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Den Himmel absuchen – Der Biologe Dr. Manuel Roeleke erforscht das geheimnisvolle Leben von Fledermäusen

Ein riesiger Schwarm Faltenlippenfledermäusen verlässt seine Höhle in Thailand, um über den weiten Reisfeldern Insekten zu jagen.
Photo : Manuel Roeleke
Ein riesiger Schwarm Faltenlippenfledermäusen verlässt seine Höhle in Thailand, um über den weiten Reisfeldern Insekten zu jagen.

Sobald es abends dämmert, fange ich an, den Himmel abzusuchen – nach Fledermäusen, meinem hauptsächlichen Studienobjekt. Obwohl sie extrem artenreich sind und überall vorkommen, bleiben die fliegenden Säuger meist unentdeckt. Ihre nächtliche, versteckte Lebensweise ist wohl auch der Grund für die gegensätzlichen Emotionen und die Faszination, die Fledermäuse bei den Menschen auslösen. Erst im 18. Jahrhundert wurde mit teils brutalen Experimenten nachgewiesen, dass sie einen „sechsten Sinn“ zur Orientierung haben. Es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, bis klar wurde, dass sie Ultraschall-Rufe nutzen, um ein detailliertes Abbild ihrer Umgebung zu erstellen. Heute wissen wir, dass die meisten Fledermäuse in hoch-sozialen Strukturen leben und enorme Bedeutung für Ökosysteme haben: Die frucht- und nektarfressenden Tiere sind in den Tropen für die Bestäubung und Verbreitung vieler Pflanzen unabdingbar. Insektenfressende Fledermäuse beseitigen überall auf der Welt riesige Mengen von landwirtschaftlichen Schadinsekten.

Doch wie finden Fledermäuse ihre Beute? Das ist alles andere als trivial. Vor allem über weitläufigen Agrarflächen sind die Insekten meist nicht gleichmäßig verteilt, sondern driften in Schwärmen mit dem Wind umher. Die ausgeklügelte Echoortung der Fledermäuse funktioniert aber nur über kurze Distanzen – Jäger wie der große Abendsegler, die im offenen Luftraum jagen, können Insektenschwärme nur in einer Entfernung von 10 bis 15 Metern detektieren. Anders als viele größere Raubtiere haben sie also weniger das Problem, Beute zu fangen, als sie zu finden. Studien deuten aber darauf hin, dass manche Fledermausarten ihre Effizienz in der Gruppe erhöhen: Die Tiere können mit Echorufen bis zu einer Entfernung von 160 Meter feststellen, ob Artgenossen in der Nähe zum Beispiel Beute gefunden haben. Auf diese Weise hören sie sich gegenseitig ab und sammeln sich in lohnenden Jagdgebieten. Wie genau das funktioniert, war bis vor kurzem jedoch weitgehend unbekannt. Erst seit wenigen Jahren ist es möglich, diese Frage mit moderner Sender-Technologie zu beantworten.

Seit 2018 nutzen wir das automatisierte Radio-Tracking-System ATLAS. Aufbau und Betrieb sind zwar aufwendig und kostspielig. Der Vorteil ist aber, dass die Sender extrem leicht sind – schließlich wiegen die Tiere nur circa 30 Gramm. Wir erhalten damit außerdem Positionen von bis zu 100 Vögeln und Fledermäusen gleichzeitig im Sekunden-Takt. So konnten wir nun erstmals zeigen, dass große Abendsegler bei der Suche nach Beute ihre Bewegungen koordinieren und den Luftraum gemeinsam in einem sensorischen Netzwerk absuchen. Solche Netzwerke dienen übrigens auch als Inspiration in der Roboter-Forschung: Hier stehen mehrere simple Einheiten miteinander in Kontakt, um als Schwarm komplexe Aufgaben zu lösen. Fledermäuse sind also hoch flexibel und effizient, allerdings hängt ihr Erfolg auch von intakten sozialen Gefügen ab.

Eine weitere Studie, die Teil meiner Doktorarbeit im Graduierten-Kolleg „BioMove“ war, hat gezeigt, dass große Abendsegler sehr flexibel in ihren Jagdstrategien sind: In weiträumigen Agrarlandschaften mit zufällig und unregelmäßig verteilten Insekten werden sie von ihren Artgenossen angezogen. Das geht soweit, dass sie in den Jagdmodus wechseln, sobald sie ihnen begegnen. In heterogenen Landschaften, die von Wäldern und Gewässern geprägt sind, ignorieren sie hingegen ihre Artgenossen. Wahrscheinlich, weil in solchen Landschaften die Beute gleichmäßiger verteilt ist und soziale Jagdstrategien dort eher zu Konkurrenz führen. Diese Flexibilität ermöglicht es den Tieren, in sehr unterschiedlichen Landschaften erfolgreich zu sein.

Für mich ging die Beschäftigung mit Bewegungsökologie, Fledermäusen und Sendertechnik im Jahr 2014 mit meiner Masterarbeit am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin los. Wir waren damals eine der ersten Arbeitsgruppen, die die Chance hatte, Fledermäuse mit miniaturisierten GPS-Empfängern zu bestücken. Ich war begeistert von dieser Möglichkeit – musste aber auch feststellen, dass es sich bei der Technik keineswegs um „off-the-shelf“ Produkte handelt. Und noch heute gehören nicht nur Feldarbeit und Datenanalyse, sondern genauso Arbeiten mit dem Lötkolben und Besuche in der Bastelabteilung des Baumarkts zu meiner täglichen Beschäftigung. Zudem müssen die GPS-Logger wiedergefunden werden, um die Daten auszulesen. Da die Fledermaus sie nach einer gewissen Zeit zufällig irgendwo verliert, kann das ein aufwendiges Unterfangen sein. Doch die Mühe lohnt sich: Unsere erste GPS-Studie am großen Abendsegler machte erstmalig klar, dass die Tiere auch deswegen häufig Opfer von Windkraftanlagen werden, weil sie diese offensichtlich gezielt anfliegen. Warum sie das tun, wird noch erforscht. Es wird aber vermutet, dass sie die weithin sichtbaren, beleuchteten Strukturen zur Orientierung nutzen oder als mögliche Schlaf-Quartiere inspizieren.

In unserer neuesten Studie hat meine Kollegin Cara Gallagher mit einem Computermodell demonstriert, dass das sensorische Netzwerk während der Insektensuche zusammenbricht, wenn die lokale Population abnimmt. Das kann letztlich das Aus für die gesamte Population bedeuten. Unsere Aufgabe ist es daher, die Fledermäuse zu schützen: indem wir die oft spärlich gesäten Waldgebiete erhalten, in denen sich die Schlafquartiere befinden, indem wir die Wasserflächen bewahren, wo Beuteinsekten leben, und indem wir einen fledermaus-freundlichen Betrieb von Windenergie-Anlagen fordern.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2022 „Artensterben“ (PDF).