeigt, dass Männer, wenn sie Elternzeit nehmen – selbst wenn es für eine längere Zeit ist – eigentlich keine beruflichen Nachteile befürchten müssen. Sie verdienen nicht weniger und haben auch keine schlechteren Chancen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Diese Männer sagen selbst, dass ihre Elternzeit keine oder sogar positive Auswirkungen gehabt habe“, erklärt Lena Hipp. Allerdings: Frauen, die zwölf Monate Elternzeit genommen haben, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Vorstellungsgespräch eingeladen als Frauen, die nur zwei Monate in Mutterschutz waren. „Hier werden vorherrschende Rollenbilder und normative Erwartungen deutlich: Frauen, die lange Elternzeit nehmen, sind die besseren Mütter und darum auch die Mitarbeiterinnen und Kolleginnen, die man lieber einstellt“, so die Forscherin.

Darüber hinaus fanden die Forschenden heraus, dass geschlechterspezifische Förderprogramme, wie die Frauenquote, unbeabsichtigte Folgen haben können: So zeigen die Ergebnisse der Vermächtnisstudie, dass der Erfolg von Frauen in Unternehmen, die sich der Frauenförderung verschrieben haben, weniger auf Intelligenz und Fleiß zurückgeführt wird, als in Unternehmen, in denen ausschließlich leistungsgesellschaftliche Prinzipien gelten. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch: Ganz gleich, ob das Unternehmen als gleichstellungsorientiert oder als meritokratisch dargestellt wird. Beruflicher Erfolg von Frauen wird immer in höherem Maße deren Intelligenz und Fleiß zugeschrieben als dies bei Männern der Fall ist. Das deutet darauf hin, dass sich die Menschen in Deutschland sehr wohl der Hürden bewusst sind, die es noch immer für Frauen in der Arbeitswelt gibt.

Auch in anderen Lebensbereichen gibt es Unterschiede in den Bewertungen von Frauen und Männern: „Wir haben uns angeschaut, ob es unterschiedliche Auswirkungen auf die Wahrnehmungen von Männern und Frauen hat, wenn sie bei Eheschließung ihren Nachnamen ändern oder behalten. Wenig überraschend war, dass sowohl bei Frauen als auch Männern, die ihren Nachnamen ändern, angenommen wird, dass ihnen ihre Beziehung wichtiger sei als bei Paaren, bei denen beide ihren Nachnamen behalten“, so Lena Hipp. „Wenig überraschend ist auch, dass von Männern, die den Namen ihrer Partnerin annehmen, gedacht wird, ihnen sei ihr Beruf deutlich weniger wichtig als Männern, die ihren Namen behalten. Entgegen unserer Erwartung sehen wir jedoch bei Frauen gar keinen Effekt der Nachnamenswahl für die wahrgenommene Arbeitsorientierung. Ganz egal, ob sie ihren Namen behalten oder nicht: Bei ihnen wird immer angenommen, dass ihnen der Beruf weniger wichtig sei als dies bei Männern der Fall ist“, fasst die Forscherin zusammen.

Zum ersten Mal zeigt sich in der Vermächtnisstudie außerdem, dass die Bedeutung von Kindern bei den Befragten sinkt. „Insbesondere jüngere Frauen raten nachfolgenden Generationen, eigenen Kindern weniger Wichtigkeit einzuräumen“, so Lena Hipp. „Während sie privat, bei der Aufteilung von unbezahlter Sorgearbeit und kognitiver Arbeit starke Ungleichheit erleben, erscheint die Arbeitswelt als ein gerechterer Ort, an dem klarere Regeln gelten.“

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2023 „Mentale Gesundheit“ (PDF).