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Hightech to go – Vom Forschungslabor ins Klassenzimmer: Warum Chemielehrerin Vivien Meggyes manchmal aus dem Koffer unterrichtet

Boxperiment: Chemie im Koffer für den Einsatz im Unterricht | Foto: Thomas Roese
Photo : Thomas Roese
Boxperiment: Chemie im Koffer für den Einsatz im Unterricht
Wenn Vivien Meggyes mit einem anthrazitfarbenen Plastikkoffer über den Schulflur läuft, zieht sie manch fragende Blicke auf sich: Ist die Lehrerin unter die Handwerker gegangen? Muss etwas repariert werden? Ist der Hausmeister im Urlaub? Nichts von alledem. Was aussieht wie ein Werkzeugkoffer, ist in Wirklichkeit ein Chemielabor zum Mitnehmen. Hightech to go oder ganz offiziell: „boXperiment organic photo electronics“. Ein Materialkoffer, der alles enthält, was man zum Bau Organischer Leuchtdioden (OLED) und Organischer Solarzellen benötigt.

Vivien Meggyes hat ihn ausprobiert, im Grundkurs und im Leistungskurs. Mit durchschlagendem Erfolg. „So ein Koffer weckt an sich schon Neugier. Er ist aber auch toll ausgestattet und lädt dazu ein, sofort etwas mit den Einzelteilen anzufangen“, so ihre Erfahrung. Indem die Schülerinnen und Schüler die Dinge wortwörtlich in die Hand nehmen, damit experimentieren und etwas herstellen, eignen sie sich das Thema selbst an. Zwei Zehntklässler haben zur Organischen Elektronik sogar eine kleine wissenschaftliche Arbeit verfasst und in einer Prüfung präsentiert.

Solche kreativen Phasen, in denen die Schülerinnen und Schüler forschend lernen und etwas entdecken können, kämen im Unterricht viel zu selten vor, sagt die Fachlehrerin. Zudem sei im Rahmenlehrplan für innovative Technologien wenig Platz. Auch gehören die vergleichsweise hochpreisigen Zutaten nicht zur Grundausstattung eines schulischen Chemielabors. Deshalb greift Vivien Meggyes gern auf die boXperimente zurück, die nicht nur didaktisch klug aufbereitet sind, sondern auch auf kosteneffizienten und wiederverwendbaren Materialien beruhen.

Zukunftstechnologie für die Schule

Mitgebracht hat sie den Koffer von der Universität Potsdam, wo sie derzeit bei Professor Amitabh Banerji für ihre Doktorarbeit forscht. Der Chemiedidaktiker hat die Experimentierbox gemeinsam mit Professor Michael Tausch von der Uni Wuppertal entwickelt, um Lehrkräften Werkzeuge und Materialien in die Hand zu geben, mit denen sie moderne Technologien im Unterrichtsexperiment vermitteln können. „OLEDs gibt es schon in vielen Displays oder in modernen Flächen-Leuchtmitteln“, erklärt er. „Immer handelt es sich um ein elektronisches Bauteil, welches, an eine Spannungsquelle angeschlossen, Licht emittiert. Im Experiment sehen die Schülerinnen und Schüler, wie hier elektrische Energie in Licht umgewandelt wird“, so der Didaktiker. Bei den Organischen Solarzellen funktioniert es umgedreht. Sie generieren eine Spannung, indem sie Licht absorbieren. „So können beispielsweise Motoren mithilfe von Licht angetrieben werden“, sagt Banerji und bringt mit einer Taschenlampe und einer Solarzelle aus dem Koffer einen kleinen Propeller zum Rotieren.
In beiden Fällen bildet ein organisches Polymer das Herzstück der Zelle. Es fungiert in den Zellen als Halbleiter und wandelt die eine Energieform in die jeweils andere um. Organische Halbleiter sind vielseitig einsetzbar und können kostengünstig synthetisiert und verarbeitet werden. „Eine echte Zukunftstechnologie, die“, so Banerji, „in der Schule eine viel größere Rolle spielen sollte.“

Chemielehrerin Vivien Meggyes sieht sich hier in der Verantwortung: „Wir haben es in der Hand, die Jugendlichen für diese Technologien zu begeistern. Wenn sie sich gelangweilt abwenden und später nichts mehr mit Naturwissenschaften zu tun haben wollen, haben wir etwas falsch gemacht.“
Ihre Schule, das Wald-Gymnasium in Berlin-Westend, befindet sich inmitten der Natur, die nicht selten den Unterricht inspiriert. „Die Bäume zum Beispiel sind die beste natürliche Art, um Kohlenstoffdioxid zu speichern. Durch die Photosynthese wird hier als positiver Nebeneffekt sogar noch Sauerstoff freigesetzt.“ Vivien Meggyes knüpft an die sinnliche Wahrnehmung an, um die Aufmerksamkeit ihrer Schülerinnen und Schüler auf die photochemischen Prozesse zu lenken. Auch nutzt sie die hohe Sensibilität, die die Heranwachsenden für die Probleme des Klimawandels mitbringen. Wenn sie mit ihnen über das Stromsparen oder Müllvermeiden diskutiert, ist es nicht weit bis zu der Frage, wie sich denn alternativ nutzbare Energie bereitstellen oder biologisch abbaubare Verpackungen herstellen lassen.

Überwindung starrer Fächergrenzen

Die Dinge im Zusammenhang zu betrachten, ist ihr wichtig. Chemie, Biologie, Physik – all das sei nicht voneinander zu trennen und müsse immer auch mit politischer und ethischer Bildung verbunden werden. Am Ende eines Schulprojekts, in dem vier Wochen lang ausprobiert wurde, was man durch das eigene Verhalten zum Klimaschutz beitragen kann, ist sie mit den Jugendlichen zum Energiewendekongress gefahren. Dort konnten sie sehen, was geschehen muss, um mehr Solarenergie ins Netz einzuspeisen.

Wie Professor Amitabh Banerji so fordert auch die Doktorandin Vivien Meggyes eine Aufwertung des naturwissenschaftlichen Unterrichts und eine Überwindung starrer Fächergrenzen. Neue Technologien wie die Organische Elektronik lassen sich eben nur interdisziplinär erklären. „Chemie, Physik und Elektrotechnik greifen hier ineinander und müssen genau so vermittelt werden“, sagt Banerji. Deshalb entwickeln er und sein Team neben Experimenten auch neue Lernmaterialien und Lehrmethoden, die sie im universitätseigenen Schülerlabor testen. Auch erfahrene Lehrkräfte und Lehramtsstudierende üben hier die Experimente und Konzepte, denn sie sind es, die die innovativen Technologien in die schulische Praxis tragen. Amitabh Banerji hat ihnen dafür schon einmal einen Koffer gepackt.

Neues boXperiment

Derzeit in der Entwicklung ist eine Box zum Druck von Elektronik, bekannt von RFID-Chips und Touch-Screens. Sie enthält ein Schülerexperiment zum Bau einer flexiblen Elektrolumineszenz-Folie im Handdruckverfahren. Bestellungen, insbesondere für Schulen, unter:

https://boxperiment.de


Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Transfer 2020/21 (PDF).