Seit etwa einem Jahr gehen junge Menschen der Fridays for Future-Bewegung auf die Straße, um lautstark eine andere Klimapolitik zu fordern. Ein Kohleausstieg bis 2030 und eine Steuer auf Treibhausgasemissionen gehören dazu. An ihrer Seite stehen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die seit Langem vor den Gefahren des Klimawandels warnen und auf notwendige Maßnahmen aufmerksam machen. Der Schüler und Klimaaktivist Jaro Abraham (16) und der Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf (59) sprechen über Ziele, Erwartungen und Hindernisse aus ihrer jeweiligen Perspektive.
Stefan Rahmstorf: In den Berichten des Weltklimarats weist die Wissenschaft seit Jahrzehnten auf den Klimawandel hin. Der erste Bericht stammt von 1990, erste offizielle Expertenberichte zur globalen Erwärmung gibt es sogar schon seit 1965. Da steht im Grunde alles drin, obwohl man zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Erwärmung festgestellt hat. Man hat aber damals schon die Physik des Treibhauseffekts verstanden. Seit also über 50 Jahren warnt die Wissenschaft vor den Folgen des CO2-Ausstoßes. Ich finde es fantastisch, dass die jungen Menschen, die davon betroffen sein werden, jetzt laut und deutlich ihre Stimme erheben und damit offenbar auch Gehör finden.
Jaro Abraham: Sie wissen schon seit Jahrzehnten, dass es eine Klimakrise geben wird. Wie fühlt es sich für Sie an, dass niemand etwas dagegen unternimmt, dass keiner handelt?
Rahmstorf: Dass nicht gehandelt wird, ist für uns frustrierend. Vor einer Weile habe ich es mal so beschrieben: Es ist, als wenn man einen Brand sieht, irgendwo auf dem Land. Ein Haus steht in Flammen, wahrscheinlich sind sogar Kinder drin. Man ruft die Feuerwehr, aber die kommt einfach nicht. Weil irgendjemand sagt: „Das ist doch alles nicht so schlimm, ihr braucht nicht zu kommen.“ Man fühlt sich hilflos. Es geht ja nicht um uns Forscher, es geht um die Folgen für die Menschen und um unseren Planeten.
Abraham: Für uns fühlt es sich auch beängstigend an. Wenn in fünf, sechs Jahren die Kipppunkte überschritten sind, ist es zu spät. Jetzt versuchen wir, die Erde zu retten. Vielleicht wandelt sich dieses Gefühl irgendwann um in Resignation, weil eh nichts mehr zu retten ist. Davor habe ich extrem Angst.
Rahmstorf: Wir als Wissenschaftler können eigentlich keine Forderungen stellen. Das ist nicht unsere Aufgabe. In den Berichten des Weltklimarats (IPCC) wird auch nichts gefordert, sondern es werden die Folgen des Klimawandels dargelegt und wie man es schaffen könnte, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die Berichte beschreiben auch die Auswirkungen der Erwärmung von zwei oder mehr Grad Celsius. In den Medien wird das manchmal anders dargestellt. Die Entscheidungen, was getan werden soll, müssen letztlich Gesellschaft und Politik treffen.
Abraham: Kommen unsere Forderungen vielleicht auch schon zu spät? Wir hoffen natürlich, dass alles machbar ist, was wir uns vorstellen. Zum Beispiel die Nettonull in den CO2-Emissionen bis 2035. Aber genügt das, um das Weltklima zu retten?
Rahmstorf: Die Fridays for Future-Bewegung hat mich und andere Klimaforscher konsultiert, um die Entwürfe für den Forderungskatalog vorzustellen und uns nach unserer Meinung dazu befragt. Dieser hat meine volle Zustimmung und ist wissenschaftlich gut untermauert. Allein aus dem deutschsprachigen Raum haben sich ja mehr als 26.000 Wissenschaftler mit ihrer Unterschrift hinter Fridays for Future gestellt. Es gibt aus der Wissenschaft große Unterstützung für eure Forderungen.
Abraham: Unterstützt die Wissenschaft Fridays for Future als Bewegung oder auch unsere Forderungen?
Rahmstorf: Wenn ich für mich und einige Kollegen spreche, unterstützen wir beides. Ich warne allerdings davor, die Forderungen zu verschärfen, wie es in einigen Gruppen derzeit diskutiert wird. Es wird nicht besser, wenn man Ansprüche stellt, die noch schwerer zu erfüllen sind und die man zudem nicht mehr so stringent wissenschaftlich begründen kann. Die Forderung nach der Emissionsnull bis 2035 in Deutschland kann man eigentlich gar nicht ablehnen, ohne das Pariser Abkommen infrage zu stellen.
Abraham: Könnte man noch mehr CO2 einsparen, wenn man in anderen Ländern in den Klimaschutz investieren würde, als die gleiche Summe hier in Deutschland auszugeben?
Rahmstorf: Es gibt sicherlich Möglichkeiten für Kooperationen mit anderen Ländern. Fakt ist aber, dass wir weltweit auf null Emissionen kommen müssen. Wir können uns nicht freikaufen. Wir müssen in den Strukturwandel investieren, und da sind die reichen Industriestaaten in einer besseren Situation.
Abraham: Wer ist hier mehr in der Verantwortung – die Politik oder die Gesellschaft?
Rahmstorf: Ich würde sagen die Politik. Natürlich hat auch der Einzelne einen Einfluss auf sein CO2-Budget. Man kann auf Flüge verzichten und Ökostrom beziehen. Aber es zeigt sich in der Praxis, dass nur zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung das machen. Die geben dann irgendwann frustriert auf, wenn die Nachbarn alle weiter in die Karibik fliegen. Oder Mobilität mit dem Fahrrad – das setzt auch eine gewisse Infrastruktur und Stadtplanung voraus.
Abraham: Was sagen Sie zu zivilem Ungehorsam? Wäre das ein geeignetes Instrument, um Ziele des Klimaschutzes durchzusetzen?
Rahmstorf: Solange es völlig gewaltfrei bleit, denke ich schon, dass solche Protestformen in Zeiten von Notlagen legitim sein können.
Abraham: Bei uns gibt es eine intensive Debatte darüber. Es gibt Ortsgruppen, die das befürworten und sich etwa mit der Aktion „Ende Gelände“ solidarisieren wollen, die ja zum Beispiel in Kohlegruben eindringen und diese besetzen. Aber trotzdem sind wir eher die Einsteigerbewegung, obwohl wir Aktionen wie diese cool finden. Viele aus unserer Bewegung sind auch in anderen Initiativen aktiv.
Rahmstorf: Es gibt immer Menschen, die bereit sind, weiterzugehen. Aber die Hauptkraft von Fridays for Future liegt meiner Meinung nach in der sehr großen Breitenwirkung. Dort können alle mitmachen, auch wenn sie sich nicht an zivilem Ungehorsam beteiligen möchten. Gerade bei der Schülerbewegung finde ich es wichtig, dass sie offen für alle ist.
Abraham: Wie viel Kraft stecken Sie in Leute, die den Klimawandel leugnen?
Rahmstorf: Ich verwende schon einige Zeit darauf, Aufklärungsarbeit zu leisten, mit den zwei Blogs, auf denen ich aktiv bin, und auf Twitter. Ich glaube nicht, dass ich die Klimawandelleugner überzeugen kann. Sie sind nicht zugänglich für rationale Argumente. Diese Erfahrung habe ich jahrzehntelang gemacht. Es kommen immer wieder dieselben Argumente, die schon hundertmal widerlegt wurden. Aber die Menschen, die durch solche Skeptiker verunsichert werden, suchen nach Antworten. Die meisten wissen nicht, was wirklich los ist. Und deswegen ist es wichtig, dass Wissenschaftler Fragen beantworten. Ich denke, es sollten sich viel mehr Wissenschaftler aus dem Elfenbeinturm herauswagen und sich in der öffentlichen Diskussion engagieren.
Ein Thema sind auch immer wieder Anfeindungen. Klimaforscher persönlich zu diskreditieren ist das Hauptargument der Klimaskeptiker. Das ist vielleicht auch verständlich, weil sie die Sachargumente nicht auf ihrer Seite haben.
Abraham: Ich bin ganz froh darüber, dass ich persönlich noch nicht angegriffen wurde. In den sozialen Medien fängt es ja meistens an. Da haben wir durchaus Erfahrungen gemacht. Über unsere E-Mailadresse wird uns schon mal geschrieben „Ihr verlogenes Pack!“, oder Ähnliches. Das sind aber meistens Mails, die an viele Accounts gehen. Dadurch, dass wir so viele sind, sind wir vielleicht auch ein Stück weit vor persönlichen Angriffen geschützt.
Rahmstorf: Mein Rat wäre, konsequent zu filtern und zu blockieren. Ich bekomme die meisten Hassmails gar nicht mehr zu sehen.
Abraham: Was halten Sie für die effektivere Klimaschutzmaßnahme: den Kohleausstieg oder Aufforstung?
Rahmstorf: Die Aufforstungsstudie, die kürzlich durch die Medien ging, ist leider wirklich fehlerbehaftet. Das Potenzial, das man durch Aufforstung an CO2-Aufnahme erreichen kann, wurde stark übertrieben dargestellt. Aufforstung ist trotzdem gut, kann aber nur einen kleinen Beitrag leisten. Im Moment haben wir aber Probleme, unsere existierenden Wälder überhaupt am Leben zu erhalten. Der Hauptbeitrag ist der, dass wir die Verbrennung fossiler Brennstoffe einstellen müssen. Das ist eine große Herausforderung. Je schneller wir große Emissionen etwa in der Stromerzeugung vermeiden können, desto mehr Zeit bleibt uns für die schwerer zu vermeidenden Emissionen, die aus der Landwirtschaft oder dem Verkehr stammen.
Fridays for Future war bisher sehr erfolgreich und hat die Klimadebatte sehr stark verändert. Wie geht es jetzt weiter, falls die Politik ungenügende Beschlüsse fasst?
Abraham: Mit dieser Frage beschäftigen wir uns gerade sehr viel. Viele Experten haben vorausgesagt, dass die Bewegung einschläft. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen stehen Landtagswahlen an, wo es noch einmal richtig laut werden wird. Am 20. September gibt es einen globalen Klimastreik, für den wir auch den Schulterschluss mit den Gewerkschaften suchen. Die Week for Climate findet Ende September statt, mit vielen Aktionen und Veranstaltungen. Wir machen weiter, das Thema Klimaschutz wird präsent bleiben.
Rahmstorf: Es ist wirklich beeindruckend, was die Schülerbewegung bisher geschafft hat und auch mit welcher Sachkenntnis und Ernsthaftigkeit das Thema angegangen wird. Wie bewältigt ihr das überhaupt organisatorisch?
Abraham: Die Koordination beansprucht sehr viel Zeit. Sonntags um halb sechs haben wir bundesweit eine Telefonkonferenz, in der wir klären, was in den Ortsgruppen so los ist. Dann gibt es WhatsApp-Gruppen, über die wir uns organisieren. An einem Tag kommen da schon mal 1.200 Nachrichten zusammen. Auf dem Sommerkongress in Dortmund haben wir uns gut vernetzt und gestalten gerade auch die Strukturen. Es gibt viele, die sich einbringen, deshalb können wir die Aufgaben gut verteilen und gemeinsam fürs Klima kämpfen.
Rahmstorf: Alle Achtung, das macht Hoffnung.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal 2/2019.
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Jana Scholz
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde