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Der Physiker Dr. Ralf Tönjes antwortet auf die Frage: Inwiefern beeinflussen Influencer (eigentlich) die Dynamik ihrer Netzwerke?

Influencer Netzwerk von politischen Blogs nach den US Präsidentschaftswahlen 2004 mit den 8 am stärksten verlinkten Seiten als Influencern. | Quelle: R. Tönjes, C.E. Fiore, T. Pereira, Coherence Resonance in Influencer Networks
Photo : R. Tönjes, C.E. Fiore, T. Pereira, Coherence Resonance in Influencer Networks
Influencer Netzwerk von politischen Blogs nach den US Präsidentschaftswahlen 2004 mit den 8 am stärksten verlinkten Seiten als Influencern.
Der Begriff Influencer kommt aus den sozialen Netzwerken und beschreibt sehr gut vernetzte Individuen mit entsprechend großer Reichweite. Innerhalb ihres Netzwerkes haben sie einen potentiell starken Einfluss auf ihre Verbindungen – üben bspw. aktiven Einfluss auf die Entscheidungen ihrer Kontakte aus.

Wir verwenden diesen Begriff, um Netzwerke zu kategorisieren, in denen die Mehrheit der Komponenten, sogenannte Follower, hauptsächlich mit einer kleinen Menge zentraler Elemente, den Influencern, verknüpft ist. Es liegt auf der Hand, dass man die Dynamik in solchen Netzwerken über die Influencer zu verstehen oder sogar zu regulieren versucht. Beispiele für Influencer in einfachen Netzwerken rhythmisch veränderlicher Elemente sind Dirigenten in einem Orchester oder der Schlagmann und der Steuermann beim Rudern.

Meine Spezialgebiete sind die mathematische Modellierung und Computersimulationen. Letztendlich lassen sich Naturgesetze gut in der Sprache der Mathematik formulieren. Selbst menschliches Verhalten oder Zufallsprozesse können quantifiziert werden. So ist es möglich, das Gesamtverhalten einer großen Menge von Individuen oft besser vorherzusagen als die Entscheidungen und Bewegungen von Einzelnen. Netzwerke geben solchen kollektiven Prozessen besondere Strukturen vor. Soziale Netzwerke sind ein sehr schönes Beispiel, unter dem sich jeder etwas vorstellen kann. Die Komponenten dieses Netzwerkes sind wir selbst und die Verbindungen unsere sozialen Kontakte. Außerdem ist die Struktur solcher Netzwerke höchst komplex. Anders als zum Beispiel Atome in einem Gitter haben wir nicht nur mit unseren linken und rechten Nachbarn Kontakte, sondern auch über weite räumliche Distanzen und mit Freunden von Freunden, wenn sie uns sympathisch sind.

Wenn Netzwerke in Schwingung versetzt werden, kann es zur Synchronisation kommen, schwingende Komponenten können ihre Rhythmen aneinander angleichen. Wie ein klatschendes Publikum. Ein Experiment: Sagt man einer Gruppe Teilnehmender, sie dürfen gerne in rhythmisches Klatschen verfallen, und einer anderen Gruppe, sie soll dies möglichst nicht tun, so wenden sie intuitiv entsprechende Strategien an, wie permanent schnelleres oder erratisches Klatschen. Synchronisation als sich selbst verstärkender Prozess kann durch zufällige Einflüsse gestört oder sogar völlig unterbunden werden. Andererseits kann kleines und moderates Rauschen auch kollektive Schwingungen anregen, die bei einer optimalen Rauschstärke besonders regelmäßig werden. Dieser Effekt wird als Kohärenz-Resonanz bezeichnet. Wenn Influencer und Follower aufgrund verschiedener Frequenzen nicht miteinander synchronisieren, kann jedoch Rauschen in den Influencern die Synchronisation der Follower untereinander verbessern.

Wir haben diesen Effekt bisher nur in unseren Modell-Simulationen gefunden, können daraus aber die Bedingungen ableiten, unter denen Kohärenz-Resonanz dieser Art auftreten kann. Wir vermuten, dass sich bestimmte Muster in Gehirnstromdaten (EEG) durch unsere Theorie erklären lassen. Vielleicht gibt es aber auch Anwendungen in optischen oder elektrischen Schaltungen.  Ein experimenteller Nachweis wäre auf jeden Fall sehr wichtig.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2021 „30 Jahre Uni Potsdam“ (PDF).