Lieber Herr Blaum, Sie waren bis vor wenigen Tagen für einen Forschungsaufenthalt in Namibia und sind im Zuge der Rückholaktion des Auswärtigen Amtes zurückgekehrt. Mussten Sie Ihren Aufenthalt vorfristig abbrechen oder unfreiwillig verlängern?
Bedauerlicherweise mussten wir unseren dreimonatigen Forschungsaufenthalt in Namibia bereits nach drei Wochen abbrechen. Dies betraf nicht nur die plötzliche Rückreise unserer Doktoranden Robert Hering, Tim Herkenrath und Christoph Lobas sowie unserer Masterstudentin Helena Wiskott, sondern auch alle gemeinsam geplanten Forschungsaktivitäten mit unseren Partnern. Der Flugverkehr zwischen Deutschland und Namibia und einigen anderen Ländern wurde ab dem 16. März eingestellt. Schulen wurden auch in Namibia geschlossen. Elf Tage später gab es dann eine weitere Stufe des Lockdowns. Reisen zwischen Regionen innerhalb Namibias waren verboten. Eine Autofahrt von der Khomas-Region mit der Hauptstadt Windhoek in die Erongo-Region mit Swakopmund war nicht mehr möglich. Am Ende waren wir sehr froh, rechtzeitig in Windhoek angekommen zu sein, um mit einem Regierungsflug am 29. März nach Frankfurt am Main fliegen zu können.
Was hat Sie nach Namibia geführt?
Anfang März sind wir zu fünft für das BMBF Projekt ORYCS nach Namibia gereist. Eine intensive dreimonatige Feldforschungskampagne mit Studierenden und Doktoranden der Universität Potsdam und unseren Partnern an der University of Namibia, der Namibia University of Science and Technology sowie dem Ministry of Environment and Tourism lag vor uns. In unserem Projekt geht es um Chancen und Risiken von Wildtiermanagementstrategien angesichts des globalen Wandels und die Frage, welche Bedeutung sie für den Erhalt der Biodiversität haben können. Unser zweiter längerer Feldaufenthalt nach zwei Dürrejahren. Zunächst lief alles wie erwartet. In der ersten Woche haben wir unsere Sommerschule zu Experimentellem Design und statistischen Analysen in der Programmiersprache R im Educational Centre des Otjicoto Nature Reserves durchgeführt. 24 Teilnehmende aus Deutschland, Namibia, Zambia, Südafrika, Botsuana und Zimbabwe. Fazit: Lief super. Alle Teilnehmenden waren begeistert und haben viel gelernt. Am Ende der Sommerschule wurden die Nachrichten zu Corona immer präsenter, aber wir waren ja weit weg von den Pandemieherden. Also fuhren wir, wie geplant, nach Etosha Heights zu unserem Basiscamp und begannen mit der Feldforschung: Transpirationsmessungen an Mopane, GPS-Telemetrie von Springböcken, Drohnenflüge zur Erfassung der Vegetation u.v.m.
Konnten Sie Ihre Forschungsarbeit dort wie geplant abschließen?
Nein. Wir haben, so gut es in der kurzen Zeit ging, alle Messinstrumente gesichert. Die empfindliche Messsensorik zur Dauererfassung der Transpiration ist glücklicherweise durch einen Elektrozaun vor Elefanten und anderen Wildtieren geschützt und wird über Solarmodule und Akkus betrieben. Auch die GPS-Telemetrie läuft noch vier bis fünf Monate autark, aber alle anderen geplanten Forschungsarbeiten konnten nicht abgeschlossen werden. Dies bereitet uns große Sorge. Ganz abgesehen davon, dass unsere Meilensteine für das Projekt dadurch mindestens sechs bis zwölf Monate verschoben werden müssen, ist es ein großes Dilemma für unsere Doktoranden und Masterstudierenden. Die Feldforschungsaufenthalte sind für sie ganz entscheidend. Ohne die Daten der Feldexperimente können sie ihre für den jeweils angestrebten Abschluss notwendigen Publikationen nicht schreiben.
Wie ist die Lage dort derzeit, vor allem mit Blick auf die Corona-Pandemie?
Wir sind in engem Kontakt mit unseren Kollegen und Freunden in Namibia, die sehr unterschiedlich auf die Nachrichten und Beschränkungen reagieren. Wie überall auf der Welt sind die Sorgen groß. Wirtschaftlich gesehen wird es gerade Länder in Afrika besonders hart treffen. In Namibia gibt es praktisch keinen Tourismus mehr. Eine Lebensgrundlage vieler Menschen ist dadurch weggebrochen und eine wichtige Einnahmequelle für den Schutz von Wildtieren fehlt.
Wie geht es mit Ihrem Projekt weiter?
Wir beginnen gerade damit, mögliche Alternativen zu identifizieren, um auf die abgebrochene Feldforschung zu reagieren – auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig unklar ist, ob es eine Weiterfinanzierung der Doktoranden und PostDocs nach Ende der offiziellen Projektlaufzeit geben wird. Hierzu sind wir im Kontakt mit dem Projektträger. Aufgrund der bereitgestellten finanziellen Unterstützungen in den verschiedensten Bereichen, sind wir zuversichtlich, dass entsprechende solidarische Maßnahmen von Bund und Ländern auch die Zukunft unserer Nachwuchswissenschaftler sichern werden. Wir rechnen in dieser Sache außerdem fest mit der Unterstützung unserer Hochschulleitung.
Auch an der Universität Potsdam macht sich die Corona-Pandemie bemerkbar: Die Hochschule läuft im Präsenznotbetrieb. Geforscht wird im Home Office, die Labore sind weitgehend verwaist. Wie beeinflusst das Ihre Forschungsarbeit?
Wir treffen uns regelmäßig per Video, um für alle Forschungsprozesse ad hoc Notlösungen zu entwickeln. Entscheidend ist, nicht gleich den Mut zu verlieren und das Beste aus der Situation zu machen.
Es wird intensiv daran gearbeitet, das Sommersemester großteils mittels E-Learning durchzuführen. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Ich hatte in der Vergangenheit schon Moodle verwendet und werde weitere Online-Medien einsetzen. Zoom, BigBlueButton, Trello, Slack, … habe ich in der Vergangenheit erfolgreich nicht genutzt, jetzt kenne ich sie alle und werde sie auch einsetzen. Vorlesungen und Seminare können sehr gut per Videokonferenz durchgeführt werden. Schwieriger sind beispielsweise Bestimmungsübungen oder meine Lehrveranstaltung „Advanced Methods in Drylands“. Normalerweise führen wir ein Experiment im Gewächshaus am Drachenberg durch. Jetzt wird es ein Home-Learning-Fensterbankexperiment. Das ist sicher eine Herausforderung für die meisten Studierenden, aber vielleicht auch eine willkommene analoge Abwechslung in diesem Semester. Ich jedenfalls freue mich schon darauf.
Zur Übersichtsseite aller Beiträge aus der Universität Potsdam zur Corona-Pandemie