Die Frage „Wie wohnst du?“ war lange eine sehr private. Reihenhaus oder Mietwohnung, Parterre oder Maisonette unterm Dach. Anlass für Plaudereien und Einladungen zum Besuch. Längst vorbei. Mittlerweile ist sie existenziell, sozial und explosiv. Wohnen ist, neben dem Klimawandel, das gegenwärtig vielleicht kontroverseste Thema – zumindest in mittleren und großen Städten. Matthias Zimmermann sprach mit Roland Verwiebe, Professor für Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheit, über den Wohnungsmarkt, den Wert sozialer Durchmischung sowie wirkungslose und hoffnungsvolle Lösungsansätze für das Problem.
Kritische Stimmen warnen, dass Häuser und Wohnungen „zu Waren werden“. Warum ist das so?
Der Immobilien- und der Wohnungsmarkt ist ein Markt wie jeder andere. Aber tatsächlich nimmt der Warencharakter von Wohnungen, egal ob Miet- oder Eigentum, zu. Wohnungen sind Anlage- und Spekulationsobjekte geworden. Immobilien sind in Deutschland im internationalen Vergleich noch günstig, deshalb wird viel Geld aus dem Ausland in deutsche Immobilien investiert. Das gab es in diesem Ausmaß vor einigen Jahren noch nicht.
Gibt es in Deutschland ein neues Wohnungsproblem?
Ja. Deutschland wird zunehmend durch den Mangel an bezahlbarem Wohnraum geprägt. Gerade in großen, aber längst auch kleineren Metropolen wie Potsdam. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens wächst Deutschland, entgegen früherer Prognosen, wieder. Vor allem durch Zuwanderung. Außerdem nehmen Menschen mehr Wohnfläche für sich in Anspruch als früher. Dazu kommt die Entdeckung des Immobilienmarktes als Investitions- und Spekulationsmarkt, was den Anteil bezahlbaren Wohnraums deutlich reduziert. Da die Politik auf der anderen Seite über Jahre hinweg den sozialen Wohnungsbau stark vernachlässigt hat, ergibt sich eine Gemengelage, die Wohnen wieder zu einer sozialen Frage werden lässt.
Es wird davor gewarnt, dass mit der Mietpreisentwicklung die soziale Durchmischung in den Städten verloren geht. Stimmt das?
Definitiv. Über Jahrzehnte hinweg war die soziale Durchmischung ein Leitbild der Stadtentwicklung und galt als erstrebenswert. Das meint ein Nebeneinander nicht nur von Menschen mit unterschiedlichen Einkommen, sondern auch von Jung und Alt, großen und kleinen Haushalten, Familien mit Kindern und ohne, Beschäftigten und Pensionären, Menschen verschiedener Ethnien und Glaubensrichtungen. Doch gerade sehen wir eine extrem riskante Entwicklung. Schon jetzt ist vielerorts erkennbar, welche Kraft der Prozess entfaltet. Viertel entmischen sich, Menschen weichen an die Peripherie aus, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird infrage gestellt. Schauen Sie sich München an: Es mag für Menschen aus Katar oder London schön sein, dort eine Wohnung zu besitzen, aber wenn die Krankenschwester und der Müllmann stundenlang in die Stadt pendeln – was soll das für eine Stadt sein? Wir haben es noch nicht geschafft, gesellschaftlich darauf eine Antwort zu finden.
Wie lässt sich dieser Prozess aufhalten?
Aus meiner Perspektive müsste man zunächst die renditeorientierten privaten Investitionen in den Wohnungsmarkt unattraktiver machen. Es gibt Länder, die tun dies bereits. Neuseeland etwa hat den Zugriff von ausländischen Investoren auf den Immobilienmarkt eingeschränkt. In Polen kann man als Ausländer gar keine Immobilien erwerben. In Deutschland gibt es diese Einschränkungen nicht, es existiert nicht einmal ein vernünftiges Geldwäschegesetz. Hier kann man mit einem Bündel Geld ein Haus kaufen.
Was kann der Staat tun?
Hierzulande wird noch allzu häufig behauptet: Der Markt wird es richten. Einfach mehr bauen und dann wird das schon. Aber ich frage mich: Für wen? Dabei muss der Staat nicht einmal selbst bauen, sondern könnte als Teil einer Private-Public-Partnership auftreten. Etwa indem er Flächen für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt – vielleicht sogar auf einen Teil der Erlöse verzichtet. Das wäre eine Investition in die Zukunft. Denn sie sorgt für eine Stabilisierung der städtischen Strukturen, der „Social Fabric.“ Der Staat sollte nicht nur das Bauen vereinfachen, sondern auch klar machen, für wen gebaut wird. Das fehlt mir. Dass es auch anders geht, zeigt Wien: Dort gibt es seit vielen Jahren eine intensive und differenzierte Förderung des Wohnungsbaus: von Genossenschaftswohnungen bis hin zu Wohnungen, die in städtischem Besitz sind. Rund ein Drittel der Wiener Bevölkerung lebt in gemeinnützig orientierten Wohnungen, quer durch fast alle Schichten. Es gibt den klassischen sozialen Wohnungsbau, aber auch eine ganze Reihe weiterer Programme, die auf andere Bevölkerungsschichten zielen.
Was lässt sich für jene tun, die in bereits existierenden Wohnungen leben?
Viele Mittel sind noch nicht ausgereizt: Ein besserer Kündigungsschutz wäre ebenso wichtig wie Milieuschutzgebiete. Einen Mietendeckel sollte man einziehen, wo es geht. Und wenn kommunale Immobilien verkauft werden, dann vorrangig an gesellschaftlich nachhaltige Konzepte. Außerdem sollte es eine enge Partnerschaft mit Genossenschaften geben. Sie haben jahrzehntelange Erfahrung darin, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen – man sollte ihnen Gelegenheiten geben zu investieren.
Wie sehen Sie die Diskussion darüber, ob man große Immobilienkonzerne enteignen sollte?
Dass diese Debatte aufkommt, wundert mich nicht. Immobilienkonzerne investieren spekulativ in Wohnungen. Es geht darum, sie zu verkaufen, nicht, in ihnen zu wohnen! Der Idee der Enteignung stehe ich ambivalent gegenüber, aber die Debatte sehe ich als Teil der politischen Diskussion. Sie zeigt, dass wir in vielen Kommunen ein gewaltiges Problem haben – und dass die Politik aufgefordert ist, mehr und anders an diesem Thema zu arbeiten.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal 2/2019.
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Jana Scholz
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