Herr Schmidt, in den vergangenen Wochen haben wir in sehr kurzer Zeit große Veränderungen des Rechtstaats erlebt, insbesondere, was unsere persönliche Bewegungsfreiheit betrifft. Wie blicken Sie als Jurist auf diese Entwicklungen?
Grundrechte werden in einem erheblichen Maße eingeschränkt und binnen kürzester Zeit verwandelt sich unser Gemeinwesen in einen Hygienestaat. Das ist einerseits sehr erschreckend, andererseits zeigt es aber, dass auch eine Demokratie angesichts einer solchen nie dagewesenen Krise handlungsfähig ist. Jetzt geht es darum, den demokratischen Rechtsstaat in und nach der Krise zu bewahren.
Auf welcher juristischen Grundlage konnten Grundrechte derart beschränkt werden?
Grundrechte wie die Freizügigkeit gelten nicht schrankenlos, sondern können zum Schutz anderer Grundrechte, insbesondere der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, beschränkt werden. Dafür braucht es aber immer einer parlamentsgesetzlichen Grundlage, die der Bundestag spätestens letzte Woche mit den Änderungen des Infektionsschutzgesetzes geschaffen hat. Solche weitreichenden Einschränkungen sind aber stets nur unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig und müssen nach Beendigung der Gefahr umgehend aufgehoben werden.
Es könnte eine ganze Welle von Klagen auf die Gerichte zukommen. Wie schätzen sie die Erfolgsaussichten ein?
Ich rechne damit, dass zwar Klagen gegen die gesetzlichen Einschränkungen als solche nicht erfolgreich sein werden, wohl aber gegen manche Anwendung im Einzelfall: Wer allein auf einer Parkbank sitzt, gefährdet niemanden und darf von der Polizei auch nicht verscheucht werden.
Was halten Sie von den derzeit geplanten Bußgeldern, die bei Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkungen in Berlin und Brandenburg erhoben werden sollen?
Wenn das Verständnis der Menschen für die getroffenen Maßnahmen nicht ausreicht, wird man um die Verhängung von Bußgeldern nicht herumkommen. Dafür ist es aber erforderlich, dass die verbotenen Aktivitäten auch für juristische Laien klar umrissen sind. Das scheint mir derzeit noch nicht immer der Fall zu sein.
Die eingeschränkte Versammlungsfreiheit erlaubt es im Moment auch nicht zu demonstrieren. Sehen Sie hier Gefahren für die Demokratie?
Ja, die Versammlungsfreiheit ist zentral für die Demokratie, aber für einen durch die Dauer der erheblichen Krise begrenzten Zeitraum sind diese Einschränkungen im Interesse von Leben und Gesundheit der Menschen hinzunehmen.
Seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland erfahren die Bürgerinnen und Bürger in besonderem Maße, dass sie in einem föderalistischen Staat leben. Der Bund hat den Ländern und Kommunen sehr viel Freiheit gelassen, wie sie mit der Pandemie umgehen. Funktioniert das aus Ihrer Sicht gut?
Nach anfänglichen Schwierigkeiten scheint dies ganz gut zu funktionieren. Die Länder koordinieren sich untereinander und tauschen Erfahrungen aus. Wichtig ist, dass die Länder nicht aus nur politischen Gründen in einen gegenseitigen Überbietungswettbewerb mit immer schärferen Maßnahmen eintreten, wonach es eine Zeitlang aussah. Im Übrigen wäre es keineswegs ausgemacht, dass der Bund die Maßnahmen besser als die verwaltungserfahrenen Länder vollziehen könnte.
Was erwartet uns nach Corona? Werden Bund und Länder ihre in der Krise gewonnenen Kompetenzen wieder abgeben? Mit welchen juristischen Relikten werden wir womöglich weiterhin leben müssen?
Zwar sieht die letzte Woche beschlossene Neufassung des Infektionsschutzgesetzes bereits Befristungen einzelner Regelungen vor, diese betreffen aber nur einzelne Entschädigungsklauseln und erweiterte Kompetenzen für medizinisches Hilfspersonal. Die zentralen Vorschriften über die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und die dann weiterreichenden Kompetenzen werden bleiben.
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