2019 ist Fontane-Jahr und das gesamte Wirken des Schriftstellers wird von allen Seiten beleuchtet, gefeiert und neu bewertet. Dabei darf ein Kapitel nicht fehlen: Fontanes Verhältnis zu Juden. Matthias Zimmermann sprach mit dem Historiker Professor Thomas Brechenmacher über Fontanes Werke, Briefe und Ressentiments.
War Fontane Antisemit?
Er selbst hat gesagt: Ja und nein. Typisch Fontane. Es ist kompliziert. Tatsächlich war es für ihn eine wichtige Thematik. Vor allem in seinen Briefen finden sich eindeutig antisemitische Äußerungen. Dort schreibt er sehr harsch über jüdische Gäste oder Hausbesitzer in Bade- und Kurorten. Dabei operiert er selbst mit dem Begriff „Antisemitismus“. Aber eben auch reflektierend, wenn er sagt: „Unter Thränen wachse ich immer mehr aus meinem Antisemitismus heraus, nicht weil ich will, sondern weil ich muß.“ Fontane war kein Antisemit im Sinne eines verbohrten Ideologen, der sich den Kampf gegen Juden zur Aufgabe gemacht hat. Er wurde mal als „bürgerlicher Antisemit“ bezeichnet. Aber auch das erklärt wenig. Ich würde sagen: Er arbeitete sich an seinem Ressentiment ab; manchmal, vor allem in seinen letzten Jahren, unterlag er ihm jedoch.
War Antisemitismus damals etwas anderes als heute?
Zweifellos. Dazwischen liegt das 20. Jahrhundert mit den verheerenden Ereignissen, die der Antisemitismus hervorgebracht hat. Zu Fontanes Zeiten gab es antijüdische Ressentiments in vielen Schichten der Gesellschaft. Die Frage ist: Wie sind die Menschen damit umgegangen? Fontane stellt solche Ressentiments immer wieder infrage und kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Mal sieht er sie estätigt, mal hält er sie für falsch.
Woher stammte Fontanes Einstellung zu Juden?
Er hatte jüdische Freunde in vielen Kreisen. Der Journalist und Schriftsteller Wilhelm Wolfsohn hat ihn verehrt, den angehenden Dichter erkannt – und mit ihm auch Fragen zum Judentum diskutiert. Dieser Bogen lässt sich spannen bis zu einem seiner späten Briefpartner, Georg Friedlaender. Aber jüdi-sche Freundschaften beseitigten nicht Fontanes Ressentiments. Judentum war für ihn ein Aspekt sozialer Wirklichkeit. Fontane war kein Reaktionär, sondern eher fortschrittlich eingestellt. Er sah die alte preußische Adels-welt auseinanderbrechen und das Neue kommen. Das Judentum war für ihn ein Zeichen des Neuen, aber es war ihm in dieser Qualität auch ein bisschen unheimlich.
Spiegelt sich Fontanes Bild von Juden in seinen Werken?
Aber ja! Es gibt ganze jüdische Themenkomplexe in Schlüsselwerken wie dem „Stechlin“. Und natürlich zahlreiche jüdische Figuren, etwa in den „Poggenpuhls“, „Mathilde Möhring“ und „L’Adultera“. Immer sind die Figuren künstlerisch durchgeformt, manche sind typisierend – wie die des jüdischen Bankiers, des Handels- und Geldmenschen oder des sozialdemokratischen jüdischen Arztes. Was fehlt, ist ein eigenes großes Werk, in dem sich Fontane der jüdischen Frage ausführlich widmet. Anfang der 1880er Jahre hatte er etwas vorbereitet mit dem Titel „Storch von Adebar“, aber es blieb unausgeführt.
... und wie ist es mit den Briefen?
Die waren nicht zur Veröffentlichung gedacht und oft impulsiv, situativ verfasst. In manchen Briefen lässt er sich zu Aussagen hinreißen wie: Juden sind furchtbare Menschen und gehen mir auf die Nerven. Er wusste aber zugleich, dass auch diese Ansichten furchtbar waren. Seine Briefe zeigen Fontane als Menschen, der in Vorurteilsstrukturen verhaftet war, dem es aber immer wieder gelang, aus
diesen auszubrechen.
Ist das Jubiläumsjahr der richtige Zeitpunkt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Ja, es ist immer der richtige Moment. Wir wollen doch keine Heiligenverehrung betreiben, sondern einen wichtigen Schriftsteller in seiner ganzen Person würdigen. Fontane war kein einfacher Mensch. Vielleicht wollen manche den heiteren Schreiber feiern, aber das trifft’s doch nicht. Wir können ihm nur gerecht werden, indem wir differenzieren und die problematischeren Facetten dieser Persönlichkeit zur
Kenntnis nehmen.
Beeinflusst das Thema Ihre Einschätzung Fontanes?
Soll man sich von ihm abwenden? Auf keinen Fall! Es macht seine Kunst nicht geringer. Vielmehr sollte es Anlass sein, uns zu fragen: Schaffen wir es, so offen und selbstkritisch über eigene Vorurteile zu reflektieren wie er?
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde