Nach zehn Jahren Hochschulleitung will der Mittfünfziger nun noch einmal etwas Neues beginnen, etwas, das all seine Erfahrung verlangt, zugleich aber experimentell bleibt und nach vielen Seiten offen ist. In der Tat sucht die Professur für Wissens- und Technologietransfer, wie sie jetzt an der Universität Potsdam besetzt wird, ihresgleichen. Sie bietet von Grünberg die Chance, das zu tun, was er besonders gut kann: frei gestalten, Ideen voran- und Menschen zusammenbringen. Als Physiker scheint ihm dafür das Labor der richtige Ort zu sein. Ein Transferlabor, in dem Neuestes aus der Forschung so weiterentwickelt wird, dass es für die Industrie interessant wird. In seinem Potsdamer Fachkollegen, dem Physikochemiker Hans-Gerd Löhmannsröben, hat er dafür einen transfererfahrenen Mitstreiter gefunden. Überhaupt bietet die Universität Potsdam mit ihrem ausgeprägten Selbstverständnis als Gründungshochschule und Wirtschaftsmotor der Region die besten Voraussetzungen. Mit „Potsdam Transfer“ und der UP Transfer GmbH hat sie zuverlässige Strukturen etabliert und mit ihrem Partnerkreis Industrie und Wirtschaft ein belastbares Netzwerk geschaffen. Genügend Anknüpfungspunkte für die neue Professur, der laut Hochschulentwicklungsplan zwei weitere folgen sollen.
Als Hans-Hennig von Grünberg 2010 von der Forschung ins Hochschulmanagement wechselte, spielte der Wissens- und Technologietransfer noch kaum eine Rolle. „Erst 2013 erhob ihn der Wissenschaftsrat zu einer zentralen Aufgabe von Universitäten. Diese sind allerdings nicht irgendein Knotenpunkt in regionalen Innovationsnetzwerken, sondern übernehmen im Transfer eine führende Funktion“, sagt von Grünberg mit Blick auf die regionale Wirtschaft und die mittelständischen Betriebe. 2015 gründete er mit elf anderen Hochschulen aus ganz Deutschland die „Hochschulallianz für den Mittelstand“, um gemeinsame Transferpotenziale besser kommunizieren und Kooperationen mit Unternehmen transparent, koordiniert und effizient gestalten zu können. „Universitäten sind darin bewandert, Großprojekte zu beantragen und zu administrieren. Das können die Betriebe nicht. Außerdem bilden die Hochschulen den Fachkräftenachwuchs aus. Eine der wichtigsten Ressourcen.“
Dass der Transfer neben Lehre und Forschung zur dritten Säule moderner Universitäten werde, habe ganz wesentlich auch mit der europäischen Förderkultur zu tun, meint von Grünberg. Die EU unterstütze inzwischen verstärkt Wirtschaftsprojekte, in die regionale Hochschulen eingebunden seien. „Die Sicht auf Universitäten verändert sich. Die Gesellschaft hat viel höhere Relevanzerwartungen an die Wissenschaft“, sagt der Transfer-Experte und spricht von Hochschulen als einem „zukünftigen Bestandteil regionaler Innovationsökosysteme“. Gut sei auch, dass die strenge Teilung in Grundlagen- und angewandte Forschung ein Ende habe. Und dass der Transfergedanke sich nicht mehr nur auf neue Technologien beschränke, sondern die ganze Fülle des akademischen Wissens umfasse.
Deshalb auch werde er nicht nur in der eigenen, der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät lehren, sondern über Fächergrenzen hinweg unterwegs sein. Die Studierenden sollen „ins Leben hinausgucken“ und überlegen, wie sich ihr theoretisches Wissen und ihre Ideen in die Praxis überführen lassen, wie sie dafür Kooperationen anbahnen, Unterstützer gewinnen, Unternehmen und Initiativen gründen können. „Sie sollen die Universität als atmende Institution wahrnehmen, die die Veränderungen der Gesellschaft aufnimmt und reflektiert“, sagt von Grünberg und plant dafür seminaristische Formate, in die er immer wieder auch interessante Referenten und Gäste aus der Praxis einladen will.
„Im Gegensatz zur klassischen Lehre und Forschung müssten Universitäten heute nicht nur Wissen erzeugen, archivieren und weitergeben, sondern sich auch darum kümmern, dass es nutzbar gemacht wird“, so von Grünberg. Eine konkrete Initiative auf dem Weg dorthin sind zum Beispiel Podcasts, in denen Studierende und Promovierende darüber berichten, was sie in ihren Arbeiten erforscht haben und wie sie dafür sorgen wollen, dass ihre Ergebnisse nach dem Abschluss nicht in der Schublade verschwinden. Diese Idee stammt vom Gesellschaftscampus des von Bund und Land geförderten Projekts „Innovative Hochschule Potsdam“, kurz Inno-UP, dessen Leitung Hans-Hennig von Grünberg übernommen hat. „Eine faszinierende Sache, die ich unterstützen und stärken will“, kündigt er an. Gleiches gilt für das Konzept einer Universitätsschule des Bildungscampus und für die Joint Labs des Technologiecampus, die im Projekt Inno-UP entwickelt wurden.
Als Hochschulmanager habe er gelernt, anderen Menschen zuzuhören und aufmerksam zu beobachten, wo etwas Neues keimt, um dann gezielt zu fördern und zu motivieren. „Eine gute Idee wirkt anziehend, wenn man einfach damit beginnt sie umzusetzen“, sagt von Grünberg und gestikuliert mit geöffneten Händen. Dafür schreibe er gern Anträge und gehe auf Werbetour. „Ich bin derjenige, der die Angel auswirft, an die jemand anderes einen interessanten Köder geknüpft hat.“ Kein Zweifel, dass der in Eckernförde Geborene weiß, wo und wie er fischen muss, damit jemand anbeißt.