Der nächste Morgen führt uns wieder an die Tabriz Islamic Arts University und zwar dieses Mal in den Khosravi-Komplex, einer ehemaligen Lederfabrik, in der die anderen Fakultäten untergebracht sind. Erneut gibt es schablonenhafte Begegnungen mit Honoratioren. Dass wir dennoch begeistert sind, liegt weniger an dem obligatorischen Safraneis und den als Präsenten überreichten Töpferwaren aus hauseigener, studentischer Produktion. Es ist die Ausstellung „2nd Tabriz International Festival for Islamic Arts, Crafts and Creativity“ mit ihren atemberaubenden Exponaten, die uns fasziniert: überaus filigrane Intarsienarbeiten aus vielfarbigen Holzarten, kunstvoll gearbeiteter Silberschmuck, Mikrografien, feinste Teppiche, darunter ein kompletter Koran in Teppichen gewebt, kostbare Glaskunst, etc.
Mittags schlendern wir durch die weitläufigen, überdachten Basaranlagen von Tabriz, die insgesamt mehr als sechs Kilometer lang sind und deren imposante Kuppelkonstruktionen schon in historischen Berichten aus dem 17. Jahrhundert erwähnt werden. Während wir durch eine 500 Meter lange Straße laufen, in deren Geschäften ausschließlich Schuhe in den Auslagen stehen, begreifen wir, dass der Bazar als „Showroom“ für Großhändler dient. „Endkunden“ sind hier eher selten unterwegs. In den riesigen Hallen der Teppichhändler stoßen wir auf eine kleine Gruppe von Männern, die große Schnauzbärte, exotische Kopfbedeckungen und Plunderhosen tragen: Die kurdischen Händler aus dem Irak, die sich als Anhänger der Ahl-e Haqq (Yarsanismus) vorstellen, laden uns mit großer Herzlichkeit in ihre Heimat ein. – Gerne zur nächsten Exkursion.
Für uns geht es nachmittags nach Kandovan. Das etwa 60 Kilometer südlich von Tabriz gelegene Felsendorf Kandovan ist vor allem für Geologen, Archäologen und Ethnologen interessant. Die zuckerhutförmigen Felsensembles entstehen durch die Eruptionen des fast 4000 Meter hohen, nicht mehr aktiven Vulkans Kuh-e Sahand und bestehen aus einem grauen Tuffstein. Bereits in der vorislamischen Zeit dienten die Felsformationen während kriegerischer Konflikte als Zufluchtsorte. Der größte Teil der Höhlenwohnungen wurde vor 700 Jahren von Menschenhand in den weichen Stein gegraben und erstrecke sich oft über mehrere Stockwerke. Sichtbar sind zumeist nur verwinkelte Treppen, Verbindungsbrücken sowie die kleinen Fenster und Eingangstüren. Auch wenn noch etwa 600 Personen das Dorf bevölkern, zeigen Elektrizität, Plastikmüll und Autos an, dass die Bewohner schon längst in der Moderne angekommen sind. Manche ehemaligen Höhlenwohnungen sind nur noch Verkaufsräume mit ausgelegten Waren, die auf die größtenteils iranischen Touristen zu warten scheinen. Der Tag endet für uns wieder nach 23 Uhr.
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Text: Prof. Dr. Nathanael Riemer
Online gestellt: Agnes Bressa
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