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„Unabhängig und ergebnisoffen“ – Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf berät die Bundesregierung zur Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs

Auf dem Bild ist Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf zu sehen. Foto: Finn Winkler
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland laut StGB strafbar.
Photo : Finn Winkler
Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht.
Photo : AdobeStock/Manuel Schönfeld
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland laut StGB strafbar.

Wer in Deutschland eine Schwangerschaft abbricht, muss eine Freiheits- oder Geldstrafe verbüßen – so heißt es im Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches (StGB). Das gilt sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für die schwangere Frau. Zwar legt das Gesetz Ausnahmen fest. Doch die grundsätzliche Kriminalisierung schwangerer Frauen und Ärzt*innen wird seit Jahrzehnten politisch und gesellschaftlich diskutiert, auch angesichts der Herausforderungen, vor denen die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht. Die Potsdamer Juristin Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf wurde nun von der Bundesregierung in ein Gremium berufen, das die Verankerung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des StGB prüfen soll.

Familienministerin Lisa Paus, Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach und Justizminister Dr. Marco Buschmann haben am 31. März 2023 die „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ konstituiert. 18 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fächern wollen der Regierung innerhalb eines Jahres einen Bericht vorlegen. Woran genau arbeiten Sie in der Kommission?

Zwei Arbeitsgruppen gehören zu der Kommission: Die erste, in der ich tätig bin, beschäftigt sich mit der Möglichkeit, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts zu regeln. Die zweite Arbeitsgruppe untersucht die Möglichkeiten der Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft. Beides ist in Deutschland – anders als in anderen Ländern – bislang nicht erlaubt. Die Kommission setzt sich u.a. aus Juristinnen, Medizinern und Ethikerinnen zusammen. Diese Interdisziplinarität ist wichtig, um alle Aspekte des Auftrags im Blick zu haben. Der Zeitplan ist sehr ambitioniert, daher wird in beiden Gruppen intensiv gearbeitet.

Welche Alternativen sehen Sie derzeit für die Regulation des Aborts außerhalb des Strafrechts?

Da gibt es theoretisch verschiedene Optionen, doch welchen Gestaltungsraum unser Grundgesetz und auch das Völker- und Unionsrecht dem Gesetzgeber lassen, ist letztlich die Frage, die wir in der Kommission prüfen. Hier sind wir in keiner Weise festgelegt, sondern arbeiten wissenschaftlich unabhängig und ergebnisoffen.
Wenn der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches regeln dürfte, dann gäbe es zum Beispiel die Option, ihn im Schwangerschaftskonfliktgesetz zu regeln, ihn berufsrechtlich zu flankieren und ihn möglicherweise auch anders zu sanktionieren, als es derzeit im StGB der Fall ist. Die Kernfrage aber ist: Darf sich der Gesetzgeber außerhalb des Strafrechtes bewegen? Wir haben ein schwieriges Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens auf der einen und den Rechten der Frau auf der anderen Seite. Hinzu kommen möglicherweise auch Rechte des Erzeugers. All diese Rechte genau auszuloten, das ist Aufgabe der Kommission.

Wie könnten gleichzeitig das ungeborene Leben und die schwangere Frau geschützt werden?

Im Kern haben wir uns mit zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auseinanderzusetzen. In Verfassungsfragen ist es die letzte Instanz. Beide Urteile sind alt – eines ist von 1975, und damit fast 50 Jahre alt, das andere ist von 1993, also 30 Jahre her. In beiden Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte des Embryos sehr stark gemacht. Das ungeborene Leben hat danach Grundrechtschutz vom Moment der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat das Embryo von diesem Moment an auch die Menschenwürde, die nach unserem Grundgesetz unantastbar ist, und zwar in vollem Umfang. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass ein sogenannter abgestufter Grundrechtschutz, wie er in der Wissenschaft diskutiert wird, ausscheidet. Das Embryo genießt also das volle Grundrecht auf Leben und die uneingeschränkte Menschenwürde. Diesen Status hat das Gericht in Abwägung mit den Grundrechten der Frau – v.a. ihrem Persönlichkeitsrecht, ihrer reproduktiven Selbstbestimmung, ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – gebracht und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Rechte des Embryos grundsätzlich Vorrang genießen.

Heben die Zusätze unter Paragraph 218a das Abtreibungsverbot in der Praxis nicht bereits auf? Was genau ist das Problem an der Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs?

In der Praxis führt die Regulierung innerhalb des StGB zu Problemen: Der Grundsatz ist, dass schwangere Frauen sich bei einem Abbruch strafbar machen. Und von diesem Grundsatz ausgehend gibt es Ausnahmen, v.a. die kriminologische und die medizinische Indikation. Wenn für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht oder wenn die Schwangerschaft auf einem Sexualdelikt, also zum Beispiel einer Vergewaltigung, beruht, dann ist der Abbruch nicht nur straflos, sondern auch rechtmäßig. Außerdem bleiben die Beteiligten laut Paragraph 218a straffrei, wenn sich die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle hat beraten lassen, der Abbruch von einer Ärztin bzw. einem Arzt vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Bei dieser Beratungslösung besteht auch Straffreiheit, der Abbruch gilt aber als rechtswidrig. Das führt dazu, dass er in diesem Fall grundsätzlich nicht von der Krankenkasse bezahlt wird.
In Deutschland haben wir, gerade in ländlichen Gegenden, außerdem teilweise ein Versorgungsproblem. Es gibt dann mitunter in erreichbarer Umgebung keine Ärzte, die den Eingriff vornehmen, sodass die Betroffenen zum Teil weit fahren müssen.

Warum wurde der Paragraph bislang nicht aus dem Strafgesetzbuch genommen, obwohl es seit Jahrzehnten Proteste dagegen gibt?

Ein Grund sind wahrscheinlich die beiden Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen. Wir fragen in der Kommission, wie mit ihnen umzugehen ist, ob und inwieweit sie den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers heute einschränken.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass sich nach Ihrer Arbeit in dem Gremium etwas ändert?

Die Chance sehe ich als gegeben an. Wir wollen dem Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum aufzeigen, den er bei einer Neuregelung des Abbruchs hat oder auch nicht hat. Danach ist es am Gesetzgeber zu entscheiden, ob und wie er davon Gebrauch macht.

Auch die „Werbung“ für den Abbruch der Schwangerschaft war bis zum 18. Juli 2022 ein Tatbestand des deutschen Strafrechts. Am 24. Juni 2022 beschloss der Deutsche Bundestag die Aufhebung dieses Paragrafen 219a, der ebenfalls viele Jahre für Diskussionen gesorgt hatte. Stellt der Paragraph 218 eine größere Herausforderung dar?

Der Paragraph 219a StGB war aus meiner Sicht klar verfassungswidrig. Denn da ging es ja nicht um Werbung für Abbrüche, sondern um sachliche Informationen von Ärztinnen und Ärzten über die Methode des Schwangerschaftsabbruchs. Dass das inkriminiert war, war fast schon ein Skandal. Der Paragraph 219a hat letztlich für ein Informationsdefizit bei den Frauen und für eine Einschränkung der medizinischen Berufsausübung gesorgt, weil er Ärztinnen und Ärztinnen sachliche Informationen über zulässige Abbrüche untersagt hat. Er musste aufgehoben werden, weil er sowohl gegen Grundrechte schwangerer Frauen als auch behandelnder Mediziner*innen verstoßen hat. Insofern ist es sehr gut und richtig, dass die Politik ihn abgeschafft hat.

Interessant ist, dass das Bundesverfassungsgericht gerade noch eine Entscheidung zum Paragraphen 219a gefällt und dabei kein Wort zu Paragraph 218 verloren hat. Insofern geht von dieser neuen Entscheidung auch keinerlei Präjudiz* aus.

Sie haben als Juristin schon viel zu Fragen von Ehe und Familie und Gleichstellung geforscht. Was motiviert Sie?

Mich motiviert, daran mitzuarbeiten, dass sich Gerechtigkeit durchsetzt und insofern, das Recht dort zu verbessern, wo es aus der Zeit gefallen ist und den sich ändernden Bedürfnissen der Gesellschaft nicht mehr gerecht wird. Ich sehe die Aufgabe einer guten Juristin nicht nur darin, zu analysieren, wie der aktuelle rechtliche Rahmen ist, sondern auch Vorschläge zu unterbreiten, wie man das Recht verbessern kann. Was zum Beispiel die zweite Arbeitsgruppe betrifft, in der ich nicht Mitglied bin, muss man sich doch fragen, ob das geltende Verbot der Eizellenspende und der Leihmutterschaft noch gerecht und angemessen ist. Und übrigens auch, ob es dem Grundgesetz gerecht wird: Samenspenden sind in Deutschland erlaubt, Eizellenspenden nicht – warum eigentlich? Die Verbote führen dazu, dass Paare, die nicht alleine, auf natürlichem Weg ein Kind bekommen können, ins Ausland gehen. Gibt es nicht eigentlich auch ein Recht auf Fortpflanzung? Natürlich immer mit dem Einverständnis der Leihmutter, die entsprechend geschützt werden muss.

Es ist eine große Ehre, dass Sie ausgewählt wurden, Teil der Kommission zu sein. Wie kam es dazu?

Nun, ich wurde von den beteiligten Ministerien gefragt, ob ich bereit bin, mitzuwirken, und ich habe Ja gesagt. Die Kommission ist mit wichtigen Aufgaben betraut, an denen ich sehr gerne mitwirke.

Welchen Stellenwert hat Politikberatung in Ihrem Berufsalltag?

Das ist mein täglich Brot, seien es Prozessvertretungen, Sachverständigenanhörungen oder gutachterliche Beratungstätigkeit. Mir ist die Verbindung von Forschung und Praxis sehr wichtig: Ich verstehe Wissenschaft so, dass wir unsere Kenntnisse nach außen transportieren und der Praxis dabei helfen, das Recht besser zu machen.

Bei solchen politisch und gesellschaftlich brisanten Themen erleben auch Wissenschaftler*innen Angriffe. Ist Ihnen das schon passiert?

Ja leider. Ich erhalte Emails, Postzuschriften an den Lehrstuhl, unerwünschte Anrufe, Schmähungen im Internet … Als ich mich zur Coronaimpfung geäußert habe, habe ich sogar eine Todesdrohung erhalten. Wer Auffassungen vertritt, die Teilen der Bevölkerung nicht gefallen, muss sich leider auf etwas gefasst machen. Wenn es die Grenze zum Strafecht überschreitet, sollte man die Strafbehörden einschalten. Leider erfolgen Bedrohungen oft anonym. Dagegen vorzugehen, ist eine weitere Aufgabe des Rechts.

* Anmerkung d. Redaktion: Ein Präjudiz ist richtungsweisender Gerichtsentscheid; eine gerichtliche Entscheidung, die für die Beurteilung eines späteren Rechtsfalls von Bedeutung ist.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2023 „Mentale Gesundheit“ (PDF).