Mithilfe von Pressen und speziell geschliffenen Diamanten untersuchen Wissenschaftler der Universität Potsdam jene Materialien, aus denen der Erdmantel besteht. Dazu gehört auch glasförmige (nicht-kristalline) Materie, die strukturell Schmelzen ähnelt, die tief im Erdmantel vorkommen. Es gibt jedoch nur wenige Methoden zur strukturellen Untersuchung glasförmiger Materie unter hohem Druck. Ein Team um Georg Spiekermann vom Lehrstuhl Mineralogie am Institut für Geowissenschaften hat nun im renommierten Fachblatt „Physical Review X“ eine innovative röntgenspektroskopische Untersuchungsmethode vorgestellt, mit der neue Einblicke in die Struktur nicht-kristalliner Materie unter Druck möglich sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich in Schmelzen schwere Elemente wie Eisen anreichern müssen, damit diese im Bereich des unteren Erdmantels stabil vorliegen können.
Welche Eigenschaften Minerale und Gesteine haben, die im Erdinneren vorkommen, lässt sich kaum direkt beobachten. Erkenntnisse über diesen Bereich der Erde gibt es daher nur durch Laborexperimente, in denen entsprechende Druck und Temperaturbedingungen simuliert werden. Von speziellem Interesse für den unteren Erdmantel, die Schicht in einer Tiefe von 660 bis 3000 Kilometern unter der Oberfläche, sind die Eigenschaften von Magmen, die aufgrund geophysikalischer Beobachtungen für diesen Tiefenbereich postuliert wurden. Um dort stabil vorliegen zu können, müssten diese Magmen besondere Eigenschaften haben, die bisher jedoch weitgehend unbekannt sind. Mithilfe von sogenannten Diamantstempelzellen können die Bedingungen im unteren Erdmantel simuliert werden. Zwischen zwei Diamanten, die präzise aufeinandergedrückt werden, lassen sich die Drücke des Erdmantels erzeugen. So kann beispielsweise der Kompaktionsmechanismus nicht-kristalliner Materie untersucht werden. Georg Spiekermann und sein Team haben kleinste Mengen von Germanium-Dioxid (GeO2)-Glas einem Druck von bis zu 100 Gigapascal ausgesetzt, der im Erdinneren in einer Tiefe von über 2000 Kilometern herrscht. Germaniumdioxid verhält sich aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit wie Siliziumdioxid (SiO2), das ein Hauptbestandteil von Magmen ist. Anders als SiO2 lässt sich GeO2 jedoch in Diamantstempelzellen mit Röntgenstrahlen einfacher spektroskopisch untersuchen, sodass man mit ihrer Hilfe Fragen zu Prozessen im Erdmantel beantworten kann.
Eine solche Frage hat mit dem Rätsel zu tun, warum Schmelzen aus dem tiefen Erdmantel nicht aufsteigen. Es gibt dafür zwei mögliche Erklärungen: eine chemische und eine strukturelle. Entweder reichern sich schwere Elemente wie Eisen in der Schmelze an oder es gibt in Schmelzen einen speziellen Kompaktionsmechanismus, der dafür sorgt, dass sie unter Druck dichter werden als die kristallinen Formen gleicher Zusammensetzung. Letzteres würde sich unter hohem Druck durch einen Anstieg der sogenannten Koordinationszahl bemerkbar machen, die angibt, wie viele direkte Nachbarn ein Atom besitzt. Zur experimentellen Untersuchung der Koordinationszahl in nicht-kristalliner Materie unter Druck existieren bislang zwei auf Röntgenstrahlung basierende Methoden, deren Ergebnisse bislang allerdings teils sehr weit auseinandergehen.
Das Team der UP-Mineralogen hat nun eine dritte Methode entwickelt. Diese basiert auf der sogenannten Röntgenemission, mit der sich die Bindungsabstände und Koordinationszahl in komprimierter amorpher Materie bestimmen lassen. Beide Parameter lassen sich demnach aus Energie und Intensität der Strahlung der sogenannten Kβ" („K-Beta-Doubleprime“) Röntgen-Emissionslinie der Probe ablesen. Die Kβ"-Strahlung entsteht, wenn die Probe mit Röntgenlicht bestrahlt wird. Die Energie dieser Emissionslinie hängt dabei von der Koordinationszahl ab, die Intensität vom Bindungsabstand. Für diese Messungen ist ein sehr intensiver Röntgenstrahl nötig, wie er beispielsweise in Hamburg an DESYs Röntgenquelle PETRA III zur Verfügung steht.
Messungen mit der neuen Methode zeigen, dass die Koordinationszahl von GeO2 selbst unter diesem extremen Druck nicht höher steigt als sechs. Dies entspricht auch der Koordination in den bei diesen Drücken stabilen kristallinen Formen von GeO2. Ein spezieller Kompaktionsmechanismus, der Schmelzen und Gläsern das Erreichen einer höheren Dichte als Minerale ermöglicht, wird damit unwahrscheinlich. Übertragen auf Siliziumdioxid und den Erdmantel bedeutet das, dass Magma mit einer höheren Dichte als das umgebende feste Material wahrscheinlich durch die Anreicherung relativ schwerer Elemente wie Eisen entsteht. Den schweren Schmelzen im unteren Erdmantel sind Forscher verschiedener Disziplinen auf der Spur, denn diese könnten viel über die Entstehungsgeschichte und Dynamik des Erdmantels verraten. Eigenschaften des Erdmantels, wie beispielsweise seine Wärmeleitfähigkeit, sind für die Bewohnbarkeit der Erde von großer Bedeutung.
Originalveröffentlichung:
Persistent Octahedral Coordination in Amorphous GeO2 Up to 100 GPa by Kβ'' X-Ray Emission Spectroscopy; G. Spiekermann, M. Harder, K. Gilmore, P. Zalden, Ch. J. Sahle, S. Petitgirard, M. Wilke, N. Biedermann, C. Weis, W. Morgenroth, J. S. Tse, E. Kulik, N. Nishiyama, H. Yavaş, and C. Sternemann; „Physical Review X“, 2019; DOI: 10.1103/PhysRevX.9.011025
Text: Dr. Georg Spiekermann/Dr. Simon Schneider
Online gestellt: Matthias Zimmermann
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