In seiner vielfach zitierten Rede 2017 an der Sorbonne regte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron die Gründung Europäischer Universitäten an. Mit EDUC, der European Digital UniverCity, nimmt eine solche Universität nun Gestalt an. Worum geht es dabei?
Mit der von der Europäischen Kommission geförderten European Digital UniverCity wollen wir eine völlig neue Form der Zusammenarbeit finden. Studierende von sechs Universitäten in fünf Ländern erhalten einen gemeinsamen Raum, in dem sie nicht nur auf die digitalen Angebote der beteiligten Hochschulen unkompliziert zugreifen können. Er soll auch ihre reale Mobilität in innovativer Weise fördern. In dieser Vertiefung des Bologna-Prozesses werden die Studierenden ihre Curricula eigenständig zusammenstellen können und auch in digitalen Lernszenarien mit ihren europäischen Kommilitonen kommunizieren. EDUC wird die Mehrsprachigkeit, Interdisziplinarität, Mobilität und Inklusion unterstützen und so die Studierenden optimal auf die Herausforderungen einer grenzüberschreitenden, digitalisierten Arbeitswelt vorbereiten.
Neben der Universität Potsdam gehören die Universitäten Paris Nanterre und Rennes in Frankreich, Cagliari in Italien, Pécs in Ungarn und Brno in Tschechien zum Konsortium. Wie haben sich die Partner gefunden?
Die Keimzelle bildete zweifelsohne die deutsch-französische Juristenausbildung, die uns seit Jahrzenten mit Paris Nanterre verbindet. Über gegenseitige Empfehlungen und bestehende Kooperationen kamen die anderen Hochschulen hinzu. Allesamt sind international gut vernetzt und regional fest verankert. Gemeinsam haben wir rund 160.000 Studierende und 20.000 Beschäftigte in Lehre, Technik und Verwaltung.
Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?
Alle sechs Universitäten verfügen über ein umfassendes Lehrspektrum. Aber nicht alle müssen alles machen. Manches lässt sich auch teilen. Basiswissen, aber auch sehr spezifische Themen können und müssen nicht von allen Hochschulen gleichermaßen vermittelt werden. Hier kann eine Spezialisierung mit Blended-Learning-Angeboten wichtige Synergien erzeugen. EDUC wird über eine digitale Plattform verfügen, auf der die Partnerunis ihre Inhalte einstellen. Alle Mitglieder der beteiligten Universitäten können dann darauf zugreifen.
Wie bringen sich die einzelnen Partner ein?
Im Projekt hat jede Hochschule ein spezielles Aufgabenfeld übernommen. Die Universität Cagliari zum Beispiel wird sich um Fragen der Forschung kümmern und dafür sorgen, dass sich die Studierenden in der European Digital UniverCity an aktuellen wissenschaftlichen Projekten orientieren und auch beteiligen können. Die Universität Potsdam wird sich vor allem beim Aufbau der digitalen Infrastruktur und der Entwicklung neuer Lehr- und Lernszenarien engagieren. Die Masaryk Universität in Brno verfügt über langjährige Expertise in der barrierefreien physischen Mobilität. Die Entwicklung von innovativen virtuellen Mobilitäten und Austauschszenarien betreut wiederum die Universität Rennes. Paris-Nanterre spezialisiert sich auf die Interdisziplinarität der Curricula auf Master-Ebene. Die Universität Pécs schließlich bringt ihre Erfahrungen in der Verknüpfung der Hochschulen mit regionalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren ein.
Potsdam hat die Gesamtleitung des Projekts. Was kommt da auf uns zu?
Das ist schon eine ordentliche Herausforderung. Und ein großer Vertrauensbeweis. Immerhin sind wir im Verbund die jüngste Universität. Unser Vorteil ist sicher, dass unsere Strukturen noch nicht so festgezurrt sind und wir relativ flexibel agieren können. Wir bilden derzeit ein sechsköpfiges Team, das alle Aktivitäten und Prozesse koordiniert. Außerdem sind wir in die Digitalisierung der Lehre und die Anpassung der Verwaltungsstrukturen eingebunden. Unser Ziel ist es ja, einen Raum zu kreieren, in dem wir mit möglichst geringen administrativen Hürden und frei von kulturellen und sozialen Hindernissen zusammenarbeiten können. Aber wie organisiert man einen permanent fließenden Informationsaustausch zwischen sechs verschiedenen Universitäten? Das wird auch die 16 anderen, von der Europäischen Kommission geförderten Hochschulallianzen beschäftigen. Wir werden uns darüber austauschen.
Ein Ziel des Projekts ist es, die Inklusion zu unterstützen. Was kann die European Digital UniverCity leisten, was in den einzelnen Universitäten bislang nicht möglich ist?
Inklusion ist ein übergreifendes Thema unserer Allianz, das auf ganz unterschiedlichen Ebenen wirksam wird. Mit der Universität Masaryk haben wir einen Partner, der sich auf die Inklusion von Studierenden mit körperlichen Einschränkungen in physische Mobilitäten spezialisiert hat. Auch wollen wir gerade denjenigen Studierenden die Möglichkeit zu internationalen und interkulturellen Erfahrungen geben, die sich oft mit erheblichen finanziellen Einschränkungen konfrontiert sehen, wenn es um ein Auslandsstudium geht. Inklusion bedeutet hier, vermehrt virtuelle Mobilitäten oder Kurzzeitaufenthalte nutzen zu können. Egal ob Studierende, Wissenschaftler, Administration oder Unileitung – hier müssen wir alle an einem Strang ziehen.
Schon heute verstehen sich viele Studierende als junge Europäer. EDUC soll ihnen helfen, europäische Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln? Worauf kommt es dabei an?
Vor allen Dingen darauf, Diversität und Andersartigkeit als etwas Positives, als Bereicherung zu verstehen. In der gegenwärtigen politischen Atmosphäre wird es immer wichtiger zu verstehen, dass wir die Probleme des Klimawandels, der digitalisierten Arbeitswelt oder der sozialen Gerechtigkeit nicht durch Ausschluss und Abgrenzung lösen werden. Schließlich sind die Konsequenzen dieser Veränderungen selbst schon grenzüberschreitend. Inzwischen fordern auch die Studierenden von den Universitäten, verstärkt digitale, interkulturelle oder transversale Fähigkeiten zu vermitteln. Denn nur diese werden es ihnen erlauben, in der neuen Welt zu bestehen.
Die Förderung läuft zunächst über drei Jahre. Wie sorgen Sie für die Nachhaltigkeit des Projekts?
Wir müssen in dieser Zeit Strukturen schaffen, die das Fortbestehen von EDUC sichern. Noch sind wir wie ein kleines Schnellboot, das sich wendig durch die unterschiedlichen Gewässer manövrieren lässt. In den kommenden drei Jahren werden wir nicht nur Neues schaffen, sondern uns auch – wo möglich und sinnvoll – strukturell aneinander anpassen und Inhalte harmonisieren, ohne dabei unsere Verschiedenheit aufzugeben. In den nationalen Besonderheiten liegt ja gerade die Stärke, die wir nutzen wollen. In zehn bis 15 Jahren soll es Studierenden möglich sein, innerhalb unserer Allianz Zeit, Ort und Inhalt ihres Studiums weitgehend selbst zu bestimmen. Sie erhalten dann auch nur noch einen Abschluss: den der European Digital UniverCity, der dank einer abgestimmten Internationalisierungsstrategie weltweit Gewicht haben wird.
Das Gespräch führte Antje Horn-Conrad.
Weitere Informationen: www.uni-potsdam.de/international/projekte/educ
Dieser Text erschien im Unimagazin Portal 2/2019.
Text: Antje Horn-Conrad
Online gestellt: Jana Scholz
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