39 Aktenordner mit kopierten Unterlagen aus Archiven weltweit stehen neben Anna Wardas Schreibtisch im Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in der Potsdamer Innenstadt. Die in Portugiesisch, Spanisch, Englisch, Kiswahili und Deutsch verfassten Akten hat die Doktorandin mehrfach gelesen, übersetzt und dabei auch gelernt, kryptische Abkürzungen zu entziffern. Es sind Zeugnisse der sogenannten Aufbauhilfe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im globalen Süden. Warda untersucht das Wirken des MfS insbesondere in Sansibar, Mosambik und Nicaragua von den 1960er Jahren bis zur Wende.
In insgesamt über 25 Ländern des globalen Südens war die Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) aktiv – von Asien über Afrika bis nach Südamerika. „Meistens war in diesen Ländern nach Umbrüchen ein politisches Vakuum entstanden, etwa mit dem Ende der Kolonialherrschaft“, erklärt die Historikerin. „Die Führungselite des Landes entschied dann, einen sozialistischen Staat aufzubauen und bat die DDR um Unterstützung.“
Und die hatte in den rund 40 Jahren ihres Bestehens verschiedene Motive, diese Bitte zu erfüllen: Bis in die 1970er Jahre hatte die Bundesrepublik die DDR völkerrechtlich nicht anerkannt. Diplomatische Beziehungen zu anderen Ländern waren daher willkommen, um sich als einer von zwei deutschen Staaten zu behaupten. „Im Kalten Krieg zählte jeder Zentimeter“, so die Doktorandin. Während der Wirtschaftskrise in den 1980er Jahren waren dann vor allem die Ressourcen der Partnerländer attraktiv: Ihre Unterstützung ließ sich die DDR mit Kohle, Kaffee, Kakao und tropischen Früchten entlohnen.
Im Gegenzug lieferte das MfS seine Expertise. „Die Staatssicherheit der DDR war im Vergleich zur Bevölkerungszahl ein riesiger Apparat“, erklärt Warda. „Das Know-how in Sachen Überwachung war daher das eigentliche Exportgut des Landes.“ Das MfS half den Partnerländern, ihre eigene Staatssicherheit aufzubauen, und brachte im Zuge dessen auch Überwachungstechnologie nach Nicaragua, Mosambik oder Sansibar. Die Folgen dieses Exports sind teilweise bis heute sichtbar: Am Flughafen in Managua stieß Warda noch vor wenigen Jahren auf die typischen Wachhäuschen der DDR-Grenzposten – ein Relikt der sogenannten Aufbauhilfe.
In Potsdam schulte das MfS Polizisten aus sozialistischen Partnerländern
Doch die Mitarbeiter des MfS brachten nicht nur Kameras, Abhörgeräte oder Wanzen in die Partnerländer mit, sondern bildeten auch Einheimische in der Überwachung von Funk, Post und Telefon aus. Und das sowohl vor Ort als auch in der DDR. So berichtete ein Zeitzeuge aus Mosambik der Doktorandin von seiner Zeit an der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam-Golm. In den 1970er Jahren war er dort sechs Monate lang zum Polizisten ausgebildet worden. Doch wieder zurück in Mosambik, brachte ihn sein christlicher Glaube davon ab, weiterhin der Staatssicherheit seines Landes zu dienen. Heute arbeitet er als Deutschlehrer – und profitiert dabei von den Sprachkenntnissen, die er im Kontakt mit dem MfS erworben hat.
Warda hat mit rund 15 Zeitzeugen gesprochen und in allen drei untersuchten Ländern für mehrere Wochen gelebt. „Der Kontakt zu den Betroffenen entstand manchmal durch verrückte Zufälle“, sagt die Historikerin und lacht. „Wer Zeitzeugen sucht, sollte bei jeder Gelegenheit von seinem Projekt erzählen.“ Beim Plausch mit dem Bäcker oder ihrer Vermieterin habe sie Hinweise erhalten. Sogar beim Telefonieren auf der Straße sei sie von Zeitzeugen angesprochen worden, die sie Deutsch sprechen hörten. Erste Anlaufstelle waren aber die Expertinnen und Experten vor Ort. Über das Auswärtige Amt, Botschaften, politische Stiftungen oder das Goethe-Institut habe sie Zugang zu den Archiven und Hinweise auf weitere Quellen erhalten. Viele Zeitzeugen wollten aber nicht mit ihr sprechen. „90 Prozent der ehemaligen Mitarbeiter des MfS lehnten ein Gespräch ab.“
Interkulturelle Konflikte lassen sich auch aus vermeintlich trockenen Akten ablesen
Aus den Akten in Wardas Büro lassen sich Hinweise auf das Verhalten der MfS-Leute ablesen, die damals im Auslandseinsatz waren. Briefe, Telegramme, Notizen, Berichte von Inoffiziellen Mitarbeitern, Planungspapiere zu Finanzen oder zum Diplomatenaustausch, endlos lange Lieferlisten – jede Kleinigkeit sei genauestens dokumentiert. Beim MfS habe man nicht nur seine Feinde, sondern auch die Verbündeten bespitzelt – und sogar die eigenen Reihen überwacht.
„Ich schaue auch auf die interkulturellen Momente und frage, welche Konflikte sich aus den Akten ablesen lassen“, erläutert Warda. So waren die Partnerschaften zwischen der DDR und Sansibar, Mosambik und Nicaragua immer wieder von gegenseitigem Unverständnis geprägt. „Ein MfS-Mann ärgert sich beispielsweise über die Sansibarer, die ein krankes Kind nicht ins Krankenhaus, sondern zum Dorfältesten bringen.“ Auch dass manche Einheimischen noch nie von Lenin oder Marx gehört hatten, überraschte die in leninistisch-marxistischer Theorie streng ausgebildeten, linientreuen Kader des MfS.
Umgekehrt sah es kaum anders aus. Denn auf das tropische Klima waren die Stasi-Mitarbeiter nicht eingestellt. Die mitgebrachte Überwachungselektronik verrostete und die Stempelfarbe hielt der Feuchtigkeit nicht stand. Manche Einheimischen empfanden dies als Sabotage durch die angeblichen sozialistischen Freunde. Trotz solcher Differenzen kamen viele Mitarbeiter des MfS verändert zurück, sagt Warda. Von Ostberlin aus setzten sie sich weiter für das Land ein, in dem sie für einige Zeit gelebt hatten. Das jedenfalls ist den Akten zu entnehmen.
Spätestens mit dem Mauerfall endete dann die sogenannte Aufbauhilfe der DDR. Manche Stasi-Mitarbeiter stiegen ins Flugzeug nach Hause, andere entschieden sich zu bleiben. In Sansibar, Mosambik und Nicaragua war jedoch mit dem Ende des Kalten Krieges die sozialistische Überwachung nicht vorbei. „In diesen Ländern ist die dortige Staatssicherheit noch immer aktiv. Dieselben sozialistischen Parteien sind an der Macht, und die Bevölkerung leidet bis heute unter den Repressionen ihrer Regierung.“ Bei ihrem Aufenthalt in Sansibar verschwanden während der Neuwahlen im Land plötzlich Zeitzeugen, mit denen Warda gesprochen hatte. Sie waren als Oppositionelle verhaftet worden. Nach Abschluss ihrer Promotion möchte die Historikerin an diesem Punkt weiterforschen und nach den Folgen fragen, die das Wirken des MfS im globalen Süden bis heute hat.
Die Wissenschaftlerin
Anna Warda studierte Literaturwissenschaften und Geschichte an der Universität Potsdam. Seit 2014 ist sie Doktorandin am Historischen Institut der Universität Potsdam. Warda ist außerdem in der Abteilung „Kommunismus und Gesellschaft“ des Zentrums für Zeithistorische Forschung assoziiert.
Zentrum für Zeithistorische Forschung
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam
E-Mail: awardauuni-potsdampde
Text: Jana Scholz
Online gestellt: Alina Grünky
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin „Portal Wissen“.