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„Eine Uni muss die gesellschaftliche Realität reflektieren“ – Barbara Höhle und Nina Khan über das Ziel einer diversen und diskriminierungsfreien Hochschule

Prof. Dr. Barbara Höhle (links) und Dr. Nina Khan (rechts) am Tisch mit Interviewpartnerin Dr. Jana Scholz. Das Foto ist von Thomas Roese
Prof. Dr. Barbara Höhle im Interview. Das Foto ist von Thomas Roese.
Dr. Nina Khan im Interview. Das Foto ist von Thomas Roese.
Photo : Thomas Roese
Im Gespräch mit Prof. Dr. Barbara Höhle und Dr. Nina Khan über Diversität und Diskriminierung an der Uni Potsdam.
Photo : Thomas Roese
Prof. Dr. Barbara Höhle, Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftliche Qualifizierungsphase und Chancengleichheit
Photo : Thomas Roese
Dr. Nina Khan, Referentin für Chancengleichheit und Diversity

Seit Herbst 2020 durchläuft die Universität Potsdam das Audit „Vielfalt gestalten“ des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Bis Ende 2022 soll eine Diversitätsstrategie stehen. Mit ihr soll nicht nur die Vielfalt der Hochschulangehörigen gefördert werden, es sollen auch die Barrieren schwinden, mit denen Studierende, Forschende, Lehrende und Beschäftigte in Technik und Verwaltung im Hochschulalltag zu tun haben. Dr. Jana Scholz sprach mit Prof. Dr. Barbara Höhle, Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftliche Qualifizierungsphase und Chancengleichheit, und Dr. Nina Khan, Referentin für Chancengleichheit und Diversity, über Diversität und Diskriminierung an der Uni Potsdam.

Was ist überhaupt Diversität – und wie vielfältig sind die Menschen an der Uni Potsdam?

Höhle: Diversität ist vielschichtig – sie betrifft den sozialen, gesundheitlichen, ethnischen Hintergrund, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung. Jedes Individuum vereint in sich verschiedene dieser Dimensionen. Ich finde es schwierig, dass mit Diversität meist Diskriminierung assoziiert wird. Ziel des Audits ist es, ein Umdenken anzustoßen und den Begriff positiv zu besetzen. Unser Umgang mit Diversität muss als Teil der Bemühungen gesehen werden, hervorragende Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Universität Potsdam zu interessieren.

Khan: Diversität ist ein schwammiger Begriff, das ist in den Diskussionen im Audit immer mal wieder ein Knackpunkt. Ich würde sagen, er meint die Vielfalt von Menschen im Hinblick auf bestimmte – sozial konstruierte –   Kategorien, nach denen unsere Gesellschaft strukturiert ist. Zum einen geht es um die positive Anerkennung dieser Vielfalt. Aber wenn wir Diversität in unserer Gesellschaft und an der Universität positiv verstehen und diese fördern wollen, dann müssen wir zum anderen feststellen, welche Personen und Gruppen diskriminiert werden und auf Barrieren stoßen. Ich gehe daher von einem diskriminierungskritischen Diversitätsverständnis aus, bei dem Diversität und Antidiskriminierung zwei Seiten einer Medaille sind. Wir können das eine nicht ohne das andere denken.

Wie vielfältig die Uni Potsdam ist, können wir bei vielen gesellschaftlichen Gruppen gar nicht sagen, weil keine Daten dazu vorliegen. Daher wissen wir auch nicht umfassend, mit welchen Hürden sie zu kämpfen haben; warum Studierende zum Beispiel ihr Studium abbrechen, Beschäftigte den Arbeitsort wechseln oder manche Menschen gar nicht erst an die Uni Potsdam kommen. Welche Gruppen unterrepräsentiert sind, lässt sich daher im Moment nicht mit Zahlen belegen.

Höhle: Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt: zu schauen, warum Leute gehen. Bei Studienabbrechern haben wir beispielsweise bisher kaum eine Chance zu erfahren, aus welchen Gründen sie ihr Studium nicht fortsetzen wollen.

Khan: Von einigen Studierenden höre ich in meinen Beratungen, dass sie Seminare abbrechen, weil sie unter anderem rassistische Diskriminierungserfahrungen gemacht haben.

Höhle: Bislang haben wir nur Einblick aus einzelnen Fällen und wissen nicht, ob oder in welchem Umfang Benachteiligungen oder Herabwürdigungen geschehen.

Khan: Hier habe ich große Hoffnungen in die Umfrage, die wir im Sommersemester unter allen Hochschulangehörigen durchführen. Darin erfragen wir unter anderem, wie wohl sie sich fühlen, ob sie Diskriminierung an ihrer Hochschule erlebt oder beobachtet haben und die Beratungsangebote der Uni kennen.

Wo steht die Universität Potsdam im Vergleich zu anderen Hochschulen, was Chancengleichheit, Barrierefreiheit und Diskriminierung betrifft?

Höhle: Im Vergleich zu den Hochschulen, in die ich Einblicke habe, sind wir schon ganz gut aufgestellt. Dem Thema der Chancengleichheit der Geschlechter hat die Universität Potsdam seit Langem hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Nun kommt das Thema Diversität dazu. Mit Frau Khan als Referentin für Chancengleichheit und Diversity ist es nun auch personell verankert. Welche Rolle Vielfalt an einer Hochschule spielt, ist dabei von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Mit Sicherheit sind ihre Größe von Bedeutung, die Zusammensetzung der Studierenden und Beschäftigten, die fachliche Ausrichtung, aber auch ihre regionale Verankerung. So wird zum Beispiel in einer Stadt wie Berlin Vielfalt schon viel länger diskutiert als in Regionen, wo die Bevölkerung weniger divers ist.

Die Barrierefreiheit stellt aus meiner Perspektive in vielen Gebäuden unserer Universität noch ein Problem dar, was natürlich auch an der Nutzung historischer Bauten liegt – gerade auf dem Campus Am Neuen Palais. Bei neuen Universitätsgebäuden wird jedoch auf eine barrierefreie Bauweise geachtet. Eine höhere Sichtbarkeit müssen wir bei den Beratungsangeboten für verschiedene Zielgruppen erreichen. Für den Umgang mit und Maßnahmen gegen Diskriminierung wird derzeit eine Antidiskriminierungsrichtlinie erarbeitet.

Khan: Wir haben viele engagierte Projekte sowie Anlauf- und Beratungsstellen, eine sehr gute, intersektional* ausgerichtete Gleichstellungsarbeit und eine starke Inklusionsarbeit. Die Uni muss jedoch noch mehr gegen Diskriminierung tun, das ist nur ein kleiner Teil meiner Stelle. Andere Hochschulen haben schon länger eine Antidiskriminierungsrichtlinie, eine Diversitätsstrategie und noch mehr Ressourcen und institutionalisierte Strukturen in diesem Arbeitsfeld.

Woran hapert es noch? Mit welchen Problemen haben benachteiligte Gruppen an unserer Hochschule zu kämpfen?

Khan: Diskriminierung macht nicht an den Toren einer Hochschule halt. In meinen Beratungen werden immer wieder Beschwerden über Rassismus, Sexismus, aber auch andere Diskriminierungsformen an mich herangetragen. Zum Beispiel von Studierenden, die rassistischen Sprachgebrauch in Seminaren erleben, oder von angehenden Lehrkräften, die im Praxissemester an brandenburgischen Schulen, etwa wegen ihres Kopftuchs, diskriminiert werden.

Höhle: Wie Frau Khan sagt, kommen bei ihr verstärkt Probleme in Studium und Lehre an. Dieser Bereich nimmt daher im Diversity Audit einen großen Raum ein mit insgesamt drei Arbeitsgruppen, die dazu arbeiten.

Khan: Auch in Bezug auf das Thema Geschlechtervielfalt ist noch viel zu tun. Ein Beispiel ist die Namensänderung von trans, inter und nichtbinären Personen an der Uni Potsdam, die derzeit noch nicht unkompliziert vor der amtlichen Namensänderung möglich ist. So kommt es leider immer noch zu Zwangsoutings in Lehrveranstaltungen oder in Zoom-Meetings. Ein anderes Beispiel sind die All-Gender-Toiletten: An der Fachhochschule Kiel gibt es 30, auf dem Campus Neues Palais haben wir eine einzige, die zudem nicht barrierefrei ist. Das reicht nicht – und zeigt außerdem, dass wir die verschiedenen Dimensionen von Vielfalt intersektional – zusammendenken müssen.

Höhle: Das betrifft auch wissenschaftliche Laufbahnen. Wir wissen, dass sich hier der Anteil von Frauen nach oben hin ausdünnt. Während unter den Studierenden noch mehr Frauen als Männer sind, dreht sich das bei den W3-Professuren um. Über die Hälfte der Tenure-Track-Professuren an der Uni Potsdam ist jedoch inzwischen mit Frauen besetzt – das ist eine gute Entwicklung. Ich habe die Hoffnung, dass sich das bei den W3-Professuren fortsetzt. Aber wir wissen noch zu wenig über die Hochschulangehörigen, um sagen zu können, wie wir ihre Vielfalt unterstützen können. Besonders schwierig ist die Datenlage, wenn wir über Intersektionalität sprechen, also wenn mehrere Dimensionen von Vielfalt ineinandergreifen. Dann geht es nicht allein um das Geschlecht, sondern beispielsweise auch um den sozialen Hintergrund von Hochschulangehörigen – und gerade darüber gibt es so gut wie gar keine Daten.

Khan: Es wäre tatsächlich interessant zu wissen, wie divers die Gruppe der Professor*innen im Hinblick auf unterschiedlichste Dimensionen ist. Um Maßnahmen gezielt zu entwickeln, müssen wir wissen, an welcher Stelle und warum eine Karriere endet. Dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen hier unterrepräsentiert sind, wissen wir aber bereits – wir müssen uns zum Beispiel nur fragen, wie viele Schwarze* Professor*innen es an der Uni gibt, wie viele davon trans Personen sind oder eine sichtbare Behinderung haben.

Mit dem Audit soll die Diversität der Studierenden und Beschäftigten als Chance begriffen werden, die es zu gestalten gilt. Inwiefern können Hochschulen von Vielfalt profitieren?

Höhle: Die Gesellschaft ist divers und eine Hochschule muss das widerspiegeln, sie muss die gesellschaftliche Realität reflektieren. Daher ist die Frage nach dem Ziel eigentlich Unsinn – wir müssen vielmehr Bedingungen schaffen, in denen diese Realität, in denen Vielfalt funktioniert. Ein einfaches Beispiel: Ansagen in Bussen sind mittlerweile mehrsprachig, weil die Fahrgäste es auch sind. Solche Anpassungen müssen wir auch an der Universität umsetzen. Zum Beispiel bilden wir an der Humanwissenschaftlichen Fakultät Patholinguisten aus, die unter anderem Kinder mit Spracherwerbsstörungen behandeln. Anfangs studierten in diesem Programm nur deutsche Muttersprachler, heute hat sich das Blatt gewendet: Die Klientel ist mehrsprachig, händeringend werden Sprachtherapeuten gesucht, deren Muttersprache Türkisch, Russisch oder Arabisch ist. Darauf müssen sich auch Studienprogramme einstellen.

Was versprechen Sie sich vom Audit und dem Zertifikat, das an seinem Abschluss steht?

Höhle: Allein das Thema sichtbar zu machen, ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich war sehr überrascht, wie groß das Interesse der Uniangehörigen war, sich zu beteiligen. Aber es geht auch darum, Diversität und Diskriminierung für diejenigen sichtbar zu machen, die sich dessen noch nicht so bewusst sind. Das ist ein ganz wichtiges Ziel des Audits. Außerdem ist ein Siegel natürlich eine Marke: Es zeigt, dass wir uns als Uni mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Und in Zukunft wird das Thema auch für die Förderung von Forschungsprojekten wichtiger werden, das hat zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft klargemacht.

Khan: Wir sollten zum Abschluss des Audits eine Diversitätsstrategie und einen Maßnahmenplan für die nächsten Jahre entwickelt haben. Außerdem müssen wir nachhaltige Strukturen schaffen, die die Diversitätsarbeit auch als Querschnittsaufgabe verankern.

Wie sieht eine diversitäts- und diskriminierungssensible Hochschule im Idealfall aus?

Höhle: Es ist eine Hochschule, an der Diversität und Diskriminierung kein Thema mehr sind. Vielfalt sollte ein Normalzustand sein, der keine Maßnahmen mehr braucht, sondern gelebter Teil der Hochschule ist.

Khan: Ja, das Ziel ist es, dass ich keine Arbeit mehr habe (lacht). Ich stelle mir unter einer solchen Hochschule einen Arbeits- und Lernort vor, an dem eine gleichberechtigte Teilhabe unabhängig von Diversitätsdimensionen möglich ist und an dem der kompetente Umgang mit Vielfalt einen hohen Stellenwert hat. Eine Uni, an der es eine gute Fehlerkultur gibt: wo auf Missstände und Diskriminierung aufmerksam gemacht werden kann, ohne dass dem mit Abwehr begegnet wird, und diese Fälle dann auch bearbeitet werden. Ideal wäre es, wenn Diversitätsarbeit als Aufgabe nicht nur des Koordinationsbüros für Chancengleichheit gesehen wird, sondern eine diversitätsorientierte Perspektive in allen Bereichen und Arbeitsprozessen selbstverständlich mitgedacht wird. Und wenn nicht nur die Zusammensetzung aller Statusgruppen divers ist, sondern auch Inhalte vielfältig sind, also das, was erforscht und gelehrt wird. Doch ich denke, das Zertifikat ist erst der Startschuss für das, was kommt. Diversitäts- und Antidiskriminierungsarbeit hört nie auf.

Audit „Vielfalt gestalten“

Ziel des Audits ist es, eine Diversitätsstrategie zu entwickeln und Maßnahmen zu empfehlen, mit denen Vielfalt gefördert werden kann. Zur Steuerungsgruppe gehören die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte Christina Wolff, Prof. Dr. Barbara Höhle und Dr. Nina Khan; zum Lenkungskreis zählen 18 Personen unterschiedlichster Universitätseinrichtungen. In insgesamt fünf Workshops diskutieren die Mitglieder der Steuerungsgruppe und des Lenkungskreises gemeinsam mit einer Auditorin vom Stifterverband. Ein erster Schritt war die Gründung von Arbeitsgruppen zu verschiedenen Zielstellungen: Darin entstehen die Diversitätsstrategie, eine Umfrage zu Diskriminierungserfahrungen sowie Weiterbildungsformate für alle Hochschulangehörigen. Weitere Arbeitsgruppen befassen sich mit diskriminierungssensibler Lehre und der Kommunikation. Darüber hinaus tauschen sich die Beteiligten in Foren mit Kolleginnen und Kollegen anderer Hochschulen aus, die ebenfalls das Audit durchlaufen.
Am 31. Mai findet der Diversity Tag, eine hochschulweite Veranstaltung zum Audit, statt. Weitere Informationen: www.uni-potsdam.de/de/diskriminierungsfreie-hochschule/diversitaet/diversity-audit

*Intersektionalität bedeutet, dass Personen verschiedene Dimensionen von Vielfalt vereinen.
*„Schwarze Menschen“ ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. „Schwarz“ wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle „Eigenschaft“, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen „ethnischen Gruppe“ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden." Quelle: https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache

 

Dieser Text erschien (in gekürzter Fassung) im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).