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„Um die Zukunft dieser Universität ist mir nicht bange“ – Prof. Dr. Julius H. Schoeps über die Gründungszeit der Universität Potsdam

Prof. Dr. Julius H. Schoeps (r.) mit Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe bei der Gründung des Moses Mendelssohn Zentrums 1994. | Foto: Karla Fritze
Photo : Karla Fritze
Prof. Dr. Julius H. Schoeps (r.) mit Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe bei der Gründung des Moses Mendelssohn Zentrums 1994.
Die Universität Potsdam entstand 1991 nicht auf der sprichwörtlichen „grünen Wiese“. Sie ging hervor aus der Brandenburgischen Landeshochschule und übernahm Liegenschaften früherer Bildungseinrichtungen in Golm und Babelsberg. Matthias Zimmermann sprach mit zweien, die in der Gründungsphase dabei waren: Dr. Uta Sändig und Prof. Dr. Julius H. Schoeps. Beide werfen – unabhängig voneinander, aber anhand derselben Fragen –einen Blick zurück. Prof. Dr. Julius H. Schoeps kam 1991 aus Duisburg nach Potsdam und war bis 2007 Professor für Neuere Geschichte (Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte), Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums und Mitglied des Gründungssenats der Universität Potsdam.

Wann und wie sind Sie an die Universität Potsdam gekommen?

Es waren verschiedene Gründe, die mich 1990/91 bewogen, in den Osten zu gehen. Einmal faszinierte mich die spürbare Aufbruchsstimmung, zum anderen war ich angetan von den Möglichkeiten, die sich in Brandenburg eröffneten. Etwas aufbauen beziehungsweise mitgestalten zu können, das war etwas, was mir gefiel. Dafür war ich bereit, so manches hinter mir zu lassen. Es kam hinzu, dass die Wurzeln meiner Familie, väterlicher- wie mütterlicherseits, im Brandenburgischen liegen. In gewisser Weise habe ich es als eine Art moralische Verpflichtung angesehen, am Wiederaufbau in den neuen Bundesländern mitzuwirken.

Was hat Sie bewogen, in dieser Zeit des Umbruchs an einer gerade erst gegründeten Hochschule zu arbeiten?

Bevor ich nach Potsdam kam, war ich 20 Jahre lang Professor für Politische Wissenschaft und Direktor des Salomon Ludwig Steinheim-Institutes für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg. Als Berliner habe ich mich im Rheinland nicht sonderlich wohl gefühlt, aber es war eine bewegte Zeit, gefüllt mit neuen und höchst spannenden Debatten. Der Ruf nach Potsdam war verlockend, denn Vieles begann hier erst von Grund auf, was mich reizte. Meine Kolleginnen und Kollegen am Historischen Institut haben das genauso empfunden. Und natürlich sollte die Lehre von Anfang an auch mit intensiver Forschung gekoppelt sein, das lag dann an uns, und natürlich benötigten wir auch Unterstützung aus der Politik. Unter dem verlängerten Dach der Uni entstanden flugs neue Institute, wie das Forschungszentrum Europäische Aufklärung, das Zentrum für Zeithistorische Forschung und auch das Moses Mendelssohn Zentrum, das ich dann fast drei Jahrzehnte leitete. Neben den kreativen Handlungsspielräumen war uns natürlich auch bewusst, dass es Lehr- und Forschungsgebiete aufzubauen galt, die in der DDR vollkommen unterbelichtet bis gar nicht existent waren. Das betraf die deutsch-jüdische Geschichte in Teilen, interdisziplinäre jüdische Studien oder moderne Migrationsstudien waren gänzlich Neuland. Es war ein Feld, das wir erfolgreich betreten haben, mit, wie ich meine, auch viel Wirkung in die Gesellschaft hinein.

Durch Ihre Arbeit im Gründungssenat haben Sie sich sehr früh aktiv in den Aufbau eingebracht – Wie kam es dazu?

Hinrich Enderlein, der damalige Minister fragte mich, ob ich nach Potsdam kommen wolle, um die geplante neue Universität mit aufzubauen. Ich habe nicht lange gezögert und zugesagt – und es nie bedauert.

Was genau war die Aufgabe des Gründungssenats?

Wir standen seinerzeit im Gründungssenat wie in ganz Ostdeutschland vor der schwierigen Aufgabe, in der Umbruchphase zwei unterschiedliche Wissenschaftssysteme zusammenzuführen. Das war, was manche sich offensichtlich heute kaum noch vorstellen können, nicht ganz einfach.

Seit wann und wie lange haben Sie dort mitgewirkt?

Von Anfang an war ich mit dabei. Ich erinnere, als ich im Frühjahr 1991 aus NRW nach Potsdam kam, sah ich auf der Brandmauer eines Hauses die Inschrift „Ausländer rein, Rheinländer raus“. Verständlicherweise habe ich das auf mich bezogen. Aber ich bin geblieben, denn ganz so schlimm ist es nicht gekommen.

Was waren die wichtigsten Aufgaben in der Anfangszeit?

Es waren sehr komplexe Aufgaben, die von der Evaluation ganzer Fachbereiche bis hin zur Evaluierung von einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern reichte – hier war Vieles von der DDR-Geschichte überschattet. Zum Beispiel dann, wenn die Frage anstand, ob eine Person, etwa im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften, akademische Arbeit geleistet oder aber nur politisch instrumentalisiert und agiert hatte. In einigen Fällen musste ein sehr schmaler Grat begangen werden, und wir haben uns bemüht, möglichst objektiv zu begutachten.

Was wurde geschafft? Gibt es für Sie eine „größte Errungenschaft“ dieser frühen Zeit?

Aus meiner Sicht ist die Umstrukturierung der Wissenschaftslandschaft durchaus gelungen. Es gab zwar Anlaufschwierigkeiten und in den 90er Jahren auch Stagnationsprozesse mit Rückschlägen, die aber langsam überwunden werden konnten. Letztendlich haben an vielen Stellen einheimische und hinzugekommene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an ein und demselben Strang gezogen, höchst erfolgreich, und zwar sowohl in den Natur- wie in den Geisteswissenschaften. Genau deshalb steht die Universität Potsdam heute insgesamt sehr gut da. Es gibt deshalb keinen Anlass zum Jammern und Wehklagen. Um die Zukunft dieser Universität, an deren Entstehen ich in den Anfängen mitwirken durfte, ist mir jedenfalls nicht bange.

Was gelang nicht?

Ich würde nicht von großen Versäumnissen sprechen wollen, aber natürlich war – auch und gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften – noch Luft nach oben, und ist es noch heute. Eine größere Ausdifferenzierung etwa im Bereich der Geschichtswissenschaften hätte der Uni sicher gutgetan, auch mit Hinblick auf Alleinstellungsmerkmale gegenüber Berlin. Das betrifft meiner Meinung nach auch die DDR-Geschichte und die jüngere jüdische Geschichte. Teilweise konnte das durch eine immense Forschungs- und Lehrtätigkeit am Zentrum für Zeithistorische Forschung für die DDR-Geschichte und am Mendelssohn Zentrum für die europäisch-jüdische Studien aufgefangen werden. Direkte Lehrstühle für DDR-Geschichte, Antisemitismusforschung oder auch Terrorismusforschung wären sicher sinnvoll und gut angelegt gewesen, wenn man sich die heutige politische Brisanz dieser Themenfelder anschaut. Und um kurz noch bei der seinerzeitigen DDR zu bleiben: Bis heute herrscht beispielsweise das große Rätselraten, weshalb in Ostdeutschland doppelt so viele Menschen die AfD wählen wie in den alten Bundesländern, und natürlich muss man hier Entwicklungen um 30, 50 oder 60 Jahre intensiv und systematisch zurückverfolgen. Das gibt es nicht für gratis, da müssen Strukturen für eine intensive Forschung her.

Gab es eine besondere Stimmung in dieser Anfangszeit?

Ja, es war wohl ähnlich wie in anderen Bereichen, etwa in der brandenburgischen Politik und Verwaltung. Das Gefühl, wir bauen nicht nur Struktur mit westlichem Know-how auf, wir machen es anders, einfach noch viel besser.

Wie lange dauerte Ihrer Ansicht nach die „Gründungsphase“ oder „Anfangszeit“ der UP?

Ich denke, bis zur Millenniumsgrenze war die Uni schon fast aus den Kinderschuhen heraus.

Was folgte dann? Auch für Sie persönlich?

Ich habe mit viel Freude am Neuen Palais deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte gelehrt und gleichzeitig erleben dürfen, wie das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studie stetig gewachsen ist und auch immer internationaler wurde.

Wenn Sie noch einmal in dieser Zeit einsetzen könnten: Würden Sie etwas anders machen? Wenn ja, was?

Das Meiste würde ich wohl wieder so angehen wie damals, zusammen mit den anderen Mitstreitern. An der einen oder anderen Stelle würde ich, wenn sich die Zeit nochmal zurückdrehen ließe, wohl noch etwas mehr jenen zuhören, die hier schon vor 1991 gearbeitet und geforscht hatten, auch wenn es separate Hochschulen und noch kein eigentlicher Campus war. Auf manche Erfahrungen dieser Menschen sind wir „Neuen“ vielleicht etwas zu wenig eingegangen.

Ist die UP heute dort bzw. das, was Sie sich in den Anfangsjahren von ihr/für sie vorgestellt haben?

Die Uni Potsdam muss sich an keiner Stelle verstecken. Sie ist organisch gewachsen und hat viel Profil und Expertise entwickelt, sowohl in den Natur- wie in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Das ist schön zu sehen, zumal, wenn man mehr oder weniger von Anfang an dabei gewesen ist.

Wo sehen Sie die UP in 30 Jahren?

Ich denke, die Uni Potsdam wird wohl langfristig sehr weit vorn mitspielen auch international, insbesondere was die Klimaschutzforschung, Biotechnologie und Geoforschung betrifft. Den Geistes- und Sozialwissenschaften wünsche ich ähnliche Erfolge, aber sie haben es deutlich schwieriger.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2021 „30 Jahre Uni Potsdam“ (PDF).