Was hält eigentlich Gebirgsketten aufrecht? Einige stehen auf starren Krustenplatten, andere werden wie Eisberge im Wasser von sogenannten Krustenwurzeln getragen, die tief in den Erdmantel reichen. Diese Gebirge können aber regelrecht zusammenbrechen und auseinanderdriften, wenn ihre Flanken nicht mehr durch tektonische Kräfte zusammengehalten werden. Der berühmte amerikanische Erdwissenschaftler Peter Molnar hat dies vor über 30 Jahren mit einer Analogie aus der Architektur verglichen: Der höchste Punkt im Mittelschiff einer Kathedrale wird durch den sogenannten Gewölbedruck beeinflusst, wobei im Laufe der Zeit Risse entstehen und das Gebäude einstürzen kann. Das Bauwerk bleibt allerdings stabil, solange ein seitlicher, nach innen gerichteter Druck durch z.B. Strebepfeiler oder Anbauten an den Außenwänden aufgebaut wird. Die hohen Anden sind in einigen Bereichen mit einer solchen Kirche zu vergleichen, die nicht mehr durch den seitlichen Druck zusammengehalten werden.
Heute wollen wir uns daher einige Strukturen ansehen, die von unserem Kollegen Gregor Lauer-Dünkelberg untersucht werden und möglicherweise auf einen schwerkraftgetriebenen Kollaps des Gebirges hindeuten. Er hat nämlich herausgefunden, dass sich die tektonischen Prozesse von einer zunächst über mehrere Millionen Jahre anhaltenden Einengung plötzlich in ein Auseinanderstreben der Krustengesteine in großer Höhe entwickelten, wobei sogenannte Abschiebungen entstanden. Abschiebungen sind Störungen, die sich z.B. im Rheingraben oder im Ostafrikanischen Rift bilden, aber sie entstehen eben auch in Gebirgen, in denen sich der tektonische Spannungszustand geändert hat. Wir versuchen nun, die Abfolge der Prozesse anhand der deformierten und datierten Gesteinsformationen im Gelände nachzuvollziehen. Wir sind sehr beeindruckt von diesen Änderungen, weil man sie in den verschiedenen Andensektoren von Peru, Bolivien und Argentinien nachweisen kann. In den argentinischen Anden sind dabei durch diese Strukturen neue Wegsamkeiten für den schnellen Aufstieg von Magmen aus dem Erdmantel aus über 70 Kilometern Tiefe entstanden, die in ihrer chemischen Zusammensetzung an Basalte aus vulkanischen Inselregionen des Pazifiks erinnern.
Jetzt wird es aber Zeit für ein karges Mittagessen mit trockenem Brot, Hartkäse und Fisch aus der Dose. Etwas Knäckebrot ist glücklicherweise auch noch da – wir träumen deshalb schon jetzt von dem Quinoa-Risotto, das uns von unserer Wirtin für den Abend in Aussicht gestellt wurde. Nach dem Essen sehen wir Eulen aus einem tiefen Loch aufsteigen. Was ist hier los? Ein perfektes Zusammenspiel von Biosphäre, Geosphäre und Anthroposphäre, denn die über 30 Zentimeter großen Eulen nisten in einem alten Minenschaft, der zum Abbau von Manganeisenerz in den 1950er Jahren in einer Störungszone angelegt wurde.
Am Nachmittag geht es einigen von uns nicht so gut. Waren es die Kieler Sprotten, der Tomatenhering oder doch der Queso Serrano? Wir fahren daher am späten Nachmittag in die Notaufnahme des kleinen Krankenhauses in La Quiaca, wo wir von vier Krankenschwestern zunächst auf Corona getestet und dann in die Sprechstunde mit zwei Ärzten vorgelassen werden. Die formalen Dinge der Behandlung sind absolut unkompliziert und kostenlos, sodass wir schon bald zu einer Diagnose kommen. Wir werden kompetent und effizient beraten und können deshalb nach kurzer Zeit unseren Rückweg nach Yavi fortsetzen. Wir sind beruhigt und freuen uns nun auf etwas Ruhe am Abend. Die große Höhe, die erbarmungslose Sonneneinstrahlung und der fortwährende Wind haben uns in den letzten Tagen ganz schön mitgenommen.
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