Skip to main content

Ein Test der Wandlungsfähigkeit – Wirtschaftsinformatiker Norbert Gronau über die Digitalisierung im Schnelldurchlauf

Zur Corona-Pandemie – Beiträge aus der Universität Potsdam

Prof. Dr. Norbert Gronau. | Foto: Karla Fritze
Photo : Karla Fritze
Prof. Dr. Norbert Gronau
Seit Mitte März ist das öffentliche Leben, aber auch die wirtschaftliche Tätigkeit in Deutschland stark eingeschränkt. Was jetzt nicht digital und online ist, steht still. Norbert Gronau ist spezialisiert auf Prozesse und Systeme, vor allem im Bereich Industrie 4.0. Der Professor für Wirtschaftsinformatik erklärt, wo die Wirtschaftswelt im Sog der Corona-Krise zwangsdigitalisiert wird und wo sie wohltuend analog bleiben sollte.

Ist die Corona-Krise ein schmerzhafter Schnelltest dafür, wie digital die Welt (schon) ist?

Ja. Auch wenn es eine gewisse Anlaufphase gab, in der die persönlichen Kontaktmöglichkeiten langsam eingeschränkt wurden. So fällt jetzt gnadenlos auf, wer problemlos auf Home Office umsteigen kann und wer nicht. Leider gibt es nach wie vor Organisationen, die ihren Mitarbeitern bisher die Möglichkeit, zuhause zu arbeiten, nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt haben. Auch haben, z.B. im öffentlichen Sektor, überhaupt nicht alle Mitarbeiter der Verwaltung ein Notebook.

Was klappt gut?

Die Infrastrukturen funktionieren nach wie vor bestens, sei es Strom, Gas oder Wasser, aber auch Post und Telekommunikation. Meine Zeitungen liegen jeden Morgen im Briefkasten und mein Bäcker hat auch geöffnet – wenngleich ohne Café. Zum Glück haben wir auch in den meisten Videokonferenzen, die jetzt das vorherrschende Arbeitsmittel sind, keine Probleme mit der Bandbreite.
 
Wo sehen Sie am meisten Nachholbedarf?

Wir sind als Wirtschaftsinformatik-Lehrstuhl sehr gut aufgestellt, was unsere Online-Werkzeuge für die verteilte Zusammenarbeit betrifft. Jetzt zeigt sich auch, dass veraltete Papierabläufe, z.B. mit mehreren Originalunterschriften, überhaupt nicht mehr funktionieren. Lösungen dafür gibt es seit 15 Jahren für Organisationen aller Größen, aber bisher war bei einigen Verantwortlichen die Einstellung dazu eher negativ. Hier muss – auch, um die Abläufe später dauerhaft zu verbessern – dringend Abhilfe geschaffen werden. Dazu gehört auch das kleine Einmaleins der IT-Sicherheit. Wer z.B. weiß, dass die Absenderadressen von E-Mails beliebig gefälscht werden können, beharrt nicht darauf. Fax ist übrigens relativ sicher, E-Mail über VPN mit Verschlüsselung auch, wie mein Lehrstuhl es seit vielen Jahren mit HCL Domino praktiziert.
 
Lässt sich schon sagen, welche Wirtschaftsbereiche, die nicht wie die Veranstaltungsbranche und die Gastronomie auf Publikumsverkehr angewiesen sind, in Sachen Digitalisierung gut aufgestellt sind – und welche nicht?

Zellstoffwerke, wäre meine spontane Antwort. Spaß beiseite, alle Anbieter digitaler Lösungen profitieren jetzt, teilweise sehr stark. Unternehmen, die auf physisches Zusammentreffen von Menschen angewiesen sind, verlieren gegenwärtig fast alles.  
 
Plötzlich gibt es massenhaft Telefonkonferenzen statt Manager, die in Jets um die Welt düsen, Mails statt Geschäftsessen, Mobile Office statt Großraumbüros, Heimarbeit statt Millionen von Pendlern – offenbart die Krise, was die Wirtschaft eigentlich gar nicht braucht?

Unsere Forschung hat gezeigt, dass Wissensaustausch sehr oft über Sozialisierung erfolgt. Das kann am Wasserspender oder an der Kaffeemaschine erfolgen, aber nicht über Videokonferenzen. Zudem leiden alle kreativen und wissensintensiven Prozesse sehr stark. Diese sind nicht vollständig durch Online-Meetings ersetzbar. Zudem vermisse ich die Reisezeit zwischen Terminen, um ein wenig „die Batterien wieder aufzuladen“. Im Home Office folgt eine Videokonferenz nach der anderen, ohne Pause zum Luftholen. Diese Pausen sind aber unbedingt notwendig!
 
Überall werden jetzt fieberhaft digitale Prozesse geschaffen, um die Wirtschaftstätigkeit aufrechterhalten zu können. Wird die Krise auf diese Weise zum Starthelfer der Digitalisierung?

Ja, das kann man genau so sehen. Überall wird jetzt überprüft, wo auf bisherige analoge Abläufe verzichtet werden kann.

Was kann die Forschung in dieser Situation beitragen?

Wir forschen sehr intensiv daran, wie wir die Weiterbildung jetzt noch individueller machen können, wie wir Bedarfe besser erkennen, die Lernzielorientierung erhöhen und das Lernen zuhause noch prozessnäher machen können.
 
Was denken Sie: In welchen Bereichen wird die Corona-Pandemie unsere Wirtschaft dauerhaft verändern?

Die gegenwärtige Krise ist ein Test dafür, wie wandlungsfähig unsere Organisationen und Unternehmen sind. Diejenigen, die sich selbst schnell und effizient anpassen können, werden gestärkt aus dieser Pandemie hervorgehen. Andere Akteure, die sich darauf verlassen haben, dass bisher immer alles gut gegangen sei, werden möglicherweise vom Markt verschwinden.

 

Zur Übersichtsseite aller Beiträge aus der Universität Potsdam zur Corona-Pandemie