Cenk Nickel wollte das ändern – und wandte sich an seine Kolleginnen Nina Färber und Lina Marie Schauer. Beide arbeiten wie er an der Juristischen Fakultät und interessieren sich für datenrechtliche Fragestellungen. Von seiner Idee, ein Online-Netzwerk für Promovierende und Habilitierende der Rechtswissenschaften zu initiieren, waren sie überzeugt. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie schwierig es ist, ganz allein über einem Thema zu brüten“, sagt Nina Färber. „Vor allem, wenn es so speziell wie das Digitalrecht ist.“ Die Juristin hat vor, sich im Master of Laws „Law and Technology“ an der Universität Utrecht auf den Schutz und die Verwaltung von Daten zu spezialisieren. „Wenn es um Digitalisierung geht, sind die Entwicklungen unglaublich schnell“, sagt Färber. „Es ist die Aufgabe der Rechtswissenschaften, den Umgang mit Daten zu regulieren und zu klären, was Daten überhaupt sind. Doch in der Praxis hinkt das Recht hinterher. Das Kolloquium kann hier einen Beitrag leisten und einen Überblick über aktuelle Entwicklungen vermitteln.“
Ende 2021 gründeten sie mit sechs anderen einen Verein, auf dessen Webseite sich die Mitglieder ähnlich wie bei LinkedIn oder Facebook vernetzen können: „Unser Ziel ist das Matchmaking“, sagt Nickel. Die Mitglieder können sich über die Webseite direkt kontaktieren, bekommen aber auch per E-Mail Vorschläge, wer zu ihnen passen könnte. Außerdem helfen die regelmäßigen, hochkarätigen Veranstaltungen zu Digitalisierungsfragen im Bürgerlichen, Öffentlichen und im Strafrecht – die alle online stattfinden –, die passenden Ansprechpersonen zu finden. Wer erst einmal vernetzt ist, kann selbst entscheiden, wie die Zusammenarbeit aussehen soll. Denkbar sind die gegenseitige Unterstützung bei der Recherche, das Brainstorming in Online-Konferenzen oder gemeinsame Publikationen. „Wichtig ist vielen der niedrigschwellige Austausch. Denn die Hemmschwelle, die eigene Doktormutter oder den Doktorvater zu fragen, ist oft eher hoch.“
In Nickels Dissertation geht es um den Widerruf der datenschutzrechtlichen Einwilligung in datengetriebenen Verträgen. „Wenn wir Instagram, TikTok oder Facebook nutzen, bezahlen wir das mit unseren Daten“, erklärt der Doktorand. „Sie werden in der Praxis wie Geld behandelt. Und wenn ich Facebook meine Vorlieben mitteilen muss, um das Portal nutzen zu können, wird in gewisser Weise meine Persönlichkeit zum Gegenstand des Geschäftsvertrages.“ Dieser Aspekt interessiert Nickel besonders, und zwar im nationalen Vergleich: „Weil es steuerlich und datenrechtlich Vorteile bringt, sitzen viele Digitalunternehmen in Irland. Das Land ist sehr unternehmerfreundlich.“ Der Doktorand möchte daher den Umgang mit Daten in deutschen und irischen Verträgen vergleichen: ein weitgehend unbearbeitetes Forschungsfeld. Über das Kolloquium hat er sich bereits mit zwei anderen Forschenden vernetzt.
Rund 60 Mitglieder hat der gemeinnützige Verein, nicht nur von der Uni Potsdam, sondern aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Auch Student*innen nutzen das Kolloquium, um ihr Promotionsthema zu finden“, sagt der Wissenschaftler. Mitglieder können Vorträge halten und sich so beispielsweise auf die Disputation vorbereiten. Die Veranstaltungen dienen dem fachlichen Austausch, aber auch allgemeinen Fragen zur rechtswissenschaftlichen Qualifizierung und Orientierung. So sprach der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber über die „Praxis der Europäischen Datenschutzaufsicht“ und Anna Ludin von der Europäischen Kommission gab einen „Überblick zur europäischen Datenpolitik“. Prof. Dr. Marcus Schladebach von der Uni Potsdam hielt einen Vortrag zur juristischen Promotion, der über 100 Teilnehmende hatte. „Das Interesse an dem Thema war sehr groß. Wir möchten die Veranstaltung deswegen unbedingt wiederholen.“ Denn auch Soft Skills sollen im Kolloquium vermittelt werden. Angedacht sind etwa Veranstaltungen darüber, wie es als Kind von Nicht-Akademikerinnen und -Akademikern ist, in Jura zu promovieren – das ist in dem Fach nämlich noch die große Ausnahme.
„Im Jura-Studium sind alle auf sich allein gestellt“, sagt Nickel. „Wir sitzen in der Bibliothek und bereiten uns auf das Staatsexamen vor. Teamarbeit gibt es so gut wie gar nicht, der Konkurrenzdruck ist sehr hoch – alles konzentriert sich auf die Prüfung am Ende des Studiums.“ Es gebe kaum Zeit, sich wissenschaftlich zu spezialisieren und eigene Forschungsinteressen zu entwickeln. „Manche sagen sogar, Jura sei keine echte Wissenschaft. Wir wollen hier ein Gegengewicht bilden.“ Als nächstes Ziel haben sich die Vorstandsmitglieder daher gesetzt, einen Preis für die beste akademische Arbeit im Digitalrecht zu vergeben – um die Anerkennung für die juristische Forschung weiter zu stärken.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2022 „Artensterben“ (PDF).