Herr Prof. Caliendo, viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerfürchten in der aktuellen Corona-Krise um ihre Jobs. Welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden derzeit auf den Weg gebracht?
Die wichtigste Maßnahme ist sicherlich die Kurzarbeit, die es Betrieben erlaubt, ihre Produktion einzustellen, ohne Mitarbeiter entlassen zu müssen. Bisher wurden 60 Prozent des ausgefallenen Nettolohns (bzw. 67 Prozent für Arbeitnehmermit Kindern) für bis zu zwölf Monate durch die Bundesagentur für Arbeit getragen. Dies entlastet zum einen Unternehmen und soll zum andern gleichzeitig den Lebensunterhalt der Arbeitnehmer sicherstellen. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Einschnitte gerade für Familien im Niedrigeinkommensbereich auf längere Sicht nicht zu verkraften sind, sodass am 23. April nochmal nachgesteuert wurde. Jetzt können ab dem vierten Monat des Kurzarbeitergeldbezugs 70 oder 77 Prozent, ab dem siebten Monat 80 oder 87 Prozent des Lohnausfalls gezahlt werden. Gleichzeitig wird auch über eine Verlängerung des Arbeitslosengeld-Anspruchs nachgedacht.
Für wie wirkungsvoll halten Sie die bisherigen Schritte? Was für weitere Maßnahmen würden Sie sich wünschen?
Das sind beides zunächst mal sinnvolle, aber passive Maßnahmen, die davon ausgehen, dass die Krise nicht allzu lange andauert und sich das wirtschaftliche Leben danach wieder in alter Form normalisiert. Das Kurzarbeitergeld hat sich in der Vergangenheit, z.B. im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008, bewährt und hilft, vorübergehende Nachfrageschwächen zu überbrücken und Entlassungen zu vermeiden. Davon profitieren zunächst einmal die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber natürlich auch die Firmen, die in ihrer betrieblichen Beschäftigungsstrategie viel flexibler sind und sich damit gemeinsam mit ihrem bestehenden Pool an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf den nächsten Aufschwung vorbereiten können. Geht man allerdings davon aus, dass sich durch die Krise auch unsere wirtschaftlichen Strukturen ändern, z.B. in Form von zunehmender Digitalisierung in allen Bereichen, wird man mittelfristig über weitere Maßnahmen nachdenken müssen – Stichwort „lifelonglearning“ –, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Wie lange können die Instrumenteder Bundesregierung Ihrer Ansicht nach den Stillstand der Wirtschaft abfedern?
Das ist eine wichtige und zugleich schwierig zu beantwortende Frage. Wir müssen bei den Überlegungen auch berücksichtigen, dass es bei allen Maßnahmen auch zu „Nebeneffekten“ kommen kann, die in der Gesamtschau berücksichtigt werden müssen. Aus Studien zu Arbeitslosigkeit wissen wir, dass es, wenn sie länger andauert, zu psychischen Leiden kommen kann. Auch zunehmende häusliche Gewalt wurde in den vergangenen Wochen schon vielfach thematisiert. Die einschränkenden Lockdown-Maßnahmen wirken sich natürlich auch insgesamt negativ auf das psychische Wohlbefinden der Bevölkerung aus, was langfristig ebenfalls negative wirtschaftliche Folgen haben kann. Gleichzeitig könnte aber eine übereilte Lockerung des öffentlichen Lebens durch einen schnellen Wiederanstieg der Infektionszahlen zu erneuten Beschränkungen und Schutzmaßnahmen führen, die dann noch schwieriger zu verkraften und zu handhaben wären.
Auch Selbstständige trifft diese Krise hart. Halten Sie die Maßnahmen, die gerade für Selbstständige eingeleitet wurden, für ausreichend?
Ja, Selbstständige und Kleinunternehmer sind natürlich oftmals besonders betroffen, weil ihnen Umsätze teilweise komplett wegbrechen, keine ausreichenden Liquiditätsreserven bestehen und die soziale Absicherung schlechter ist. Hier gibt es – je nach Größe des Unternehmens – Soforthilfen zwischen 9.000 und 15.000 Euro. Zudem wird in etlichen Bundesländern ja auch bereits überlegt, einige Berufsgruppen, wie z.B. Künstler, direkt zu unterstützen. Darüber hinaus wird im Zuge des Sozialschutz-Paketes ein vereinfachter Zugang zum Arbeitslosengeld II ermöglicht. Das Ziel ist es, Selbstständige, Freiberufler, Künstler und ähnliche Berufsgruppen während der Krise so zu unterstützen, dass diese ihre Tätigkeit auf längere Sicht nicht aufgeben müssen. Für den Gastronomie-Bereich wurde zudem unlängst beschlossen, die Mehrwertsteuer ab dem 1. Juli befristet bis zum 30. Juni 2021 auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent zu senken. Das wird zweifelsohne helfen. Es steht aber trotzdem zu befürchten, dass es hier mittelfristig zu einer größeren Konsolidierung kommen wird.
Ist eine Rezession unvermeidlich?
Nach einer oft gebrauchten Definition, liegt eine Rezession vor, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vergleich zu den vorherigen Quartalen nicht gestiegen ist. Dies ist für das Jahr 2020 und die deutsche Wirtschaft praktisch unausweichlich. Insofern, ja, eine Rezession ist unvermeidlich. Die spannendere Frage ist allerdings, wie lange sie anhalten wird und wie schnell wir uns davon erholen. Der Sachverständigenrat hat in seinem Sondergutachten verschiedene Szenarien durchgespielt. Falls sich die Lage – vergleichbar mit der Situation in China – über den Sommer wieder normalisiert, kommt es im Jahr 2020 zu einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von -2,8 Prozent. Dieser Rückgang könnte in 2021 aber durch Aufholeffekte überkompensiert werden und das BIP um 3,7 Prozent ansteigen lassen.
Sollte es zu großflächigeren Produktionsstopps oder zu keinen weiteren Lockerungen der einschränkenden Maßnahmen kommen, so wird prognostiziert, dass sich der Rückgang des BIPs in 2020 auf -5,4 Prozent erhöhen wird. Bei einer Beibehaltung der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus über den Sommer hinaus könnte sich die Erholung der Wirtschaft bis in das Jahr 2021 verschieben und dementsprechend langsam ausfallen.
Ist absehbar, wie gravierend diese Krise für den Arbeitsmarkt sein wird?
Natürlich hängen die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt entscheidend davon ab, welches der Szenarien eintreten wird. Dabei ist zu beachten, dass die gesamte Entwicklung der Nachfrage noch sehr stark von Unsicherheiten geprägt ist, die präzise Aussagen erschweren. Die Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute rechnet für 2020 etwa damit, dass die Zahl der Kurzarbeiter auf bis zu 2,4 Millionen hochschnellt, was in etwa der Zahl der Arbeitslosen entsprechen würde. Dies macht auch nochmal deutlich, wie wichtig das Kurzarbeiter-Geld momentan ist. Die prognostizierte Arbeitslosenquote von sechs Prozent wäre sonst etwa doppelt so hoch. In den USA haben sich in den letzten Wochen – ohne ein Instrument wie das Kurzarbeiter-Geld – mehr als 25 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Man darf auch nicht vergessen, dass wir als Exportnation in hohem Maße von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängig sind. Insofern hängen Prognosen für die Erholung des deutschen Arbeitsmarktes zwangsläufig auch von der Situation in anderen Ländern ab, die oft noch mit größerer Unsicherheit behaftet sind als die Prognosen für Deutschland.
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