Pünktlich um 8 Uhr am Morgen startet der beladene Bus vom Hotel in Ermenek in Richtung des anatolischen Plateaus. Entlang der engen Serpentinen auf dem Weg nach oben sind weiterhin die miozänen Karbonatgesteine aufgeschlossen und zu bestaunen. Ja, bestaunen ist der beste Ausdruck für die Geologie und Morphologie dieser Region. Wir begannen gestern, diese Einheit in der Nähe des Meeres zu durchfahren – dort war sie noch fast horizontal und somit nahezu unverformt. Weiter bergauf wurde die Neigung dieser Sedimentschichten jedoch zunehmend steiler in Richtung Plateau. Als wir Ermenek verlassen, fahren wir wie gestern durch steil nach Süden geneigte Karbonatschichten. Aber je weiter wir uns dem Plateaurand nähern, desto flacher werden die Gesteine der gleichen Einheit wieder und bilden eine Hochebene. Dağ, ovanın süt anasıdır – „der Berg ist die Mutter der Ebene“. Dieses türkische Sprichwort kommt unserem Kollegen Cengiz Yildirim in den Sinn, als wir uns über die tektonische Hebung des Plateaus und die verformten Gesteine am Plateaurand unterhalten. Dabei müsste es in dieser besonderen Situation eigentlich genau umgekehrt lauten, denn die fast ebenen Gesteine der Küstenregion haben hier auf 2000 Metern Höhe ihre Entsprechung. Der Südrand des Plateaus hat somit die Form einer gigantischen Treppenstufe, eine Stufe, die sich erst in den letzten acht Millionen Jahren gebildet haben muss.
Plötzlich aber ist die Straße unmittelbar vor unserer Ankunft auf der Hochebene gesperrt. Da hier nun kein Weiterkommen mehr ist, brauchen wir einen Umweg; an der nächsten Tankstelle nutzen wir bei einem Glas Tee die Gelegenheit, die Route neu zu definieren und die geologischen Besonderheiten der Region herauszustellen: Insgesamt sind hier fast zwei Kilometer mächtige Gesteinsabfolgen durch Erosionsprozesse aufgeschlossen und erlauben eine Zeitreise von der Kreidezeit bis in das späte bzw. obere Miozän.
Schließlich erreichen wir die Hochebene doch noch und sie gewährt uns einen unvergesslichen Blick auf die majestätische Landschaft der Südflanke der Tauriden. Hier, in der Hochebene, wachsen nur noch vereinzelt Wachholderbäume in der ansonsten trockenen Steppe, die durch Schafherden beweidet werden. Anatolische Schäferhunde mit gespickten Halsbändern aus Stahl die der Abwehr von Wölfen dienen, heißen uns sogleich willkommen. Hier oben finden wir versteinerte Austern als unmissverständliche Zeugen eines ehemaligen Flachmeeres das uns seit dem Anfang unserer Reise begleitet hat und in beindruckender Art und Weise die Dynamik der Erdoberfläche und möglicher Prozesse im Erdinneren veranschaulicht.
Wir verlassen nun die Überreste einer marinen Vergangenheit und betreten das flache anatolische Plateau, das wir in den nächsten Tagen hinsichtlich der Erosionsprozesse, der jungen tektonischen Bewegungen und der vulkanischen Aktivität untersuchen wollen.
Text: Max Oberrauch und David Matzdorff
Online gestellt: Matthias Zimmermann
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