Am letzten Tag unserer Reise stehen drei nichtmuslimische Orte auf dem ambitionierten Programm. Begleitet werden wir von einem sprachtalentierten Vertreter des Isfahaner Büros für Monotheistische Religionen.
Die armenische Kelisa-ye Vank (Vank-Kathedrale, auch Kathedrale des Heiligen Erlösers) ist heute Bestandteil eines Museumskomplexes zur armenischen Geschichte, das einen Schwerpunkt auf die Jahre 1915 bis 1917 legt. Das Innere der Kirche ist faszinierend: Der gesamte Raum wird von großen Wandmalereien dominiert, auf der bekannte Episoden des Alten und Neuen Testaments sowie armenische Märtyrer dargestellt sind. Neben dieser Fülle an Figuren und Farben rücken die mit Blattgold überzogenen Schnitzereien und nicht weniger kunstfertig hergestellten Fliesen fast in den Hintergrund.
Die Kirche wurde um 1606 von armenischen Christen aus der Gegend von Julfa im heutigen Aserbaischan errichtet. Während des Osmanisch-Safawidischen-Krieges von 1603 bis 1618 ließ Schah Abbas I. die Armenier im Isfahaner Stadtteil Neu-Julfa ansiedeln. Iranische Schahs verschiedener Epochen versuchten, sowohl die ökonomischen Verbindungen aramäischer Christen nach Europa als auch ihre handwerklichen, künstlerischen und militärischen Kenntnisse zu nutzen. Auch anderen Minderheiten gegenüber vertraten die iranischen Herrscher eine zum Teil sehr kalkulierte Politik, die sich zwischen wirtschaftlicher Förderung, „Umsiedlung“ und Zwangskonversion bewegte. Das Verhältnis des heutigen iranischen Staates zur armenischen Minderheit scheint vergleichsweise entspannt zu sein – wohl, weil sie von keiner als feindlich eingestuften „Schutzmacht“ im Ausland unterstützt werden.
Nach einer längeren Fahrt erreichen wir ein verwahrlost erscheinendes jüdisches Heiligtum mit einer Synagoge und einem Friedhof. Das etwa 30 Kilometer stadtauswärts gelegene Dorf Pir Bakran ist eine Pilgerstätte des iranischen Judentums, die traditioneller Weise im Monat Elul (August/September) besucht wird. Gegenstand der Verehrung ist weder ein Prophet noch ein hassidischer Rebbe, sondern Sarah bat Ascher. Der Name taucht in zwei völlig verschiedenen Kontexten in der Bibel auf (Gen 46,17; Num. 26,46) und wurde im Laufe der Zeit zu einer mythologischen Figur vereinigt. Einem Midrasch zufolge wurde ihr aufgrund einer guten Tat schon zu Lebzeiten das ewige Leben in der jenseitigen Welt verheißen. In der späteren jüdischen Erzählliteratur wird Sara bat Ascher mit dem Gründungsmythos verbunden: Sie soll die Juden durch einen unterirdischen Gang von Jerusalem bis nach Isfahan geführt haben. Der Weg zu ihrem Schrein ist mit jüdischen Grabsteinen gepflastert – offensichtlich ein lokaler Brauch – und führt in mehrere enge Kammern. Wachsreste, Kerzenverpackungen und hebräische Graffiti aus Ascheresten lassen auf eine andauernde Nutzung schließen.
Während des Mittagessens erklärt der Vertreter vom Isfahaner Büro für Monotheistische Religionen einige iranische Sichtweisen. Mit Blick auf das Verhältnis von Mann und Frau korrigiert er im Stil von Charlotte Wiedemanns Buch „‚Ihr wisst nichts über uns!‘ Meine Reisen durch einen unbekannten Islam“ übliche Vorurteile – und erklärt den Mann zum Außenminister, der ohne die Zustimmung der Ehefrau keinen Kühlschrank kaufen dürfe. Der eigentliche Herr des Hauses sei die Frau. Ferner erfahren wir, dass der Atheismus eine neue Religion mit verschiedenen konfessionellen Ausprägungen, eigenen Werten und Riten sei. Auf Nachfrage verweist er auch wochenendliche Meetings mit Gesangseinlagen in Fußballstadien und die Verehrung von Shoppinggöttern. Definitiv eine originelle Sichtweise.
Nachmittags besuchen wir einen modernen zoroastrischen Tempel in einem bürgerlichen Stadtteil Isfahans. Im Mittelpunkt steht das Gespräch mit dem Priester der Gemeinde, der uns eine kurze Einführung in die Geschichte und die Glaubenselemente des Zoroastrismus gibt. Hin und wieder entsteht der Eindruck, dass der Übersetzer Aussagen glättet. Freundlich bieten sich einige der iranischen Studierenden aus Qom an, die anstrengende Tätigkeit des Übersetzens zu übernehmen. Daraufhin fällt die Übersetzung ganz aus und weitet sich stattdessen zu einem Gespräch zwischen den anwesenden Iranern aus. Wir gelangen indes zur Erkenntnis, dass es – am Ende unserer dritten Iranexkursion – langsam an der Zeit ist, das Persische zu lernen. Aber auch ohne die vollständige Übersetzung kann man die drei wichtigen Grundsätze des Zarathustras durchaus als sinnvolle Lehre nach Mitteleuropa mitnehmen: „Denke nur Gutes, rede nur Gutes und tue nur Gutes.“
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Text: Prof. Dr. Nathanael Riemer
Online gestellt: Agnes Bressa
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