Wie entstehen Verschwörungstheorien? Mit welchen Argumentationsstrategien bahnen sie sich ihren Weg? Und wie gelingt es ihnen, Stereotype zu bilden? Potsdamer Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler trafen sich unlängst mit Forschern aus Südeuropa und mit Semiotikern Italiens, um sich über den Forschungsstand und die Möglichkeiten auszutauschen, Verschwörungstheorien entgegenzuwirken. Dabei interessierten sie sich insbesondere für jene Prozesse, die zur Entstehung von Feindbildern beitragen.
Die beiden Forschergruppen kamen im Mai an der Universität Potsdam und Ende Juni in Turin zusammen. Gemeinsam mit Prof. Dr. h.c. Umberto Eco, Prof. Dr. Ugo Volli und Prof. Massimo Leone diskutierten die Potsdamer Romanistin Prof. Dr. Eva Kimminich und ihre Doktoranden Julius, Erdmann, Saman Hamdi und Amir Dizdarevic über persuasive Muster, kognitive Konzepte und Bildmotive sowie die damit verbundenen interpretativen Strategien, um Verschwörungstheorien entschärfen zu können. Auch die Studentinnen Mareen Belloff und Jenny Ziems erhielten die Gelegenheit, an den beiden, vom Deutschen Akademischen Austauschdienst unterstützten Tagungen teilzunehmen.
„Verschwörungstheorien sind Deutungsmuster, die sich auf Ereignisse und Entwicklungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit beziehen. Sie sind daher als Bestandteil der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion zu verstehen“, sagt Eva Kimminich. Diese lasse sich am umfassendsten mit einem soziokulturell konstruktivistischen Ansatz beobachten. „Wir gehen von einer Art Betriebssystem der Gesellschaft aus, über das alle kognitiven und kommunikativen Prozesse gesteuert werden. Es stellt die semantischen Kategorien bereit, die die Benennung von Unterschieden vorbewerten.“
Durch zunehmende Individualisierung der Gesellschaft habe sich die Deutungshoheit für allgemein gültige Interpretationsinhalte zunehmend aufgelöst. Vor allem seit Beginn der europäischen Krise sei daher eine Zunahme individueller Erklärungsversuche zu beobachten. Gerade mit dem wachsenden Informationsangebot im Internet erlebten Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Auf zahlreichen Webseiten werde den Usern suggeriert, hier endlich die Wahrheit und die wirklichen Ursachen der ihn beunruhigenden Entwicklungen zu finden. „Die einst unhinterfragbare Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit scheint in ein Mosaik von Erklärungsangeboten zu zerbröseln, die dem Individuum den Eindruck vermitteln, sich selbst ein Bild von der Wirklichkeit machen zu können bzw. zu müssen“, erklärt die Romanistin. „Analysen von alternativen Informationsseiten zeigen, dass diese als Steinbruch für die Bildung verschwörungstheoretischer Diskurse zu sehen sind. Dieser stellt Module, semantische Kategorien, Ready Mades und Teaser bereit, aus denen sich nach einem bestimmten Muster Verschwörungstheorien zusammensetzen und Feindbilder generieren lassen.“
Text: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Online gestellt: Matthias Zimmermann
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