Von der Entwicklung des ländlichen Afrikas gibt es gegensätzliche Vorstellungen: Einerseits wollen Regierungen und Naturschutzorganisationen die Savannenökosysteme schützen, um den Lebensraum und die Wanderungsgebiete ikonischer afrikanischer Tierarten wie Elefanten und Löwen zu erhalten. Andererseits gibt es Visionen einer intensiveren Landnutzung in Form einer exportorientierten Agrarproduktion. Die Landbevölkerung kann weder an dem einen noch an dem anderen vollständig teilhaben. „Diese Visionen schließen sich nicht nur räumlich aus, auch ihr friedliches Nebeneinander ist sehr zweifelhaft“, sagt Liana Kindermann. Politische Akteure stellen es oft so dar, dass die Landbevölkerung durch den Tourismus vom Naturschutz profitiert, doch hohe Elefantendichten bringen zunächst keinen Mehrwert. Leben zu viele der grauen Riesen in einem Gebiet, sorgt das außerdem für eine ungünstige Kohlenstoffbilanz, da die Tiere bei ihrer Nahrungssuche Bäume beschädigen oder gar entwurzeln.
„Uns interessiert die Zukunftsgestaltung im ländlichen Afrika vor allem in Bezug auf Kohlenstoff. Dabei untersuchen wir, wie stark die Konflikte im Hinblick auf die beiden Zukunftsvisionen sind“, fasst Anja Linstädter zusammen. Die Forschenden bestimmen die Kohlenstoffspeicherung in Bäumen und Sträuchern abhängig von der sich ändernden Landnutzung, etwa wenn Savannen zu Äckern umgewandelt werden. Dafür arbeiten sie eng mit Bodenwissenschaftlern, Agrarökonominnen und namibischen Wissenschaftlern mit Schwerpunkt Wildtiermanagement zusammen. Anders als in mitteleuropäischen oder tropischen Wäldern gestaltet es sich jedoch schwierig, den Kohlenstoffgehalt in einer Savanne abzuschätzen: Die Bäume in diesen Trockengebieten sind geschädigt durch Feuer, Beweidung oder Verbiss durch Wildtiere, was mit bisherigen Methoden nicht zuverlässig erfassbar war. „Wir haben die Forschungslücke geschlossen und können nun die Kohlenstoffspeicherung in solchen störungsgeprägten Ökosystemen gut abschätzen“, berichtet Liana Kindermann. Kohlenstoff zu speichern ist eine Ökosystemleistung der Savanne, die künftig für den Handel mit Kohlenstoffzertifikaten wichtig werden könnte.
„Wir möchten außerdem herausfinden, welche Bedeutung die Bäume für die Menschen vor Ort haben“, sagt Liana Kindermann. Ob sie beispielsweise als Feuerholz, Bauholz, Fasermaterial, Nahrungs- oder Medizinpflanzen genutzt werden. In ihren Forschungsgebieten in Namibia und Sambia fielen den Wissenschaftlerinnen auch Unterschiede in der Agrarbildung auf. So lernen Kinder in Sambia bereits in der Schule Agrartechniken zur Bodenverbesserung, da bestimmte Bäume durch ihre Blätter den Boden mit Nährstoffen anreichern. „Wir erforschen, welche Bäume sie als natürlichen Dünger auf den Feldern lassen und wie das die Kohlenstoffspeicherung beeinflusst“, sagt Anja Linstädter. Um Möglichkeiten der Landnutzung und lokale Kriterien für Bodenfruchtbarkeit zu verstehen, werden Haushalte dazu befragt, wo sie ihr nächstes Feld anlegen wollen. „Auf diese Weise können wir künftige Entscheidungen jetzt schon abfragen und damit Zukunftsforschung betreiben“, ergänzt sie.
Landnutzungsentscheidungen ändern die Kohlenstoffdynamik und die damit verbundenen Ökosystemleistungen, welche die Existenzgrundlage für die Bauern bilden. „Die Menschen vor Ort sind es nicht gewohnt, dass jemand sie fragt, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen“, fasst Liana Kindermann zusammen. „Meine Hoffnung ist, dass wir gute Daten liefern und sie zusammen mit unseren interdisziplinären Partnerinnen auswerten können, um damit auch die politische Ebene zu erreichen.“ Denn über eine Obergrenze an Wildtieren wird im Moment noch nicht gesprochen. Das Ziel könnte sein, eine alternative Vision zu entwickeln, die näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort ist.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2023 „Zukunft“ (PDF).