Es ist 9 Uhr, wir kontrollieren unsere Proviantvorräte und sind bereit für unseren Aufstieg zur Bisse rosso auf 1.718 m Höhe. Es ist die Sommerstation von Denis, der von Juli bis September seine Schafe und Ziegen dort weidet. Wir wollen sehen, wie er dort lebt. Die Sonne brennt heute schon am Morgen. Auch die Ziegenherde von Dennis ist deshalb nicht am Fluss zu finden. Die Tiere suchen im Wald unter den höhergelegenen Bäumen Schatten. Bis Santa Anna auf 1.321 m Höhe kommen wir recht zügig voran. Dort füllen wir unsere Trinkflaschen an den Quellbrunnen auf, der gleichzeitig der gleichzeitig als Viehtränke und Waschhaus dient. Wir sehen, wie vieles einfach aus dem gemacht wird, was zu Händen ist, ein krummer Ast ist die Halterung für den ausgehöhlten Stamm, der als Wasserleitung dient. Dann geht es aufwärts. Streckenweise kommen wir nur sehr langsam voran. Der Aufstieg ist steil, die Beine brennen. Immer wieder fällt die Gruppe auseinander. Wir machen Pause und sammeln uns. Weiter oben gibt es keine Bäume mehr, die und Schatten spenden könnten, und heiße Luft weht uns entgegen. In der nächsten Biegung ist es etwas kühler. Wir rasten kurz und sammeln Kräfte. „Wer bis hier hoch kommt, schafft es auch bis oben“, sagen wir uns und halten zusammen. Gemeinsam geht es weiter das letzte Stück hinauf. Es wird nochmals steiler und steiniger. Mittlerweile haben wir uns alle mit Wanderstöcken versorgt, die uns helfen, Knie und Rücken zu entlasten. Wir treffen in diesem Seitental keine Menschenseele. Einst waren die oberhalb von Santa Anna gelegenen Alpen mit ca. 50 Hirten und Hirtinnen bewohnt, wie uns Seniora Ada erzählt hat. In der Alpe Tossú haben wir ihr ehemaliges, inzwischen verfallenes Haus gefunden und fotografiert, um es ihr zu zeigen.
Die Hitze flimmert und der Dunst aus dem Tal steigt nach oben. Zwischenzeitlich ringen wir, völlig aus der Puste und schweißdurchnässt, nach Luft. Weiter! Unser Ziel liegt in Sichtweite. Wir überqueren den letzten Bergfluss und gegen 13.30 Uhr haben wir es tatsächlich geschafft. Wir sind auf der Bisse rosso angekommen – eine einst ebenfalls gut besiedelte Alpe, von der man das gesamte Tal überblickt. Die verlassenen Steinhäuser spenden uns Schatten für unsere Mittagspause. In der Sonne trocknen unsere Sachen. Nur wenige Hütten sind noch intakt. Die von Denis hat eine winzig kleine Terrasse, auf der er mit seinem Hund sitzen und nach den Tieren schauen kann. Es ist sehr, sehr einfach hier oben: Es gibt keinen Strom. Das Wasser holt man sich von unten aus dem – allerdings sehr erfrischenden – Gebirgsbach. Um 15 Uhr starten wir unseren Abstieg zurück ins Tal. Konzentration und Ausdauer sind gefragt, die Knie und Füße schmerzen. Müde und erschöpft erreichen wir das Tal. Nach der körperlichen Anstrengung haben wir einen Bärenhunger und spüren deutlich den Unterschied zu den Walsern und ihrer Art, sich in dem steilen Gelände zu bewegen.
Text: Fleur-Christine Schröder
Online gestellt: Agnetha Lang
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
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